Letztes Kernkraftwerk in SH

Atomkraftgegner in Brokdorf: „Die Kuppel muss weg“

Atomkraftgegner in Brokdorf: „Die Kuppel muss weg“

Atomkraftgegner in Brokdorf: „Die Kuppel muss weg“

SHZ
Brokdorf
Zuletzt aktualisiert um:
Prägend für Generationen von Grünen: Der Protest gegen das AKW Brokdorf brachte Heinrich Voß (70, l.) und Malte Krüger (28) zur Partei. Foto: Michael Ruff / SHZ

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Der Kampf um den Ausstieg aus der Atomkraft hat Generationen von Grünen geprägt – und mit der Abschaltung des Kernkraftwerks in Brokdorf ist er noch lange nicht zu Ende, wie ein Gespräch zweier Aktivisten zeigt.


Heinrich Voß steht auf dem Deich und schaut auf das, was er nie haben wollte. Ein paar hundert Meter von ihm entfernt steht an der Elbe das Kernkraftwerk Brokdorf, das in wenigen Tagen abgeschaltet wird – und gegen dessen Betrieb der 70-Jährige gekämpft hat seit er ein junger Mann ist. Er könnte jetzt angesichts des nahenden Termins an dem das letzte Atomkraftwerk (AKW) in Schleswig-Holstein vom Netz geht, bewegt sein oder wenigstens ein bisschen emotional. Aber Voß sagt: „Natürlich freue mich ,aber gleichzeitig muss ich an die offenen Fragen des Rückbaus und die nicht gelöste Endlagerung des radioaktiven Abfalls denken.“

Weiter lesen:

Ähnlich ist das bei Malte Krüger. Der könnte Voß’ Enkel sein – aber wie sein Parteifreund ist auch er wegen des Kampfs gegen das Kernkraftwerk in Brokdorf bei den Grünen Mitglied geworden. Der 28-Jährige sagt: „Vielleicht sollten wie beide einen Schnaps trinken wenn das AKW vom Netz geht.“

Zwei Generationen stehen auf dem Elbedeich, zwei aus einer Partei, aus einer Region, für die der Atomausstieg Teil ihres politischen Lebens ist. Und doch sind es ziemliche Unterschiede, die die Generationen prägen und den langen Weg zum Ausstieg markieren.


Als Heinrich Voß 1983 zu den Grünen kommt, stützen die sich vor allem auf vier gesellschaftliche Säulen: die Frauen-, die Friedens-, die Umwelt- und die Anti-Atom-Bewegung. Alle gespeist ausden sozialen Bewegungen, die damals ohne Internet auskommen müssen. 1973 hat Voß das erste Mal davon gehört, dass ein Kernkraftwerk in Brokdorf entstehen soll. Der Landwirtssohn besucht damals gerade die Meisterschule, es ist klar, dass er mal den elterlichen Hof übernehmen wird, der nur wenige Meter vom geplanten Kraftwerk entfernt liegt. Zweifel an der Sicherheit der Technik treiben ihn schon damals an. „Und das Verwaltungsgericht in Schleswig 1976 hat auf unsere Klage hin einen Baustopp verfügt, weil die Entsorgungsfrage nicht geklärt war“, sagt Voß und grinst ein wenig – während Malte Krüger heftig den Kopf schüttelt. „Wahnsinn, es war schon damals klar was heute und in der Zukunft das größte Problem sein wird“, sagt der 28-Jährige.

Brokdorf – ein geschichtlicher Erinnerungsort

Er kennt die Demonstrationen aus Brokdorf nur aus Büchern und Filmen. „Ich musste mir anhand der Bilder erstmal verdeutlichen, was da alles hier in meiner unmittelbaren Umgebung stattgefunden hat“, sagt Krüger, der sich gerade um ein Landtagsmandat für seine Partei bewirbt. Die Bilder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, von Polizisten, die Tränengas auf Demonstranten abfeuern und von Protestierenden, die auf Polizisten einschlagen, werden so für ihn lebendig. Heinrich Voß hat hingegen selbst gesehen, wie die Hubschrauber abkippten um die Luft so zu verwirbeln, dass Demonstranten in die Gräben der nass-kalten Wilstermarsch geschleudert wurden. „Ich war eigentlich immer dabei.“ Und doch bleibt er der bodenständige Landwirt aus der Wilstermarsch. Wenn die Demonstranten wieder in ihre WGs in den Großstädten zurück gelehrt sind, bewirtschaftet er weiter seinen Hof.

Massendemos in den 80er Jahren

Voß spricht nicht so gern über die Demos, dabei sind mittlerweile Geschichte. Es gibt sie nach 1981 als das Oberverwaltungsgericht Lüneburg den Baustopp aufhebt – mit der Begründung, dass es Fortschritte in der Endlagerfrage gebe. Danach demonstrieren 100000 Menschen in Brokdorf, 10000 Polizisten sichern das Kraftwerksgelände. Am Ende gibt es auf beiden Seiten mehrere Dutzend Verletzte. In den folgenden Jahren gibt es weitere Groß-Demos – doch auch sie verhindern nicht, dass das AKW Ende 1986 ans Netz geht.


