UN-Konferenz

Diese Erwartung hat Schleswig-Holstein an COP 27

Diese Erwartung hat Schleswig-Holstein an COP 27

Diese Erwartung hat Schleswig-Holstein an COP 27

Frank Jung/shz.des
Schleswig-Holstein
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Bei der 14-tägigen Klimakonferenz geht es um die Zukunft der Welt. Foto: Gehad Hamdy/dpa

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Der großen Entfernung zum Trotz sind viele Schleswig-Holsteiner aktuell gedanklich ganz dicht an dem, was in Sharm El-Sheikh in Ägypten passiert: An den Klimagipfel COP 27 gibt es in Politik und Wissenschaft im Norden viele Erwartungen.

Holger Spreer-Wree erlebt es ganz direkt. Seit zehn Jahren ist er nun mit seiner Frau auf Süderoog ansässig, der kleinsten ständig bewohnten Hallig. „Wir merken den Klimawandel daran, dass während unserer Zeit hier das Wetter instabiler geworden ist“, sagt der Mann aus dem nordfriesischen Wattenmeer. Vor allem auf wärmere Temperaturen im Winter führt er die Veränderung zurück. „Das bedeutet viel Wind, und das wiederum bedeutet mehr Landunter als früher.“

So macht sich der Klimawandel auf der Hallig bemerkbar

Auch an diesem Montag lief das Wasser einen Dreiviertel Meter höher auf als Normal Null. Das war zwar noch keine richtige Sturmflut, aber doch so viel mehr als üblich, dass Spreer-Wree die Schafe auf etwas höher gelegene Flächen holen musste. Ernster sind Schlagseiten für die Natur: Durch länger sich ins Frühjahr ziehende Überschwemmungen „saufen Vogelbruten ab“, erzählt der Mann von der Hallig. Als eine Folge wärmerer Sommer deutet er, „dass sich Parasiten leichter ausbreiten können“. „In diesem Jahr hatten wir deshalb ein Herzmuschel-Sterben.“

In einer Wohnlage so unmittelbar an den Naturgewalten verfolgt man die Weltklimakonferenz COP 27 im ägyptischen Sharm El-Sheikh mit besonderer Aufmerksamkeit: Wenn die Erderwärmung den Meeresspiegel weiter steigen lässt, hat das in der nur marginal dem Meer enthobenen Halligwelt noch schneller Folgen als anderswo ohnehin schon. „Es ist schon sehr interessant für uns, was dabei herauskommt“, sagt Spreer-Wree über das Gipfeltreffen.

Jeglichen Optimismus mit Blick auf COP 27 hat der Süderooger noch nicht aufgegeben: „Man kann nur hoffen, dass die Welt zur Vernunft kommt.“ Darunter versteht er vor allem, dass Staatenlenker und Wirtschaftsverantwortliche „ehrlicher mit der Situation umgehen“. „Greenwashing“ ist dem Halligbewohner ein besonderer Dorn im Auge geworden: Verantwortliche für gewaltige Emissionen von Treibhausgasen können sich seiner Beobachtung nach „zu leicht ihre Weste reinwaschen, wenn sie viel Geld bezahlen“.

„Schleswig-Holstein ist wie kaum ein anderes Bundesland vom steigenden Meeresspiegel betroffen. Auch deshalb hoffe ich auf eine erfolgreiche COP“, sagt Schleswig-Holsteins Klimaschutzminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Selbst bei dem qua Amt Zuständigen sind die Erwartungen jedoch gedämpft: „Ein Blick auf die aktuelle Lage stimmt mich allerdings nicht sonderlich optimistisch. Wahrscheinlich ist es unter den aktuellen Umständen bereits ein Erfolg, wenn überhaupt ein gemeinsames Abschlussdokument zustande kommt“, analysiert Goldschmidt.

Warum ein kraftvolles Signal gerade jetzt wichtig wäre

Dabei würde nach seinen Worten der Weltgemeinschaft ein Zeichen des gemeinsamen klimapolitischen Aufbruchs gerade jetzt noch besser tun als je zuvor. Der Grünen-Politiker hat die Folgen des Ukraine-Kriegs vor Augen: „Die aktuelle Energiekrise legt unsere fossile Verwundbarkeit auf verschiedensten Eben schonungslos offen.“ Ein kraftvolles Signal für eine globale Klimawende wäre deshalb das Gebot der Stunde. Konkret verstünde der Kieler Minister darunter „ein ambitioniertes Abschlussdokument, das klar ausbuchstabiert, wie die Staatengemeinschaft das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen wird.“

Was der Minister als „unhaltbaren Zustand“ sieht

Zu einer erfolgreichen COP zählen für Goldschmidt auch klare Zusagen der reichen Industrienationen für Klimaschutz und Klimaanpassung im armen Globalen Süden. Bei dieser Frage sei viel Glaubwürdigkeit verspielt worden. „Während Deutschland 100 Milliarden in die eigene Sicherheit und 200 Milliarden in die Dämpfung fossiler Energiepreise investiert, haben es die Vertragspartner nicht vollbracht, den vereinbarten globalen Entschädigungsfonds in Höhe von 100 Milliarden Dollar gemeinsam zu füllen. Das ist ein unhaltbarer Zustand.“

Diese Position erhält Rückendeckung aus der Wissenschaft in Schleswig-Holstein: „Es ich wichtig für die reicheren Regionen der Welt, international Verantwortung zu übernehmen“, betont Professor Pao-Yu Oei, Leiter des Studiengangs für Energie- und Umweltmanagement an der Europa-Universität Flensburg. „Das bedeutet, dass wir auch in Schleswig-Holstein eine konkretere Strategie erarbeiten müssen, wie die bisherigen Ziele der Klimaneutralität bis 2040 auch umgesetzt werden sollen.“ Und zwar in allen Sektoren: Strom, Verkehr, Wärme und Industrie.

