Schleswig-Holstein

Björn Engholm: „Ich hätte nie SPD-Chef werden dürfen“

Björn Engholm: „Ich hätte nie SPD-Chef werden dürfen“

Björn Engholm: „Ich hätte nie SPD-Chef werden dürfen“

Kay Müller
Flensburg/Flensborg
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Der älteste noch lebende SPD-Vorsitzende: Björn Engholm führte die Partei von 1991 bis 1993. Foto: Marcus Dewanger

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Seit 60 Jahren ist Björn Engholm jetzt in der SPD. Im Gespräch mit shz.de erzählt der 83-Jährige, warum er trotz seiner langen Mitgliedschaft nie ein klassischer Sozialdemokrat geworden ist – und weshalb er es heute einen Fehler nennt, Bundesvorsitzender geworden zu sein.

Einmal möchte er noch ans Pult. Wie gut, dass im Willy-Brandt-Haus in seiner Heimatstadt Lübeck eines steht, an dem Björn Engholm Ende der 60er Jahre seine erste Rede im Bundestag gehalten hat. „Das ist schon etwas Besonderes, hier zu sein“, sagt der 83-Jährige, der genau vor 60 Jahren in die SPD eingetreten ist und in den 90er Jahren als Hoffnungsträger der Enkel-Generation von Willy Brandt und als potenzieller Nachfolger von Bundeskanzler Helmut Kohl galt.

Es ist anders gekommen. Aber wenn einer so lange SPD-Mitglied ist wie der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident, dann ist es auch Zeit zurückzuschauen. Zurückzuschauen auf ein Leben mit der SPD und zu fragen, was ihn all die Jahre mit dieser Partei verbunden hat. Und warum, der Mann, der vom Hinterbänkler im Bundestag zum Staatssekretär und Minister aufstieg ist, sich durch die Tiefen der Opposition in Schleswig-Holstein und die Abgründe der Barschel-Affäre kämpfen musste, es als bürgerlicher Intellektueller in der SPD schließlich ganz an die Spitze schaffte – und am Ende doch scheiterte.

Es wirkt fast wie ein Hinweis aus der Geschichte, dass der letzte noch lebende SPD-Vorsitzende auf dem Weg zum historischen Rednerpult im Willy-Brandt-Haus an ein paar Schaumstoff-Blöcken vorbeigehen muss, auf denen die Ausstellungsmacher sozialdemokratische Themen geschrieben haben. Der Block mit dem Wort „Asyl“ liegt Engholm im Weg. Er vermeidet es, darüber stolpern, aber er bringt ihn ein wenig aus dem Tritt.

„Es war eine Notwendigkeit“, sagt Engholm heute zu dem Asylkompromiss, den er als SPD-Vorsitzender 1992 mit Bundeskanzler Helmut Kohl ausgehandelt, der die SPD damals für die Verfassungsänderung braucht. In dem Jahr kommen über eine Million Zuwanderer nach Deutschland. „Wir waren auf nichts vorbereitet“, sagt Engholm. Am Ende sehen viele in dem Kompromiss einen Verrat an sozialdemokratischen Idealen, weil das Grundrecht auf Asyl eingeschränkt wird.

„Ich habe bösartigste Angriffe aushalten müssen“, erzählt Engholm, dessen Freundschaft zum Schriftsteller, Motor der sozialdemokratischen Wählerinitiative und späteren Nobelpreisträger Günter Grass damals am Asylkompromiss zerbricht. „Auch in der eigenen Partei habe ich Dinge erlebt, die nicht schön waren.“

Es ist der Moment, in dem Engholm erkennt, dass das Amt der Parteivorsitzenden nicht das richtige für ihn ist. „Ich war nie ein Parteimensch, ich bin gelernter Parlamentarier, meine Leben war Parlament und Regierung“, sagt Engholm. „Ich hätte nie Parteivorsitzender werden dürfen, das war ein Fehler.“

Doch damals kann er nicht Nein sagen. Nach der krachend verlorenen Bundestagswahl 1990 will der gescheiterte Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine nicht Parteivorsitzender werden. Weil aber auch Hans-Jochen Vogel keine Lust mehr hat, wird ein anderer gesucht. Engholm, der bis dahin nur eine einzige Landtagswahl gewonnen hat, lässt sich in die Pflicht nehmen. Es ist die Zeit der Enkel Willy Brandts.

„Die Anfangszeit war euphorisch“, sagt Engholm heute. Die Medien finden Gefallen an dem Mann mit der Pfeife aus dem hohen Norden, der immer ein wenig schüchtern wirkt und nachdenklich guckt. Der auch die leisen Töne beherrscht, gebildet über Musik, Kunst und Literatur sprechen kann, erlesene Weine trinkt und versucht, die egozentrische Riege der ehrgeizigen SPD-Ministerpräsidenten um Rudolf Scharping und besonders Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine einzubinden. „Ich hatte immer die Hoffnung, dass die Köpfe, die auch bei Willy gut gelitten waren, ein Team werden: Wir wären unschlagbar gewesen. Aber keiner hat dem anderen das Gelbe vom Ei lassen wollen. Jeder wusste alles besser“, sagt Engholm, der versucht den Spagat als Parteivorsitzender in Bonn und als Ministerpräsident in Kiel hinzubekommen. Vergeblich. „Es war ein Elendsjob, den ich so nicht lange hätte durchstehen können“, meint Engholm heute.

