Femizid

Frauennotruf Nordfriesland reagiert auf Tötung einer Frau aus Husum

Frauennotruf Nordfriesland reagiert auf Tötung einer Frau aus Husum

Frauennotruf reagiert auf Tötung einer Frau aus Husum

Jonna Marlin Lausen/shz.de
Husum
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Petra Stadtländer leitet die Frauenberatung und Notruf Nordfriesland mit Hauptsitz in Husum. Eine weitere Außenstelle gibt es in Niebüll. Foto: Jonna Marlin Lausen/shz.de

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Mit sieben Stichen wurde eine Husumerin Anfang des Monats getötet. Zu den Hintergründen der Tat ist weiterhin wenig bekannt. Der Ex-Mann der getöteten Frau sitzt in U-Haft. Die Mitarbeiterinnen des Frauennotrufes sprechen von Femizid.

Was sich genau am Dienstag, 6. September, in der Herzog-Adolf-Straße in Husum zugetragen hat, ist weiterhin unklar. Der Ex-Mann der getöteten 71-Järhigen, der als mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft sitzt, habe bisher kein Geständnis abgelegt. Die Ermittlungen dauern an, mehr könne man zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, heißt es von der Oberstaatsanwältin Dr. Inke Dellius.

Auch bei Ex-Partnern spricht man von Femizid

Für Petra Stadtländer ist die Sache klar: „Auch, wenn wir die Vorgeschichte der Tat nicht kennen, handelt es sich hier um eine extreme Gewalttat gegen eine Frau“, sagt die Mitarbeiterin der Frauenberatung & Notruf Nordfriesland. Als sie und ihre Kolleginnen von der Tat erfuhren, war klar, dass sie ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen setzen, in die Öffentlichkeit gehen und über Hilfsangebote informieren wollten. Also standen sie am Sonnabend von 9 bis 12 Uhr gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des Kinderschutzzentrums Westküste mit einem Infostand auf dem Husumer Marktplatz und spachen mit Marktbesuchern.

„Für das schlechte Wetter war ganz gut was los“, sagt die Diplom-Sozialpädagogin. Neben dem bestürzenden Anlass, stand für sich im Vordergrund, die Menschen als Nachbarn, Angehörige, Freunde und damit als potenzielle Helfer und Unterstützer anzusprechen, wenn sie Gewalt gegen Frauen in ihrem Umfeld bemerken. „Wir möchten erreichen, dass sie sich trauen, die Polizei zu informieren, die Betroffene unter vier Augen anzusprechen, auf Hilfsangebote hinzuweisen, eventuell dahin zu begleiten“ erklärt Stadtländer. Auch für von Gewalt betroffene Männer und die Partnerschaftsgewalt miterlebende Kinder gibt es Hilfsangebote.

Zahlen eindeutig: Hauptsächlich Frauen von Partnerschaftsgewalt betroffen

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Von Partnerschaftsgewalt sind zu 80 Prozent Frauen betroffen. Jedes Jahr im November gibt das Bundeskriminalamt (BKA) eine Statistik heraus mit Zahlen vom Vorjahr. In diesem Jahr steht sie also noch aus. Fakt ist aber, dass 2020 in Deutschland 139 Frauen durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet wurden, sieben davon durch Totschlag mit Todesfolge. „Das Ergebnis ist das gleiche“, macht Stadtländer deutlich. Die Frauen sind tot.

Hinzu kommen all diejenigen, die von Gewalt betroffen sind. Zum Frauennotruf Nordfriesland, die ihren Hauptsitz in Husum und eine Außenstelle in Niebüll haben, sind im vergangenen Jahr 365 Frauen gekommen. Im Schnitt also eine neue Frau pro Tag. Unter denjenigen, die wegen Gewalterfahrungen kamen, wurden 223 Frauen aufgrund von häuslicher Gewalt beraten, 202 zu sexualisierter Gewalt. „Sichtbar werden diejenigen, die sich selbst bei der Beratungsstelle melden oder aufgrund unseres Anrufs nach einem Polizeieinsatz Unterstützung annehmen“, so Stadtländer. Die Anzahl derjenigen, die sich noch keine Hilfe holen, ist derweil unbekannt.