Die Grünen sind da noch nicht mal im Landtag. Wohl kaum jemand denkt daran, dass diese Partei irgendwann mal den Vizekanzler stellen, den Ausstieg aus der Atomenergie und den Rückbau der Kraftwerke mit abwickeln wird. Doch wie die Bewegung wandelt sich auch die Partei, sie wird bürgerlicher, wenige radikal – und kompromissfähiger. Der Atomausstieg, den die rot-grüne Bundesregierung 1998 beschließt, wird am Ende keine Wirklichkeit.

Mehr lesen:

Heinrich Voß macht keinen Hehl daraus, dass es ihn manchmal frustriert hat, dass er den Bau des AKWs in Brokdorf nicht verhindern konnte. Einige Atomkraftgegner, die anfangs mit ihm bei den Grünen waren, sind mittlerweile ausgetreten, weil ihnen der Ausstieg nicht schnell genug ging – er ist geblieben. „Ich denke ja nicht jeden Tag an das Kraftwerk“, sagt er – auch wenn er es von seinem Garten aus sehen kann. Und dass es jetzt vom Netz geht, das sieht er auch ausdrücklich als Verdienst der Atomkraftgegner, die nicht bei den Grünen sind.

Gang durch die Institutionen

Voß selbst geht den Weg durch die Institutionen. Neben seinem Hof beackert er den Kreistag, in dem er seit fast zwei Jahrzehnten Mitglied ist. Sein Bruder Bernd, sitzt seit 2009 für die Grünen im Landtag, aus dem er im Mai ausscheidet. „Wir wollten nicht nur demonstrieren und vor Gericht klagen sondern auch parlamentarisch für den Ausstieg kämpfen“, sagt Voß. „Und Eure Beharrlichkeit hat sich am Ende ausgezahlt“, meint Krüger.


„Ich sehe uns jedenfalls nicht als Verlierer“, entgegnet der 70-Jährige. Nach Brokdorf sei schließlich kein neues Atomkraftwerk mehr in Deutschland gebaut worden. Atomkraftgegner verhindern auch den Bau einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage, der Protest wird friedlicher. Wie sehr er in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, zeigt eine Menschenkette, die 120000 Demonstranten 2010 über 127 Kilometer vom AKW in Krümmel bis zu dem in Brunsbüttel bilden.

Neben den Grünen sind auch SPD und FDP im Land seit Jahren für die Abschaltung. Doch 2011 ist es eine Kanzlerin von der CDU, die den Atomausstieg durchsetzt. Krüger ist da selbst gerade erst zu den Grünen gestoßen – drei Wochen vor dem Super-Gau in Fukushima. Wie Voß ist er in Wewelsfleth aufgewachsen, in Sichtweite des Kernkraftwerks. „Natürlich gehörte das irgendwie dazu“, sagt der junge Mann. „Meine Eltern waren kritisch, was die Kernkraft angeht, aber sie haben mich nicht in eine Richtung gedrängt.“ Anders als in den 70er und 80er Jahren wird in Krügers Jugend in Glückstadt auch in Schulen über das Thema diskutiert. „Da gab es natürlich schon Kontroversen – die musste man dann am Ende akzeptieren.“

Weiter lesen:

Voß kennt hingegen auch heftigere Debatten. „Der Streit um die Atomkraft hat ganze Familien in der Region gespalten“, sagt er.

Für Krüger ist das heute noch schwer vorstellbar – er kennt die massiven Konfrontationen nur aus Erzählungen, etwa als ein Aktivist der ersten Stunde vor zehn Jahren in seiner Schule zum Film „Das Ding am Deich“ von früher berichtet – es ist Heinrich Voß. „Für mich ist er ein Vorbild“, sagt Krüger.


Er sieht es auch als Teil seiner politischen Aufgabe, zu Ende zu bringen, was Voß und seine älteren Parteifreunde angefangen haben. Denn für Krüger ist das Atomzeitalter noch lange nicht vorbei. Er selbst erlebt Diskussionen an seiner Schule, in denen die Schüler darüber diskutieren, ob neue Kernkraftwerke ein Hebel sind, um den Energiehunger der Gesellschaft so zu steuern, dass angesichts des Klimawandels keine Emissionen entstehen. „Als Politik-Lehrer freuen mich solche Diskussionen, auch wenn ich als Grünen-Politiker natürlich eine klare Meinung habe.“

Denn für Krüger steht fest, dass das die Kernenergie eine Technik der Vergangenheit ist. Wie Voß will er zwar an die Geschichte der Atomkraft in Brokdorf erinnern. Aber eines sei auch klar: „Die Kuppel muss weg.“


Die Abschaltung kann für beide da nur ein Zwischenschritt sein, im Kampf gegen eine Technik, die sie immer noch für riskant halten – und die Müll produziert, von dem keiner weiß, wo er einmal landen wird. Und deshalb sagt Malte Krüger an diesem Tag auf dem Elbedeich in Brokdorf zu Heinrich Voß: „Der Kampf ist nicht zu Ende.“ Und Voß antwortet: „Ich bin froh, dass wir den Kampf weiterführen.“

Und auf die Frage, ob es nicht auch sein Verdienst war, dass das AKW vom Netz geht, lächelt Heinrich Voß leicht und sagt dann: „Der Erfolg war möglich, weil viele Menschen überall beharrlich an diesem Thema gearbeitet haben.“

Mehr lesen