Schubladenaffäre ist Auslöser, aber nicht der alleinige Grund für den Rücktritt

Am Ende kommt ihm die Schubladenaffäre sogar entgegen, bei der herauskommt, dass Engholm früher von den Machenschaften Uwe Barschels gegen ihn wusste, als er zunächst zugegeben hat. Für seinen Rücktritt „ist sie ein sinnvoller und nicht zu missachtender Auslöser dieser Geschichte gewesen“. Ein bemerkenswerter Satz.

Da hat Engholm schon Jahrzehnte des Fremdelns mit der SPD hinter sich. „Es gibt ein Übermaß an Sozialdemokratie. Ich habe nie Ortsvereine besucht, um meine Wiederwahl zu organisieren. Sozialdemokratie vollzieht sich außerhalb von Zimmern“, sagt Engholm – und meint Hinterzimmer, in den Politiker um ihre Wiederwahl kungeln.

Karriere nach dem Rauswurf aus der Schule

Doch das zählt viel beim sozialdemokratischen Fußvolk – genau wie die klassische Arbeiterbiografie, die Engholm fehlt. „Ich stamme aus einem bürgerlichen Haus“, sagt der heute 83-Jährige. Die Engholms sind nicht finanziell, aber kulturell reich. Und der junge Engholm begehrt auf gegen den Muff der 50er Jahre. Er fliegt mit der Mittleren Reife vom Gymnasium, macht eine Lehre als Schriftsetzer. „Mein ganzes Leben war ein Bildungsweg“, sagt Engholm, der es auf dem zweiten Bildungsweg bis in die Universität schafft und durch sein forsches Auftreten ein Bundestagsmandat erringt.

„Als wir 1969 in Bonn ankamen, hatten wir die Absicht, die ganze Welt zu ändern, nicht weniger“, sagt Engholm heute. Aber dann hätten er und die anderen neuen jungen Angeordneten gemerkt, „dass das im Bundestag und mit der dortigen SPD nicht leicht ist. Und dann haben wir uns als praktische Menschen das Feld gesucht, das einem am besten liegt.“

Für Engholm wird es die Bildungspolitik. „Meine Kollegen, die auf Karriere aus wahren, wussten, dass man mit Bildung im Bund nichts werden kann, weil der Bund gegenüber den Ländern nicht viel zu sagen hat. Aber ich konnte mein Ding machen“, erzählt Engholm. Und irgendwann sei man als Staatssekretär und Minister einfach nicht mehr an ihm vorbeigekommen. Und bei solchen Sätzen spürt man, dass eben das Engholms Ding war.

Doch nach dem Ende der sozial-liberalen Koalition in Bonn lässt sich der Ex-Minister Anfang der 80er Jahre in die Pflicht nehmen. „Du hast von der Partei profitiert, jetzt musst Du etwas zurückgeben“, habe man ihm gesagt. Und wie Engholm mit der Partei in Schleswig-Holstein fremdelt, zeigt eine Anekdote, die der 83-Jährige heute noch gern erzählt: „Als ich mein Büro als Fraktionsvorsitzender in Kiel bezog, gab es da nur 24 Flaschen Flensburger Pils und sechs Flaschen Aquavit.“ Er habe gesagt: „Wir müssen doch auch einen anständigen Wein haben.“ Er habe dafür gesorgt, dass der künftig im Kühlschrank lag. Viele in Partei und Fraktion hätten danach gesagt: „Der Engholm ist ein Bourgeois. Ich habe aber nie begriffen, was ein gutes Getränk mit Bourgeoise zu tun hat.“

Ausstellung statt Ortsverein

In einem Interview sagt er einmal, dass er lieber eine Ausstellung als einen Ortsverein besucht. Das kommt nicht gut an, genauso wenig, dass Engholm bei seiner Regierungsübernahme in Kiel, auch Menschen in sein Umfeld holt, die nicht die klassische Ochsentour absolviert haben.

Aubruchstimmung nach Barschel-Zeit

Engholm lüftet nach seinem Regierungsantritt 1988 in Schleswig-Holstein nach Jahrzehnten der CDU-Regierung einmal gesellschaftlich durch. Er holt Querköpfe wie den Kieler Professor Berndt Heydemann als Umweltminister in sein Kabinett, das er zur Hälfte mit Frauen besetzt. Plötzlich gibt es ein Naturschutzgesetz und mit Kurt Hamer einen Minderheitenbeauftragten.

So lange der Erfolg anhält, kann niemand etwas dagegen sagen. Doch Engholm weiß selbst, dass er nicht derjenige ist, der die Partei modernisieren kann. Er versucht Reformen, will die SPD für Seiteneinsteiger öffnen – und scheitert. Und ihm fehlt der letzte Wille zur Macht. Sein Satz zur Schubladenaffäre zeigt das exemplarisch.

Und was bleibt? Am Ende ist Engholm jemand, der eine andere Kultur in die SPD bringt – und damit ist mehr gemeint als ein paar Flaschen Wein. Der Lübecker eckt an, er tut es bis heute, und er kann auch bürgerlich-arrogant wirken. In seinen Anfängen galt er als Linker, bildungspolitisch als Reformer, am Ende scheiterte an den Auswirkungen der Barschel-Affäre, aber eben vor allem an sich selbst – auch weil er einen Kompromiss in einer strittigen Frage suchen musste, die die SPD spaltetet und weil ihm der Rückhalt in der eigenen Partei fehlte.

Und dennoch, sagt Engholm nach 60 Jahren in der SPD und vielen Reden am Pult einen Satz, der für einen Haderer mit und kritischen Geist der Sozialdemokratie bemerkenswert ist: „Es gab nicht viele Dinge, die mich von meiner Partei getrennt hätten.“

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