Schleswig-Holstein

Hier könnte die Munitionsbergung aus der Ostsee starten

Hier könnte die Munitionsbergung aus der Ostsee starten

Hier könnte die Munitionsbergung aus der Ostsee starten

Henning Baethge/shz.de
Kiel/Berlin
Zuletzt aktualisiert um:
Schleswig-Holsteins Ostseeküste: In zwei Gebieten lässt sich alte Weltkriegsmunition besonders gut bergen. Foto: Axel Heimken/dpa

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke legt eine Machbarkeitsstudie für die Munitionsbergung aus dem Meer vor. Für das geplante Pilotprojekt eignen sich zwei Gebiete in Schleswig-Holsteins Ostsee besonders gut.

Es ist ein Jahrhundertprojekt – und es könnte in Schleswig-Holstein vor der Flensburger Förde losgehen: Bundesumweltministerin Steffi Lemke will damit beginnen, die Weltkriegsaltlasten von rund 1,6 Millionen Tonnen Munition und 5000 Tonnen chemischer Kampfstoffe aus den deutschen Meeren zu holen. Und am besten geeignet für das geplante Pilotprojekt ist die Ostsee vor Falshöft hoch im Norden Schleswig-Holsteins. Das geht aus der bisher unveröffentlichten Machbarkeitsstudie hervor, die Lemkes Staatssekretär Christian Kühn am Mittwoch im Haushaltsausschuss des Bundestags vorstellte. 

Demnach kommen für das Erproben der Munitionsbergung „im wesentlichen Versenkungsgebiete oder munitionsbelastete Meeresflächen an der Ostseeküste vor Schleswig-Holstein in Betracht“. Denn diese seien „am weitesten erkundet“ und hätten „repräsentativen Charakter, was die versenkten Kampfmittel betrifft“, heißt es in der Studie der Beratungsfirma Seascape. Nur ein Areal vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns komme neben sechs Regionen in Schleswig-Holstein ebenfalls in Frage.

Gebiet vor Falshöft erfüllt als einziges alle Kriterien

Sämtliche Eignungskriterien erfüllt aber auch in Schleswig-Holstein nur ein einziges Gebiet – die Munitionsversenkungsfläche vor Falshöft. Sie ist mit 11 bis 17 Metern nicht zu tief, bereits genau untersucht, ausreichend groß, gut zugänglich, weit genug entfernt von Küste und Schifffahrtssrouten und birgt leicht herauszuholende Kampfstoffe.

Ähnlich günstig sind die Verhältnisse etwas weiter südlich im Schönhager Grund – er ist nur etwas tiefer. Trotzdem geben die Gutachter noch keine endgültige Empfehlung für Falshöft oder Schönhagen, sondern wollen „ein Expertengremium eines oder mehrere Erprobungsgebiete“ ermitteln lassen.

Haushaltsausschuss hat 100 Millionen Euro bewilligt

Für das Pilotprojekt hat der Haushaltsausschuss des Bundestags der grünen Ministerin 100 Millionen Euro bewilligt – mit der Maßgabe, dass sie bis Jahresende einen ersten Vertrag zur Munitionsräumung abschließt. Lemkes Gutachter raten ihr deshalb dazu, nicht erst wie ursprünglich geplant den Bau einer neuartigen schwimmenden Bergungs- und Entsorgungsplattform abzuwarten, sondern rasch mit dem Räumen der Bomben, Granaten, Torpedos und Seeminen anzufangen.

„Im Rahmen der Pilotierung kann umgehend mit einer Beräumung und Vernichtung begonnen werden“, schreiben Lemkes Berater. So werde „eine positive öffentliche Wahrnehmung unterstützt und die durch den Maßgabebeschluss festgelegten zeitlichen Anforderungen erfüllt“.

Ausschreibung der Pilotphase verzögert sich etwas

In einer ersten Pilotphase soll demnach „mit verfügbarer Technik“ Munition geborgen und an Land entsorgt werden. In einer zweiten Pilotphase könne zur Beseitigung der Altlasten „eine existierende mobile Munitionsverbrennungsanlage auf See“ erprobt werden. 50 Tonnen im Jahr könnten so beseitigt werden. 30 Millionen Euro soll diese Pilotphase kosten. Ausgeschrieben wird sie aber laut Staatssekretär Kühn erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres und nicht wie zunächst geplant noch im Juni.

Plattform soll jährlich 750 Tonnen Munition vernichten

Die in der Pilotphase gewonnenen Erkenntnisse sollen dann in den Bau einer ersten, neuartigen Bergungs- und Entsorgungsplattform einfließen, die 2025 fertig werden und jährlich 750 Tonnen Munition beseitigen soll. Sie kostet rund 70 Millionen Euro.

Dass überhaupt so viele Kampfstoffe in Nord- und Ostsee schlummern, liegt an den Alliierten des Zweiten Weltkriegs: Sie hatten die größtenteils aus deutschen Arsenalen stammende Munition nach dem Krieg im Meer entsorgt. Seither rottet sie vor sich hin und setzt Gift frei. In Fischen und Muscheln sind bereits krebserregende Schadstoffe aus alter Munition gefunden worden. Sie drohen über die Nahrungskette auch auf dem Teller der Verbraucher zu landen.

Verbrennungen am Strand durch Phosphor

Zudem kommt es wegen der Altlasten hin und wieder zu Verletzungen am Strand. Laut Lemkes Ressort haben sich in den letzten zehn Jahren acht Menschen durch Kontakt mit Giftstoff aus dem Meer verletzt – die Mehrzahl von ihnen, weil sie am Strand Phosphor oder Schießwolle angefasst haben. Weißer Phosphor sieht aus wie Bernstein, führt aber beim Berühren zu Verbrennungen. Schießwolle kann ebenfalls aussehen wie ein Stein und führt bei Kontakt zu gelblicher Hautverfärbung oder schmerzhaften Blasen.

Mehr lesen