Und Gewalt ist vielfältig. „Das blaue Auge ist offensichtlich. Doch es gibt Frauen, die lange in einer Gewaltbeziehung leben, ohne, dass jemand etwas sieht“, weiß die Sozialpädagogin. Es gibt viele Formen: Zum Beispiel sexualisierte Gewalt, psychische Gewalt, digitale Gwalt. Häufig wiederfährt Betroffenen eine Mischung. Das Selbstwertgefühl der Frauen, die lange in einer gewaltvollen Partnerschaft leben, sinkt. Auch Scham sorgt dafür, dass die Gewalterfahrung nicht nach außen getragen wird.

Zusammenarbeit zwischen Polizei und NGO, Frauenhäusern und Co.

Das bundesweite Hilfetelefon (Tel.: 08000 115 016) „Gewalt gegen Frauen“, welches rund um die Uhr und kostenlos erreichbar ist, ergänzt das Beratungsangebot des Frauennotrufs vor Ort. Neben der Beratung sind Prävention und Öffentlichkeitsarbeit wichtige Angebote, um Betroffenen den Weg aus der Gewalt zu ermöglichen. Nach Möglichkeit, bevor Schlimmeres passiert. In zwei Pilotregionen in Schleswig-Holstein arbeiten bereits Polizei, Frauennotrufe, Frauenhäuser, Jugendamt, Täterarbeit in Fallkonferenzen zusammen, um Hochrisikofälle bei Gewalt in Partnerschaften zu erkennen, effektive Maßnahmen zum Schutz zu entwickeln und ein wirksames Fallmanagement aufzubauen. Stadtländer hofft nach Beendigung und Auswertung der Pilotphase auf eine Ausweitung auch auf Nordfriesland.

Frauenhaus für Nordfriesland soll kommen

Zuletzt hatte eine Bedarfsanalyse des Landes ergeben, dass Einrichtungen zum Schutz von Frauen mehr Geld benötigen. Das Land verbesserte daraufhin seine Bezuschussung. Auch hatte sich herausgestellt, dass es zu wenige Frauenhäuser gibt. In Nordfriesland soll nun eines errichtet werden, hier wurden, weil eben Angebote fehlten, Frauenschutzwohnungen als Übergangsregelung eingerichtet. Der Bedarf ist da.

Das Angebot des Teams der Frauenberatung richtet sich an alle Frauen ab 16 Jahren und ist kostenlos. Früher kamen die Hilfesuchenden mit vermeintlich harmlosen Themen. Fragten die Beraterinnen dann bei Verdacht nach Gewaltvorerfahrungen, trauten sich Frauen zu erzählen: „Ich bin vergewaltigt worden, ich bin misshandelt worden.“

Inzwischen sei im Vergleich zu den Anfängen des Notrufes eine größere Offenheit zu spüren. Das Gesellschaftliche Bewusstsein ändert sich. Gewalterfarhungen werden mittlerweile offener als Anmeldegrund benannt, sagt Stadtländer. Auch 80-Jährige Frauen hätten sich schon an das Notruf-Team gewandt und es nach Jahrzehnten geschafft, sich von dem gewalttätigen Mann zu trennen.

Auch in Präventionsgesprächen oder Schulungen bestätige sich immer wieder, wie viele Frauen betroffen sind. „Jede dritte bis vierte Frau ist von Partnerschaftsgewalt betroffen“, so Stadtländer, jede siebte von sexualisierter Gewalt. Schon allein deshalb könne man eine Tat, wie sie jüngst in Husum geschehen ist, nicht unkommentiert stehen lassen.

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