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Matthias Alpen: Für andere da sein ist unsere beste Werbung

Matthias Alpen: Für andere da sein ist unsere beste Werbung

Matthias Alpen: Für andere da sein ist unsere beste Werbung

Apenrade/Tingleff
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Auch wenn ein Blick zurück an einem 100. Geburtstag angebracht ist, schaut der Senior der NG, Matthias Alpen, doch vor allem nach vorn. Foto: Karin Riggelsen

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100 Jahre Nordschleswigsche Gemeinde: Was ist erreicht – und wie geht es weiter? Der NG-Senior Matthias Alpen verrät im Interview, wie er die Minderheit heute – und in Zukunft – sieht.

Kirche in Nordschleswig nach 1920

Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren, nach der Abstimmung von 1920 wurde der Landesteil Nordschleswig dänisch.

In den vier nordschleswigschen Städten Sonderburg (Sønderborg), Hadersleben (Haderslev), Apenrade (Aabenraa) und Tondern (Tønder) wurden deutsche Pfarrämter innerhalb der Dänischen Volkskirche (Folkekirke) eingerichtet.

Die Pastorinnen und Pastoren in den Städten sollten zudem die deutsche Landbevölkerung versorgen. Weil das schwer möglich war, wurde 1923 die Nordschleswigsche Gemeinde (NG) gegründet und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins angeschlossen.

Die NG wird heute von der Vorsitzenden Mary Tarp ehrenamtlich geleitet. In den fünf Pfarrbezirken arbeiten sechs Pastorinnen und Pastoren. Senior Matthias Alpen leitet den Konvent, zu dem auch die vier Pastorinnen und Pastoren aus den Städten gehören.

Die fünf Pfarrbezirke sind Buhrkall (Burkal), Gravenstein (Gråsten), Hoyer/Lügumkloster (Højer/Løgumkloster), Süderwilstrup (Sdr. Vilstrup) und Tingleff (Tinglev).

 

Die Nordschleswigsche Gemeinde feiert im März 100. Geburtstag. Das ist ein Grund zum Feiern – mit vielen deutsch-dänischen Akzenten – und ein Anlass, den Senior der NG zu interviewen. Matthias Alpen erzählt, was ihn freut und was geplant ist – etwa ein Magazin, das „spannend zu lesen und stellenweise auch sehr witzig ist“. Außerdem vermittelt er seine Sichtweise über die Minderheit und spricht über die Herausforderungen der Zukunft.

Matthias Alpen, am Sonntag, 26. März, findet die große Festveranstaltung zum 100. Geburtstag der Nordschleswigschen Gemeinde statt. Bis dahin haben du und etliche andere Mitstreiterinnen und Mitstreiter viel Zeit und Energie in die Vorbereitungen gesteckt. Worauf und worüber freust du dich am meisten?

„Ich freue mich sehr, dass sich so viele aus der Gemeinde zu dem Gottesdienst und dem anschließenden Empfang angemeldet haben. 100 Jahre sind ja auch etwas ganz Besonderes. Und nach Tingleff kommen Menschen von nördlich und südlich der Grenze. Das zeigt, dass Kirche als wichtiger Teil des Grenzlandes wahrgenommen wird. Und so verstehen wir uns auch: Wir sind da für die Menschen in der Minderheit und neuerdings auch für die vielen Zugezogenen, die in ihrer Heimatsprache seelsorgerisch betreut werden möchten.

Außerdem freue ich mich auf die besondere Musik im Festgottesdienst. Zum einen spielt Jan Simowitsch, Popkantor der Nordkirche, die Orgel und moderne Kirchenmusik. Und dann hat sich eine Band wieder formiert, die zuletzt 1999 auf einem evangelischen Kirchentag gespielt hat –  DEKTonium unter Leitung von Nis-Edwin List-Petersen. Die Abkürzung DEKT steht für Deutscher Evangelischer Kirchentag. Die Gruppe hat sich in den 80er- oder 90er-Jahren gegründet, als Nis-Edwin noch Leiter der Bildungsstätte Knivsberg war. Sie haben sich damals auf dem Berg mehrfach getroffen, um moderne neue deutsche Kirchenlieder zu komponieren. Nis-Edwin hat die Gruppe für unseren 100. Geburtstag wieder zusammengetrommelt. Am Vorabend des Jubiläumsgottesdienstes geben Simowitsch und DEKTonium zudem erstmals gemeinsam ein Konzert im Haus Nordschleswig. Das ist schon eine großartige Sache.

