Energiekrise

Netzentgelte verteuern den Strom in Schleswig-Holstein

Netzentgelte verteuern den Strom in Schleswig-Holstein

Netzentgelte verteuern den Strom in Schleswig-Holstein

Henning Baethge/shz.de
Kiel
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Stromleitung an Schleswig-Holsteins Westküste: Die Kosten der Netzbetreiber steigen deutlich. Foto: Carsten Rehder/dpa

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Die Gebühren für die Stromdurchleitung sind im Norden fast anderthalb mal so teuer wie im Bundesschnitt – und steigen weiter kräftig an. Das hat auch mit den Windrädern zu tun. Aber nicht nur.

Den unrühmlichen Spitzenplatz wird Schleswig-Holstein nächstes Jahr an Brandenburg los – doch die vom Verbraucher zu tragenden Netzentgelte für die Nutzung der Stromleitungen bleiben im Norden sehr hoch und werden sogar noch mal stark steigen. Statt durchschnittlich 41 Euro im Monat wird ein Musterhaushalt mit 4000 Kilowattstunden Jahresverbrauch dann 50 Euro an Netzentgelten zahlen. Das sind 26 Prozent mehr als dieses Jahr. Die Zahlen hat das Vergleichsportal Verivox anhand der jetzt von den Verteilnetzbetreibern veröffentlichten vorläufigen Entgelte für 2023 errechnet.

Die 50 Euro im Norden sind dabei nur ein Durchschnittswert. Tatsächlich unterscheiden sich die Netzentgelte auch innerhalb Schleswig-Holsteins erheblich: Wer etwa auf dem Land im Gebiet des größten schleswig-holsteinischen Netzbetreibers SH-Netz wohnt, muss eine Steigerung um 31 Prozent hinnehmen und nächstes Jahr gleich 61 Euro im Monat einkalkulieren. Wer dagegen im Netzgebiet der Stadtwerke Flensburg wohnt, kommt mit einer Erhöhung um 6 Prozent auf relativ niedrige 28 Euro davon.

Netzentgelt wird auf Stromrechnung ausgewiesen

Zwar zahlen zunächst nicht die Verbraucher die staatlich regulierten Entgelte an die Netzbetreiber, sondern die Stromlieferanten. Aber die geben die Kosten in der Regel an ihre Kunden weiter und weisen den Posten auch in der Rechnung aus. Bisher macht das Netzentgelt im Schnitt ungefähr ein Viertel des Rechnungsbetrags aus – doch kann sich das nächstes Jahr gerade in Regionen mit starkem Anstieg der Durchleitungskosten ändern. Wechseln kann man den Netzbetreiber anders als den Stromlieferanten nicht: Man ist immer an denjenigen gebunden, in dessen Netzgebiet man wohnt.

Dass die Netzentgelte ausgerechnet in Bundesländern mit starkem Ausbau der Windkraft sehr hoch sind und noch weiter überdurchschnittlich steigen, liegt zum einen daran, dass die Leitungen in diesen Regionen gerade kräftig ausgebaut wurden und werden, damit sie mehr Ökostrom aufnehmen können. Denn die Höhe des Netzentgelts, das ein Betreiber erheben darf, errechnet sich aus den Kosten für Bau und Betrieb der Stromnetze in einer Region geteilt durch den dortigen Verbrauch. Wenn also viele neue Leitungen in dünn besiedelten Gebieten errichtet werden, steigt das Netzentgelt besonders stark.

Kosten der Stromnetzbetreiber „vervielfachen sich“

Hinzu kommt, dass nicht nur der Bau von Leitungen das Netzentgelt in die Höhe treibt, sondern im Norden auch deren Betrieb deutlich teurer wird – wegen des in die Höhe geschossenen Strompreises. „Die gestiegenen Energiekosten wirken sich vor allem auf die Kosten für die Maßnahmen zur Engpassbeseitigung und die Beschaffung von Verlustenergie aus“, sagt SH-Netz-Sprecherin Constanze Burkhardt. Diese Kosten würden sich „im Vergleich zu den Vorjahren vervielfachen“.

Mit Verlustenergie ist der Strom gemeint, der auf dem Weg vom Erzeuger durch die großen Übertragungsnetze bis in die kleineren Verteilnetze wegen Umwandlung und Transport verloren geht. Diesen Strom muss der regionale Netzbetreiber am Ende zusätzlich kaufen – und dafür muss er wegen der hohen Strompreise nun deutlich mehr ausgeben als bisher.

Entschädigungen für Windmüller treiben Netzentgelte

Auch auf die Engpassbeseitigung wirkt sich der hohe Strompreis aus. Dabei geht es vor allem um Zwangsabschaltungen von Windrädern wegen drohender Überlastung des Stromnetzes. In diesen Fällen erhalten die betroffenen Anlagenbetreiber eine Entschädigung, die ihnen den entgangenen Erlös ersetzt. Letztes Jahr waren das allein in Schleswig-Holstein 238 Millionen Euro. Zwar sind das Ausmaß der Zwangsabregelungen und die Entschädigungssumme im Land letztes Jahr dank neuer Leitungen zurückgegangen – doch nun drohen die Ausgleichszahlungen wieder deutlich zu steigen.

Grund dafür ist, dass fast alle Windmüller ihren Strom inzwischen direkt verkaufen und daher derzeit vom stark gestiegenen Strompreis profitieren. Denn statt der gesetzlichen Mindestvergütung von durchschnittlich 6 Cent pro Kilowattstunde in den jüngsten staatlichen Ausschreibungen oder derzeit gut 8 Cent über alle Windräder verdienen sie jetzt oft viel mehr Geld.

Im Frühjahr etwa brachten Windräder im Schnitt rund 13 Cent pro Kilowattstunde ein, im Juli und September 28 und im August sogar 46 Cent. Entsprechend hohe Beträge müssen bei Zwangsabschaltungen die Netzbetreiber – und letztlich die Verbraucher – als Ausgleich zahlen. „Die Entschädigungen spiegeln die Markbedingungen wider, sprich die gestiegenen Preise an den Börsen“, sagt SH-Netz-Sprecherin Burkhardt.

Einen Teil der Kosten übernimmt 2023 der Bund

Immerhin übernimmt der Bund für die großen Übertragungsnetze von Tennet, Amprion und Co. nächstes Jahr einen Teil der Netzkosten. Er schießt 13 Milliarden Euro zu und macht es damit möglich, dass die Netzentgelte für diese Fernleitungen auf bundesweit einheitlich 3,12 Cent pro Kilowattstunde angeglichen werden. Bisher sind es in Schleswig-Holstein 3,29 Cent. Doch nicht zu früh gefreut: Diese Gebühr samt der kleinen Senkung ist in den von den Verteilnetzbetreibern angekündigten Entgelten für 2023 bereits enthalten – und verhindert nicht den drastischen Anstieg.

Minister Goldschmidt fordert einheitliche Netzentgelte

Schleswig-Holsteins grüner Energieminister Tobias Goldschmidt fordert daher, dass der Bund nun auch „zügig“ die Entgelte der Verteilnetzbetreiber vereinheitlicht. „Es kann nicht sein, dass der Norden mit den massiven Mehrkosten allein gelassen wird“, kritisiert er. Solidarität dürfe „keine Einbahnstraße“ sein: „Wenn wir hier grünen Strom für das ganze Bundesgebiet erzeugen, dann müssen die damit verbundenen Kosten auch vom ganzen Land getragen werden.“

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