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Munition in der Ostsee: Bergung soll im Winter vor SH beginnen

Munition in der Ostsee: Bergung soll im Winter vor SH beginnen

Munition in Ostsee: Bergung soll im Winter vor SH beginnen

Kay Müller/shz.de
Flensburg
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Bundesumweltministerin informiert sich in Kiel über Bergung von Munition. Foto: Axel Heimken

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Wissenschaftler raten, die Weltkriegs-Altlasten schleunigst und zuerst aus der Ostsee vor Schleswig-Holstein zu bergen – und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will auf sie hören: Anfang nächsten Jahres soll es losgehen.

Nein, ein ängstlicher Typ sei sie nicht, sagt Steffi Lemke. Deshalb merkt man der Bundesumweltministerin auch nicht an, dass sie gerade über einem der wohl gefährlichsten Gebiete der Ostsee fährt: dem Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide kurz vor Kiel. „Hier darf eigentlich keiner reinfahren“, erklärt Jens Greinert der Grünen-Politikerin. „Nur wir, weil wir so ein schönes graues Schiff haben“, sagt der Professor vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel über das Mehrzweckerprobungsboot der Marine, auf dem er steht. „Wir sind bestimmt schon über 80 Munitionskörper gefahren, die nur sechs Meter unter dem Kiel auf dem Meeresboden liegen und von denen einer reichen würde, um dieses Schiff zu zerbrechen.“

1,6 Millionen Tonnen Munition liegen in der deutschen Nord- und Ostsee, davon 300000 Tonnen in der Ostsee und wieder rund 75 Prozent davon vor der schleswig-holsteinischen Küste, schätzt Greinert. Wenn die durchrosten und den Sprengstoff freigeben, wird der von Muscheln und Fischen aufgenommen, bei denen Geomar-Forscher eine erhöhte Anzahl von Krebszellen festgestellt haben.

„Wir haben ein Zeitproblem, deshalb fangen wir jetzt an zu räumen“, sagt Lemke. 100 Millionen Euro hat das Bundeskabinett bereitgestellt, um die Altlasten aus den Kriegen aus den Meeren zu holen. 30 Millionen davon sollen schon nächstes Jahr ausgegeben werden. Dann sollen Fachfirmen mit bereits vorhandener Technik erproben, welche Bergungsmethoden in Versenkungsgebieten die besten sind, in denen die Munition zum Teil zusammengerostet ist.

„Ich wünsche mir, und habe auch die Erwartungshaltung, dass das Pilotprojekt in Schleswig-Holstein stattfindet“, sagt Landesumweltminister Tobias Goldschmidt. Lemke will ihrem Parteifreund noch kein grünes Licht geben, sondern sagt lieber: „Ich höre auch den Rat der Wissenschaftler, die uns beraten.“

Einer davon ist eben jener Jens Greinert. Und der sagt: „Wir haben so viele Daten gesammelt, dass es in den Versenkungsgebieten keine großen Erkundungen mehr braucht.“ Die Kolberger Heide sei gut kartiert, und in der Lübecker Bucht gebe es ganz verschiedene Typen von Munition. „Wenn ich entscheiden könnte, würde ich dort beginnen“, sagt Greinert. „Denn in der Lübecker Bucht kann man wunderschön viel lernen, wie man Munition sicher aus dem Meer bergen kann.“

In den nächsten Wochen will das Ministerium die Ausschreibung für die erste Pilotphase veröffentlichen. „Darin werden auch drei oder vier Gebiete in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern genannt werden, in denen die Bergung beginnt“, sagt Axel Borchmann, stellvertretender Leiter des Referats Meeresschutz im Bundesumweltministerium. Laut Greinert käme in Schleswig-Holstein auch noch das Versenkungsgebiet Falshöft, in der Ostsee vor der Flensburger Förde in Betracht. Die Arbeiten sollen Anfang 2024 beginnen.

„Wir brauchen eine Verfahrenskette, die wir auf andere Gebiete übertragen können“, sagt Borchmann. Das bedeutet, dass verschiedene Bergungstechniken je nach Zustand für verschiedene Munitionsarten geeignet sein könnten. Das können etwa Unterwasserroboter, Greifer oder Bagger sein, die etwa schon bei der Beseitigung von Kampfmitteln beim Bau von Off-Shore-Windrädern oder Seekabeln zum Einsatz kommen, aber noch nie in einem Versenkungsgebiet, in dem sich Granaten, Minen und Bomben zum Teil stapeln. Zudem müssen die Entsorgungskapazitäten für den Sprengstoff an Land, die es derzeit nur in Munster in Niedersachsen gibt, erweitert werden.

All das kostet viel Geld. Wie weit man mit den 30 Millionen Euro kommt, weiß niemand so genau. Mit den restlichen 70 Millionen Euro will Lemke im nächsten Jahr eine Entsorgungsplattform bauen lassen, die Munition nicht nur heben, sondern zumindest Teile auch gleich an Bord vernichten soll. „Damit betreten wir weltweit Neuland.“

Mit Bergung von Munition lässt sich Geld verdienen

„Ich würde mir wünschen, dass die schleswig-holsteinische Wirtschaft davon profitiert“, sagt Goldschmidt. Denn die Munitionsbergung sei weltweit gefragt und deshalb auch ein Geschäftsmodell. Thyssen Krupp Marine Systems aus Kiel hat schon vor längerer Zeit angekündigt, eine derartige Plattform für 80 Millionen Euro in einem guten Jahr bauen zu können. Allerdings wird das Projekt europaweit ausgeschrieben. „Ich will damit so schnell wie möglich vorankommen“, sagt Lemke. „Wir wollen die Plattform im kommenden Jahr bauen, um dann 2025 mit der Entsorgung beginnen zu können.“

Für die flächendeckende Bergung wird es jedoch noch viel mehr Geld brauchen. „100 Millionen sind nur ein erster Anfang“, sagt Lemke. Schleswig-Holstein hat angekündigt, den Bund bei den Kosten zu unterstützen. „Und ich werde mich auch in Zeiten knapper Kassen dafür einsetzen, dass wir Wort halten“, sagt Goldschmidt.

Lemke freuen solche Sätze, die sie gern auch aus anderen Küstenländern hören würde. „Gespräche laufen“, sagt sie nur dazu. Dabei hat die Ministerin ein Ziel: Sie schätzt, dass die Ostsee 2045 weitgehend frei von Munition sein könnte. Und das würde bedeuten, dass sie noch angstfreier in die Kolberger Heide fahren könnte.

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