Aber vermutlich ist das noch nicht alles, was dich freut …

Mich freut auch sehr, dass Bischof Gothart Magaard aus Schleswig und die dänische Bischöfin Marianne Christiansen aus Hadersleben den Festgottesdienst gemeinsam gestalten. Das unterstreicht gewissermaßen auch, wie gut und eng dänische Folkekirke und Nordkirche zusammenarbeiten und Ideen gemeinsam entwickeln. Beide sind dem Grenzland eng verbunden. Wir treffen uns regelmäßig zum Austausch. Dass Marianne auch als Bischöfin der dänischen Minderheit in Tingleff bei der deutschen Minderheit predigt, sehe ich als Zeichen für die Zukunft an.

Wir freuen uns außerdem darüber, dass auch der deutsche Botschafter Pascal Hector und die Gesandte Andrea Berdesinski zur Festveranstaltung kommen, wie auch alle nordschleswigschen Bürgermeister. Es ist schön, dass Kirche in der Minderheit von diesen politischen Repräsentanten wahrgenommen wird.“

100 Jahre sind kirchengeschichtlich kein Alter, und doch spiegeln die Veränderungen der NG auch die dramatische Geschichte des Grenzlandes wider.

Matthias Alpen, Senior der NG

Wie beschreibst du die Minderheit?

„Ich beschreibe die deutsche Minderheit in Nordschleswig einerseits über die Rechte, die sie hat – etwa durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen –, und andererseits dadurch, dass wir heute auch mit der Mehrheitsbevölkerung arbeiten und für sie. Wir Menschen aus der Minderheit sind ja nicht nur für uns selbst da. Wir sind offen und kein geschlossener Raum. Deshalb freut mich diese enge Kooperation.“

Was genau meinst du damit?

„Vor Ort erleben wir, wie gut es funktioniert, wenn wir die Kirchen der Folkekirke ,leihen’. Ich meine damit die Zusammenarbeit mit den dänischen Kirchendienern vor Ort oder auch mit dem Friedhofspersonal. Viele Gemeindeglieder der NG bringen sich gleichzeitig ehrenamtlich in die Gemeinschaften in den Orten ein – etwa im Sportverein oder bei einer Dorferneuerung. Aber auch bei den Pfadfindern, in Älterenorganisationen, in der Politik oder im Kommunalrat.

Matthias Alpen lobt im Interview auch die gute Zusammenarbeit zwischen dänischer Folkekirke und Nordkirche. Foto: Karin Riggelsen

Ihr wollt zum 100. Geburtstag nicht nur ein mehr als 100-seitiges Magazin herausgegeben, sondern habt auch ein Programm zusammengestrickt, mit Veranstaltungen über das ganze Jahr verteilt. Wer hat da mitgearbeitet, und wie würdest du das Heft charakterisieren?

„Zum Redaktionsausschuss gehörten die Kirchenältesten Ellen Blume und Andrea Kunsemüller, Pastor Ole Cramer und ich, aber auch Leute aus allen Pfarrbezirken waren dabei. Beim Planen und Organisieren der Veranstaltungen und Gottesdienste für 2023 haben auch Dirk Jürgensen, Frauke Lorenzen, Georg Thomsen, Mary Tarp, Claus Erichsen und aus der Geschäftsstelle Thea Christensen und Gerd Lorenzen mitgewirkt. Außerdem haben Andrea Kunsemüller und Hiltrud Petersen-Koch mit viel Aufwand einen besonderen Gemeindebrief zum Jubiläum erstellt.

Das Magazin trägt den Titel ,Wo Menschen sich begegnen – ein Magazin über kirchliches Leben in Nordschleswig und im deutsch-dänischen Grenzland’, und es beschreibt sehr lebendig unsere heutige Gemeindearbeit. Wir haben etwa Kirchenälteste der NG und Stadtgemeinderatsmitglieder interviewt und sie gefragt, wie sie auf kirchliches Leben in Nordschleswig sehen. Das ist sehr spannend zu lesen und stellenweise auch sehr witzig. Wir schildern auch die Gemeinsamkeiten der Nordschleswigschen Gemeinde und der Stadtgemeinden, obwohl wir ja in verschiedenen Systemen arbeiten und unterschiedliche Aufgabenbereiche haben.

