Wirtschaft in SH

Motorola-Werk in Flensburg – mahnendes Beispiel für Northvolt in SH

Motorola-Werk in Flensburg – mahnendes Beispiel für Northvolt in SH

Mahnendes Beispiel Motorola-Werk in Flensburg

Carlo Jolly/shz.de
Schleswig-Holstein
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Das frühere Motorola-Handywerk in Flensburg gehört heute zum Danfoss-Imperium. Ein Vergleich mit der Northvolt-Ansiedelung. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Die Millionensubventionen für Northvolt sind ohne Vorbild? Nicht ganz. Mitte der 90er Jahre bekam Motorola für sein Flensburger Handy-Werk 26,9 Millionen Euro. Kein Jahrzehnt später waren alle Jobs wieder weg. Welche Subventionen zurückflossen – und woran Robert Habecks Northvolt-Förderung hängt.

Der US-Technologiekonzern Motorola hat in Schleswig-Holstein Industriegeschichte geschrieben. In seinem Flensburger Werk laufen 1991 die ersten GSM-Handys der Welt vom Band. 250.000 Mobiltelefone werden im ersten Jahr an der Flensburger Förde montiert. Doch wenige Jahre später sprengen die Wachstumsdimensionen die Produktionsstätte.

Mit knapp 27 Millionen Euro Unterstützung von Land und Bund entsteht 1998 im Westen der Stadt ein komplett neues Werk samt Reinraum, Prototypenherstellung und Versand. Produktion und Jobmotor laufen auf Höchstgeschwindigkeit.

1. Oktober 1998

Motorola erweitert für 200 Millionen DM seine Handy-Fertigung.

17. August 1999

Motorola will die Zahl der 2400 Beschäftigten um 800 erhöhen. Doch die Euphorie währt nur noch ein Jahr.

20. September 2000

Aufgrund geringerer Nachfrage drosselt das Werk seine Produktion um gut zehn Prozent.

6. Dezember 2000

Motorola kündigt an, 400 der gut 3000 Stellen zu streichen.

24. April 2001

Nach Spekulationen über eine Schließung bleibt der Standort verschont – und noch einmal kann Flensburg im September 2002 Technologiegeschichte schreiben, als hier das erste UMTS-Handy weltweit vom Band läuft.

16. September 2003

Motorola kündigt an, eine Teilproduktion mit 600 Jobs nach China zu verlegen. In Flensburg bleiben UMTS-Fertigung und Versandzentrum mit 1200 Mitarbeitern.

26. April 2007

Die UMTS-Fertigung (230 Jobs) wird nach Asien verlagert. Es bleibt einzig ein kleines Spezialistenteam für wenige Jahre in Flensburg. Das Werk übernimmt später der dänische Danfoss-Konzern mit seiner Technologietochter Silicon Power.

Und wie fällt die Motorola-Bilanz der Landesregierung heute aus, wo mit Northvolt der nächste Technologieriese gepäppelt wird – mit finanzieller Unterstützung in ganz anderen Dimensionen?

Der Vergleich von Northvolt mit seiner technisch sehr komplexen Batteriezellproduktion und Motorola mit der Massenproduktion von Mobiltelefonen hinke, sagt Harald Haase aus dem Kieler Wirtschaftsministerium: „Die Ansiedlung von Northvolt ist sowohl unter wirtschafts- und strukturpolitischen wie unter energiewirtschaftlichen und Klimaschutzaspekten von außerordentlicher Bedeutung für Schleswig-Holstein.“ Eine heimische Batteriezellproduktion sei im nationalen und europäischen Interesse, um der technologischen Abhängigkeit von den dominierenden asiatischen Herstellern entgegenzuwirken. Und: Northvolt knüpfe eine Wertschöpfungskette von der Gewinnung von Rohstoffen bis hin zu Fertigung und Recycling.

