Altlasten aus dem Weltkrieg

Giftige Munition im Meer: So will Umweltministerin Steffi Lemke sie bergen

Munition im Meer: So will Umweltministerin Steffi Lemke sie bergen

Giftige Munition im Meer

Henning Baethge/shz.de
Schleswig-Holstein
Zuletzt aktualisiert um:
Alter Sprengkörper in der Ostsee: Die Alliierten haben nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Munition in den Meeren versenkt. Foto: Jana Ulrich/Forschungstauchzentrum CAU Kiel/dpa/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Rund 1,6 Millionen Tonnen Munition ruhen in Nord- und Ostsee. Eine komplette Beseitigung hält Ministerin Lemke für unmöglich – aber an ausgewählten Orten will sie die Bergung nun versuchen. Wo und wie es losgehen soll.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat erstmals Details und einen Zeitplan für ihr „Sofortprogramm“ zur Bergung von Weltkriegsmunition aus der deutschen Nord- und Ostsee genannt. Demnach hält die Grünen-Politikerin eine flächendeckende Beseitigung der in den Meeren schlummernden 1,6 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten zwar für „nicht umsetzbar“. Doch „in leicht zugänglichen Lagen mit hohen Erfolgsaussichten“ sollen all diejenigen Sprengkörper geräumt werden, die „in noch bergungsfähigem Zustand“ sind.

In der Ostsee ist die Bergung billiger als in der Nordsee

Die Pläne gehen aus einer Antwort von Lemkes Ressort auf eine Anfrage des SSW-Bundestagsabgeordneten Stefan Seidler und der Linken-Fraktion hervor. Beginnen will Lemke demnach in der Ostsee, weil die Kosten für die Bergung dort niedriger sind als in der Nordsee, wo deutlich mehr Munition liegt. Die Ministerin will eine schwimmende Plattform bauen lassen, von der aus Roboter die Bomben, Granaten, Torpedos und Minen aus dem Meer holen sollen. Auf der Plattform würden die Sprengkörper dann in Stahlkammern unschädlich gemacht und verbrannt.

Das Projekt wäre eine Weltpremiere

Den Planungsauftrag für die Plattform will Lemke noch dieses Jahr vergeben, Baubeginn soll 2023 sein, Fertigstellung 2024. „Erste Pilotbergungen, Erprobung und Optimierung sind frühestens Ende 2024, Anfang 2025 zu erwarten“, schreibt Lemkes Staatssekretärin und Parteifreundin Bettina Hoffmann in der Antwort an Seidler und die Linke. Hätte das Projekt Erfolg, „wäre dies die weltweit erste Erprobung zielgerichteter und konzentrierter Beräumung munitionsbelasteter Flächen auf dem Meeresboden“, betont sie.

Kosten und Finanzierung sind noch offen

Offen sind allerdings noch Kosten und Finanzierung der Pläne. „Die bisher verfügbaren Fakten und der erst anstehende Beginn der Planung lassen seriöse Schätzungen zur Höhe der Kosten noch nicht zu“, heißt es in der Antwort vom Lemkes Ressort. Fachleute gehen derzeit von hundert Millionen Euro für eine Bergungsplattform samt Gerät aus.

So viel Geld stellt die Ministerin aber in den kommenden vier Jahre nicht bereit. Zwar verspricht sie erstmals, dass nächstes Jahr von insgesamt 22 Millionen Euro für den Meeresschutz der Löwenanteil von 20 Millionen in die Munitionsbergung fließen werde. Doch in den drei Folgejahren sind nur insgesamt 36 Millionen in Lemkes Etat eingeplant – zu wenig für eine Plattform.

Lemke sieht auch Kiel und Schwerin am Zug

Allerdings sieht Lemke auch die Küstenländer am Zug – für die Ostsee vor allem die Anrainer Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Nach 2026 will Lemke ihr Sofortprogramm ohnehin durch einen Fonds ersetzen, den die Küstenländer mitfinanzieren sollen. Die schwarz-grüne Regierung in Kiel hat auch schon in ihrem Koalitionsvertrag zugesagt, Projekte zur Munitionsbergung zu „unterstützen“. Doch auf einen Betrag hat sie sich nicht festgelegt. Vielmehr ist nur von einem „fairen Anteil“ des Landes die Rede.

SSW-Mann Seidler freut sich über Priorität für die Ostsee

Der Flensburger SSW-Abgeordnete Seidler freut sich einerseits über die Pläne von Ministerin Lemke. „Dass die Ostsee bei der Bergung von Munitionsaltlasten gegenüber der Nordsee priorisiert werden soll, ist für den Wahlkreis Flensburg eine gute Nachricht“, sagt er gegenüber shz.de.

Andererseits kritisiert Seidler, dass Lemke zu wenig Geld bereitstellt: „Es wäre sowohl für mich als auch für alle anderen Menschen an der Küste eine Erleichterung, wenn die Bundesregierung die Finanzmittel für dieses wichtige Vorhaben großzügiger ansetzen würde.“ Dafür werde er deshalb bei den Etatverhandlungen in Berlin kämpfen.

Das Gift aus dem Meer gerät in die Nahrungskette

Dass geschätzt 1,6 Millionen Tonnen Munition und 5000 Tonnen chemische Kampfstoffe in Nord- und Ostsee schlummern, liegt an den Alliierten des Zweiten Weltkriegs: Sie hatten die größtenteils aus deutschen Arsenalen stammende Munition nach dem Krieg im Meer versenkt. Seither rottet sie vor sich hin und setzt Gift frei. In Fischen und Muscheln sind bereits Schadstoffe aus alter Munition gefunden worden. Die Gifte drohen so über die Nahrungskette auf dem Teller der Verbraucher zu landen.

Menschen verletzen sich am Strand an Phosphor

Wie dringlich das Problem ist, zeigen auch bisher unveröffentlichte neue Zahlen von Lemke: Demnach sind allein in den letzten neun Jahren fast 27.000 alte Bomben, Granaten oder Minen in Nord- und Ostsee entdeckt worden. Und acht Menschen haben sich durch Kontakt mit Giftstoffen aus dem Meer verletzt – in den meisten Fällen, weil sie am Strand Phosphor angefasst haben. Weißer Phosphor sieht aus wie Bernstein, führt aber beim Berühren zu Verbrennungen.

Mehr lesen