Treibhausgase

Landwirtschaft: Deshalb ist ihr Klima-Abdruck in SH so besonders groß

Landwirtschaft: Deshalb ist ihr Klima-Abdruck in SH so besonders groß

Landwirtschaft: Deshalb ist ihr Klima-Abdruck in SH so groß

Frank Jung/shz.de
Schleswig-Holstein
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In Schleswig-Holstein muss die Landwirtschaft einen besonders großen Sparbeitrag leisten, wenn aus Schleswig-Holsteins Klimazielen etwas werden soll. Das Dünger-Management gilt als eine große Stellschraube. Foto: dpa

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Der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgas-Emissionen ist in Schleswig-Holstein doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Warum ist das so? Fragen und Antworten zu einem Thema, das in der Klima-Debatte oft nur am Rand vorkommt.

Wie hoch ist der Treibhausgas-Ausstoß der Landwirtschaft?

Die Landwirtschaft trägt in Schleswig-Holstein zu knapp einem Viertel, nämlich 22 Prozent der Treibhausgas-Emissionen, bei. Der Bundesdurchschnitt liegt bei nur acht Prozent. So steht es in dem vom Land am Anfang des Jahres herausgegebenen „Bericht zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein“). CO2 spielt in der Landwirtschaft eine deutlich untergeordnete Rolle. Vor allem geht es um Stickstoff, Methan und Lachgas, um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2. Auch bei Reduktionen tut sich Schleswig-Holstein schwerer: Der Treibhausgas-Ausstoß aus der Landwirtschaft ist hier im von 1990 bis 2021 nur um 18,2 Prozent gesunken - bundesweit um 24,6 Prozent.

Warum hat der Agrarsektor in SH im Vergleich zum Bund einen dreimal höheren Anteil an den Treibhausgasemissionen?

Das hat mehrere Ursachen: Schleswig-Holstein hat von allen Bundesländern den höchsten Anteil landwirtschaftlicher Nutzfläche an der Landesfläche. Andererseits ist in Schleswig-Holstein der Beitrag von Industrie und Stromversorgung an den Treibhausgas-Emissionen verhältnismäßig gering - schlicht, weil es im Vergleich mit anderen Bundesländern wenig Industrie gibt und durch eine geringe Einwohnerdichte wenige private Stromverbraucher. Das vergrößert statistisch den Prozentanteil des Agrarsektors an allen Emissionen von Treibhausgasen.

Hinzu kommen zwei Charakteristika der Landwirtschaft im nördlichsten Bundesland. Im Vergleich zu anderen Bundesländern zeichnet sich Schleswig-Holstein durch eine hohe Rinderdichte aus - 1,07 Rinder pro Hektar. Das bedeutet nicht nur Methan durch den Verdauungsprozess der Kühe. Sondern auch einen vergleichsweise großen Anteil an Emissionen aus Gülle.

Für den Ackerbau ist Schleswig-Holstein ein Gunststandort. Solche Hochertragsböden werden hochintensiv bewirtschaftet. Das zieht einen höheren Einsatz von Mineraldünger nach sich, weil man damit umso mehr Erzeugnisse aus der Fläche herausbekommt. Gerade die zwischen Nord- und Ostsee üblichen Winterkulturen sind stärker auf Dünger angewiesen. Je Hektar setzen Schleswig-Holsteins Landwirte 18 Prozent mehr Mineraldünger als im Bundesdurchschnitt ein.

Wie aussagekräftig ist das übliche Verfahren, den Klima-Abdruck der Landwirtschaft in Treibhausgas-Emissionen pro Hektar anzugeben?

Kritiker halten dagegen: Aussagekräftiger sei es, die Treibhausgas-Emissionen nicht pro Hektar, sondern produktbezogen zu beziffern. Also zum Beispiel danach, wie viel Ausstoß an klimaschädlichen Gasen die Erzeugung einer Tonne Milch oder einer Tonne Weizen mit sich bringt. Das, so die Argumentation, würde den Einsatz landwirtschaftlicher Betriebsmittel in ein direktes Verhältnis zum Output setzen. Nach der Devise: Der Einsatz von Betriebsmitteln mag in Schleswig-Holstein höher sein, aber der Ertrag auch - was wiederum anderswo weniger landwirtschaftliche Produktion erforderlich mache. Dieser Ansatz hat Folgen für den Vergleich der konventionellen mit der ökologischen Landwirtschaft: Letztere verursacht pro Flächeneinheit geringere Treibhausgas-Emissionen. Aber: Sie hat auch deutlich geringere Erträge. Deshalb sprechen ihr pro Produkteinheit viele Fachleute einen systematischen Klimaschutzvorteil ab.

Welche Rolle genau spielt die Tierhaltung für den Ausstoß von Treibhausgasen?

Schätzungen gehen davon aus, dass in Schleswig-Holstein etwa 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Treibhausgas-Emissionen (inklusive Futterbau und Betriebsmittel) der Tierhaltung zuzurechnen sind. Etwa 47 Prozent gehen auf die Haltung von Rindern und anderen Wiederkäuern wie etwa Schafe zurück.

Welchen Beitrag zu den Treibhausgasemissionen steuern Dünger und Pflanzenschutzmittel bei?