Northvolt-Ansiedlung in SH mit Risiken verbunden

Gleichwohl sei die Ansiedlung solch eines jungen Unternehmens mit betriebswirtschaftlichen und technologischen Risiken verbunden, so der Ministeriumssprecher: „Allerdings hat Northvolt mit dem Bau der Gigafabrik NV Ett in Skellefteå bewiesen, dass es Projekte in dieser Größenordnung erfolgreich umsetzen kann.“

Habecks Förderung in neuer Dimension

Die Dimension der Unterstützung für die schwedische Batteriezellenunternehmung ist auch im Zeitvergleich von 25 Jahren weit von jeder Inflation entfernt: Es handele sich um einen Zuschuss des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen des Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) über insgesamt 700 Millionen Euro. „Hieran beteiligt sich das Land mit 136.433.501 Euro.“

700-Millionen-Euro-Förderung für Northvolt in Heide

Die Förderbedingungen hat das Berliner Ministerium Robert Habecks festgelegt. Am 8. Januar hatte die Europäische Kommission die Zuwendung der Bundesregierung für Northvolt für die Fabrik am Heider Westrand beihilferechtlich genehmigt. Die 700-Millionen-Euro-Förderung verteile sich auf mehrere Jahrestranchen, erklärte Robert Habecks Ministeriumssprecherin Annika Einhorn.

Wie üblich in der Projektförderung erfolge die Auszahlung mit dem Projektfortschritt. „In diesem Fall wurde zum Beispiel vereinbart, dass die Batteriefabrik bis mindestens 2034 am Standort erhalten werden muss, während des Aufbaus zu bestimmten Zeitpunkten eine bestimmte Produktionskapazität sowie ein bestimmter Beschäftigungsstand erreicht werden müssen und Northvolt die Fabrik nicht ohne Zustimmung an Erwerber aus dem Nicht-EU-Ausland verkaufen darf.“

Als nicht genehmigungspflichtige temporäre Liquiditätshilfe gelte eine über die KfW gezeichnete Wandelanleihe der schwedischen Northvolt-Mutter Northvolt AB. „Über die Wandelanleihe erhält Northvolt Deutschland mehr Eigenkapital, um die rasche Skalierung zu ermöglichen“, so Einhorn weiter. Diese Steuergelder würden später mit Zinsen zurückgezahlt. Die Auszahlung einer ersten Vorab-Tranche sei bereits im Dezember erfolgt, weitere Auszahlungen könnten nach der finalen Standortentscheidung für Heide nun abgerufen werden. Die Wandelanleihe sei zu marktüblichen Konditionen ausgestaltet und erlaube der öffentlichen Hand, auch an den erwarteten Erlösen der Batteriefabrik zu partizipieren. Einhorn bedauerte, dazu keine weiteren Details nennen zu dürfen.

Energie für eine Million Elektrofahrzeuge

Zur Fabrik auf dem Gebiet der beiden Dithmarscher Gemeinden Norderwöhrden und Lohe-Rickelshof schreibt Habecks Sprecherin Einhorn: „Das jährliche Produktionsvolumen nach dem Hochlauf der Giga-Factory wird 60 Gigawattstunden betragen und rund eine Million Elektrofahrzeuge mit hochwertigen Batteriezellen aus deutscher Produktion versorgen.“ 3000 direkte Arbeitsplätze in Heide und viele weitere in der umliegenden Industrie und im Dienstleistungssektor sollten so geschaffen werden.

Was sich entscheidend verändert hat

Zweierlei hat sich allerdings in den vergangenen 25 Jahren seit der Förderung der Handyproduktion verändert. Im Vergleich zur Motorola-Epoche haben Arbeitsplätze für das Land aus zwei Gründen nicht mehr die zentrale Bedeutung wie noch 1998. Die Arbeitslosenquote ist insgesamt heute deutlich geringer als in den 1990er und den 2000er Jahren – und Ökonomen gehen davon aus, dass Northvolt mit seinen mutmaßlich stark nachgefragten Arbeitsplätzen kleinen und mittleren Betrieben im Radius von mindestens 50 Kilometern tendenziell deren Fachkräfte streitig machen könnten.

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