Zur Vorbereitungsgruppe des 100. Geburtstages der Nordschleswigschen Gemeinde gehören (v. l.) Thea Blume Christensen, Mary Tarp, Ellen Blume, Dirk Jürgensen, Georg Thomsen, Claus Erichsen und Frauke Lorenzen. Foto: privat

Gewissermaßen beschreiten wir auch darin neue Wege, indem wir den Fokus nicht nur auf die NG richten, sondern auch die Stadtgemeinden nach Beiträgen gefragt haben. Deutsche Kirchengemeinden in Nordschleswig sind an unterschiedlichen Orten. Wir sind nicht gleich – in den Städten und auf dem Land –, und doch sind wir für dieselbe Sache da. In dem Magazin erzählen wir einfach nur, wie und wo wir arbeiten. Es gibt zum Beispiel auch einen Text vom ehemaligen südschleswigschen Propst Viggo Jacobsen. Den haben wir bewusst auf Dänisch belassen, damit nichts verloren geht. Auch Reportagen aus den Konfirmationsbeilagen des ,Nordschleswigers’ sind dabei.

Der aus Nordschleswig stammende Künstler Stephan Nielsen hat für das Magazin viele Bereiche kirchlicher Tätigkeit in einem Bild zusammengefasst. Auf dieses Bild können wir uns freuen, denn es beschreibt, wie viele Dinge in 100 Jahren gleichgeblieben sind und sich gleichzeitig gewandelt haben.

Man kann sagen, das Magazin ist bewusst kein Geschichtsbuch geworden, sondern seine Richtung ist – Zukunft.“

Wenn es ein 100-jähriges Bestehen zu feiern gibt, ist das Beschäftigen mit der Geschichte ja trotzdem ein zentraler Punkt. Was hat dich dabei besonders bewegt?

„100 Jahre sind kirchengeschichtlich eigentlich kein Alter, und doch spiegeln die Veränderungen der NG auch die dramatische Geschichte des Grenzlandes wider. So können wir sagen, dass vieles in gemeindlicher Arbeit gleichgebleiben ist – Kaffee und Kuchen sind unser drittes Sakrament. Menschen werden durch die Pastorinnen und Pastoren in speziellen Lebenssituationen begleitet.

Doch vieles hat sich in diesen 100 Jahren auch gewandelt. Die Nordschleswigsche Gemeinde ist ja viele Jahre nicht aus den alten Strukturen rausgekommen. Sie hatte eine schwierige Geschichte, weil Deutschsein und Nationalismus lange Zeit sehr eng miteinander verbunden waren. Das hat sich verändert. Ein Garant dafür sind heute die drei Bischöfe des Grenzlandes, die Grußworte zum Jubiläum geschickt haben – neben Gothart Magaard und Marianne Christiansen auch Elof Westergaard aus Ribe. Die Veränderungen im Miteinander haben mich bewegt. Die NG ist rausgekommen aus der sogenannten Wagenburgmentalität hin zu Kooperation und Miteinander.“

Als Kirche in der Minderheit sind wir klein. Das hat viele Vorteile, denn wir kennen uns. Gleichzeitig ist klein zu sein manchmal auch anstrengend, denn wenn du etwas auf die Beine stellen möchtest, brauchst du manchmal viele.

Matthias Alpen, Senior der NG

Worin siehst du die größten Herausforderungen für die Zukunft der NG?

„Ich sehe da folgende Probleme. Da ist die Veränderung der Minderheit insgesamt. Auch der Bund Deutscher Nordschleswiger ist dabei, sich den Veränderungen zu stellen und denkt über neue Strukturen nach. Und die Kirchlichkeit hat sich gewandelt. Wir erleben heute, dass auch viele Vereine Probleme mit Mitgliedschaften haben, etwa Sportvereine. Aber auch ehrenamtlich mögen sich Menschen vielleicht nicht mehr so binden – etwa bei der Feuerwehr.

Noch hat sich in der Nordschleswigschen Gemeinde in Bezug auf die Mitglieder nicht so viel verändert, doch natürlich sehen wir, dass insbesondere junge Menschen andere Bezüge zur Kirche haben als früher. Früher warst du als Mitglied der Minderheit auch in der Kirche der Minderheit. Dies wird sich wandeln. Als Kirche in der Minderheit sind wir klein. Das hat viele Vorteile, denn wir kennen uns. Gleichzeitig ist klein zu sein manchmal auch anstrengend, denn wenn du etwas auf die Beine stellen möchtest, brauchst du manchmal viele.

Diese Punkte müssen wir im Blick haben und überlegen, wie wir auf Menschen zugehen und für die Mitgliedschaft in der NG werben können. Dabei ist die beste Werbung für uns doch, dass wir zeigen, dass wir für die Menschen da sind. Und das wird auch in Zukunft so sein.“

 

 

„Kirche wird auch in Zukunft für die Menschen da sein.“ Davon ist Matthias Alpen überzeugt. Foto: Karin Riggelsen
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