In Summe tragen die Stickstoff-Emissionen aus der Verwendung von Wirtschafts- und Mineraldünger etwa mit 41 Prozent zu den Gesamtemissionen aus der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein bei. Die zur Ernährung der Pflanzen notwendige Düngung von Stickstoff verursacht zusätzliche Lachgas-Emissionen aus den Böden. Lachgas entsteht nach dem Ausbringen von Dünger während der mikrobiellen Zersetzung im Zuge des natürlichen Stickstoffkreislaufs. Pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche sind die Lachgas-Emissionen aus der Düngung in Schleswig-Holstein um 26 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt (1,6 Tonnen CO₂-Äquivalente je Hektar gegenüber 1,27 Tonnen CO₂-Äquivalente je Hektar).

Auch wenn die Lage herausfordernd ist – ist es nicht zumindest schon etwas besser geworden?

Im Bundesdurchschnitt wie auch in Schleswig-Holstein zeigen die Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft einen abnehmenden Trend. Die Zahl der Rinder sank binnen zehn Jahren in Schleswig-Holstein um etwa 14 Prozent, die Zahl der Schweine und Schafe um 15 beziehungsweise 24 Prozent. Dadurch sind nicht nur die Methanemissionen rückläufig. Die sinkenden Tierzahlen führen auch zu einem Rückgang der tierischen Stickstoffausscheidung und damit wiederum zu geringeren Emissionen aus dem Lagern und Ausbringen von Wirtschaftsdünger.

Gleichzeitig ist die Verwendung von Mineraldünger in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen und damit auch die damit verbundenen klimawirksamen Lachgas-Emissionen. Das liegt daran, dass die Beratungsangebote und freiwilligen Maßnahmen, dem strengeren Düngerecht, aber auch bedingt gängigen Beratungsangebote für Landwirte eine klimaschonende Wirtschaftsweise stärker im Blick haben – und zuletzt auch an stark steigenden Kosten für Dünger durch die Energiekrise.

Wie lassen sich die Treibhausgas-Emissionen aus dem Agrarsektor in SH reduzieren?

Insbesondere zur Reduktion der Lachgas- und Methanemissionen gibt es zahlreiche Vorschläge aus der Wissenschaft, um Nahrungsmittel mit einem geringeren „CO₂-Rucksack“ zu produzieren. Dazu zählen eine Optimierung der Fruchtfolge oder der Einsatz von stickstoffeffizienten Kulturen. Vor allem im Dünger-Management wird ein großes Potenzial gesehen. Aber auch eine veränderte Fütterung und verbesserte Tiergesundheit kann einen Beitrag zur Minimierung leisten – etwa indem weniger Kraftfutter aus importiertem Soja verwendet würde. Nicht zuletzt kann die Renaturierung von Moorböden, heute noch in Teilen landwirtschaftlich genutzt, CO₂ binden. Eine von der Landesregierung einberufene Facharbeitsgruppe aus landwirtschaftlicher Praxis, Wissenschaft und Naturschutz hat vor einem Jahr einen Maßnahmenkatalog mit 15 Vorschlägen vorgelegt.

Was will die Landesregierung jetzt konkret unternehmen?

Das Landwirtschaftsministerium hat in Kooperation mit dem Umweltministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die gerade angerissenen Maßnahmen auf die Agrarstruktur Schleswig-Holsteins anwenden soll. Auf dieser Grundlage sollen die Möglichkeiten zur Minderung von Treibhausgas-Emissionen quantitativ beziffert werden. Die Ergebnisse werden noch in diesem Jahr vorliegen. Zudem beauftragt der Koalitionsvertrag von CDU und Grünen das Landwirtschaftsministerium, ein „Kompetenzzentrum für klimaeffiziente Landwirtschaft“ aufzubauen. Es soll wirkungsvolle Maßnahmen zum Klimaschutz im Agrarsektor sichtbar machen und Anpassungsstrategien an den Klimawandel entwickeln. Ein erstes Treffen dazu hat stattgefunden, die Umsetzung der Idee steht aber noch ganz am Anfang.

Welche Einsparmenge an Treibhausgasen muss erreicht werden?

Letztlich gibt das Klimaschutzgesetz des Bundes die Ziele vor. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Für das Jahr 2040 gilt ein Minderungsziel von mindestens 88 Prozent. Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Das Land hat in seinem in diesem Jahr aktualisierten Energiewende- und Klimaschutzgesetz formuliert, dass die im Bundesklimaschutzgesetz vorgegebenen Minderungsraten auch in Schleswig-Holstein erreicht und möglichst übertroffen werden sollen.

Wie realistisch ist angesichts der Bedeutung der Viehwirtschaft in SH überhaupt eine deutliche Reduktion der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen?

Selbst bei stabilen Tierzahlen gibt es noch zahlreiche Maßnahmen, um die Treibhausgas-Emissionen weiter abzusenken. Konsens auch bis in die Reihen der konventionellen Landwirtschaft hinein ist aber: Es muss auch ein Umdenken stattfinden. Ohne ein neues gesellschaftliches Verständnis für die Produktion sowie ein verändertes Konsumverhalten der Verbraucher wird es kurzfristig nicht gehen. Eine alleinige Reduktion der Produktionsmengen in Deutschland birgt die Gefahr von Standortverlagerungen hin zu Standorten, an denen geringere Standards gelten.

Die Antworten basieren auf Auskünften des schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministeriums und des schleswig-holsteinischen Bauernverbands auf Fragen unserer Redaktion. Eingeflossen sind Ergebnisse der Facharbeitsgruppe „Handlungsoptionen zur Optimierung der Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft“ aus dem Jahr 2021. Ihr gehörten unter anderem die Landwirtschaftskammer, Universität und Fachhochschule Kiel, der Bauernverband und der Landesnaturschutzbeauftragte an.

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