Weshalb das Stattfinden an sich als Erfolg gelten kann

Martin Visbeck, Professor für Physikalische Ozeanographie am Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, hat selbst schon mehrfach an COP-Klimagipfeln teilgenommen. „Das Stattfinden an sich ist wichtig“, glaubt er – „weil dann in aller Weltöffentlichkeit auf den Punkt gebracht wird, ob die Menschheit alles ihr Mögliche macht oder nicht.“ Seiner Erfahrung nach machen die diplomatischen Verhandler auf einem COP-Treffen „eher nochmal ein paar Milliarden mehr locker, wenn sie von zu Hause durch die breite Aufmerksamkeit auf das Klimathema öffentlichen Druck erhalten“. Für ihn sind im Zweifel auch schon kleine Erfolge ein COP-Treffen wert.

Gleichwohl sind mehr Ambitionen nach Einschätzung Visbecks drängender denn je, soll das 1,5-Grad-Ziel noch eingehalten werden. Der Kieler befürchtet, dass die bisherigen freiwilligen internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz eher eine Erderwärmung um 2,8 Grad bedeuten. „Nur kann sich keiner mehr stärker bewegen, ohne große Opfer zu bringen“, analysiert Visbeck. „Fair“ fände er es, wenn es in Ägypten substanzielle Fortschritte bei finanziellen Kompensationen großer Treibhausgas-Emittenten für arme Staaten gäbe. „Man muss dem globalen Süden zeigen, dass es eine Solidargemeinschaft gibt“, lautet sein Appell. Dann würden sich ärmere Staaten auch leichter in die Pflicht nehmen lassen, bei ihrer wirtschaftlichen Entwicklung eigene Anstrengungen für mehr Klimaschutz zu unternehmen.

Die Meere verdienen bei COP-Treffen mehr Aufmerksamkeit

Als Meeres-Wissenschaftler drängt Visbeck darauf, dass die Staatenlenker und ihre Unterhändler auch die Ozeane beim Klimaschutz verbindlich in den Blick nehmen. Zum einen seien die Emissionen der Schifffahrt bisher bei den international ausgehandelten Klimazielen unter den Tisch gefallen. Zum anderen rät der Kieler „anzuerkennen, dass der Ozean auch ein Lösungsraum sein kann“. Nicht eindeutig geklärt sei bisher etwa, ob ein Staat natürliche CO2-Speicher wie Seegraswiesen oder Mangroven in seine Treibhausgas-Bilanz einbringen kann. Klare Regeln dafür könnten ein Anreiz sein, Mangroven gar nicht erst kaputt zu machen – oder eigens Seegraswiesen anzulegen und diese auch international als klimapolitische Überkompensation zu verkaufen. „So könnten kleine, arme Inselstaaten Geld verdienen.“

Abgeordnete aus SH ist vor Ort

Die schleswig-holsteinische SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt wird sich am 14. November mit einer Parlaments-Delegation selbst zum COP-Gipfel nach Ägypten aufmachen. Entsprechend hoch legt sie die Messlatte für ein Gelingen der Verhandlungen: „Die Vertragsstaaten müssen neue Klimapläne mit konkreten Maßnahmen vorlegen, wie sie ihre bisherigen Klimazusagen nach oben nachbessern wollen“, fordert die Sozialdemokratin. „Fatal“ wäre es aus Burkhardts Sicht, wenn einige Regierungen angesichts der Wirtschaftskrisen nach Corona und des Ukraine-Kriegs versucht wären, Klimapolitik hintenan zu stellen.

Und wie die Industriestaaten die eigentlich schon lange vereinbarten 100 Milliarden Dollar für Klimamaßnahmen in ärmeren Ländern aufbringen wollen, gelte es ebenfalls mit einer Strategie zu unterlegen. Das ist für die Abgeordnete eine Frage der Gerechtigkeit. Denn: „Viele der Länder, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, haben kaum zur Erderwärmung beigetragen.“

Aber auch nach Schleswig-Holstein spannt Burkhardt einen Bogen aus Sharm El-Sheikh: „Ich hoffe, dass COP 27 auch den Druck auf die schwarz-grüne Landesregierung erhöht, endlich einen Fahrplan für Klimaneutralität in Schleswig-Holstein vorzulegen.“ Zwar wolle die neue schwarz-grüne Landesregierung den Norden bis 2040 klimaneutral machen. „Welche Maßnahmen dafür geplant sind, welche Zwischenziele sie sich setzt und wie das Ganze konkret finanziert werden soll, ist aber weiterhin unklar. “

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