Soziale Gastronomie

Grand Hotel: „In unserer Küche soll es keinen Stress geben“

Grand Hotel: „In unserer Küche soll es keinen Stress geben“

Grand Hotel: „In unserer Küche soll es keinen Stress geben“

Tondern/Tønder
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Brian und Anita Kirkegaard Telling pprüfen, ob die richtige Farbe eingekauft worden ist. Foto: Brigitta Lassen

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Anita und Brian Kirkegaard Telling ziehen Bilanz seit der Hoteleröffnung im vergangenen Jahr. Nun steht die Renovierung des großen Saals bevor. Für ihre Projekte wird ein Investorenkreis im Rahmen eines Crowdfunding-Projekts gesucht.

Anita und Brian Kirkegaard Telling servieren seit vergangenem Jahr Essen und Getränke zu erschwinglichen Preisen in ihrem Grand Hotel an der Richtsensgade in Tondern. Das Ehepaar, das sich trotz anderer beruflicher Erfahrungen in das Abenteuer als Hoteliers gewagt hat, gönnt sich nicht viel Zeit zum Verschnaufen. Obwohl das kleine Café nicht fertig instand gesetzt ist, wartet das nächste Projekt: der große Festsaal.

Im Saal des Grand Hotels gibt es noch einiges zu tun. Foto: Brigitta Lassen

Weitestgehend ausgeräumt ist er schon. Das Ehepaar ist sich nicht zu fein, bei der Renovierung selbst Hand anzulegen und hat dies schon bewiesen. Ein Beweis sind auch die Farbreste in ihren Haaren.

Beim Renovieren ist die handwerkliche Ausbildung von Brian Kirkegaard Telling von Vorteil. Der gelernte Maurer weiß aber auch, wie leckeres Essen gekocht und angerichtet wird. Sein Platz ist in der Küche, seine Frau nimmt Bestellungen der Gäste entgegen und serviert.

Anita Kirkegaard Telling packt auch beim Renovieren mit an. Foto: Brigitta Lassen

Ihre pädagogischen Erfahrungen kann Anita Kirkegaard Telling einbringen, denn das Hotel soll auch eine soziologische Aufgabe erfüllen. Hier können junge Menschen, die unterschiedliche Herausforderungen körperlicher oder seelischer Art haben, dem Ehepaar zur Hand gehen und an verschiedenen Aktivitäten teilnehmen. Es sollen Gemeinschaften gegründet werden. Tellings wollen diese Frage in den Mittelpunkt ihrer Arbeit rücken. Für diese Arbeit werden Stiftungsgelder und Mittel im Rahmen eines Crowdfunding-Projektes geworben. Anita Kirkegaard Telling ist Lehrerin. Sie soll die jungen Leute mit besonderen Herausforderungen an die Hand nehmen.

Das, was wir uns selbst im vergangenen Jahr beim Tønder Festival angetan haben, als wir vor Schmerzen und Erschöpfung kaum die Treppe hochkamen, sollen sie nicht erleben. Da waren wir wohl ziemlich blauäugig.

Hotelbesitzerin Anita Kirkegaard Telling

Ihr Gesamtprojekt nennen sie „Grand Hotel & BB-Projekt Fællesskab“. Im Hotel dürfen die jungen Leute keinem übermäßigen Druck ausgesetzt werden. „Das, was wir uns selbst im vergangenen Jahr beim Tønder Festival angetan haben, als wir vor Schmerzen und Erschöpfung kaum die Treppe hochkamen, sollen sie nicht erleben. Da waren wir wohl zu blauäugig. In unserer Küche soll es keinen Stress geben“, erklärt Anita Kirkegaard Telling. 

Gerade deswegen würden auch nur Gäste bedient, die vorher einen Tisch reserviert haben. Laufende Kundschaft wird abgewiesen, und Tellings bitten sie daher um Verständnis. Mit der vorherigen Tischreservierung werde nur das eingekauft, was gebraucht wird. Damit würde auch Lebensmittelverschwendung verhindert, meinen die beiden.

Eine Zuwendung, die das Paar als gutes Startkapital investieren konnte, kam vom Vissing-Fonden. Diese Stiftung bewilligte Geld für die Instandsetzung der Hotelküche. Sie unterstützt Projekte und Aktivitäten, die eine positive Veränderung für Kinder und Jugendliche haben, die es im Leben schwer haben. 

Anita Kirkegaard Telling erzählt von Jugendlichen, die vier, acht oder sogar zwölf Jahre in der endlosen Schleife stecken, bis die öffentliche Hand feststellt, welche Fähigkeiten sie besitzen und womit sie sich eventuell beschäftigen könnten.

Ein kleiner Pavillon wurde entdeckt. Foto: Brigitta Lassen
Der alte Ausgang kam unter der Bühne zum Vorschein. Foto: Brigitta Lassen

Mit diesem sozialen Aspekt soll auch die Hotelrenovierung weitergehen. Der große Festsaal ist so heruntergekommen wie die restlichen Räume des ehemaligen Bahnhofshotels, die bislang nicht renoviert worden sind. Am östlichen Ende des Gemäuers kam nach dem Entfernen von aufgeschlagenen Brettern ein kleiner Pavillon zum Vorschein. Auch dieser sei es wert, erhalten zu bleiben, meinen sie.

Später Bed and Breakfast

Die fünffachen Eltern haben viele Pläne. Auch Bed and Breakfast möchten sie später anbieten. Aber ihre Hotelzimmer dürfen sie dafür aus brandtechnischen Gründen nicht vermieten.

Das Hotelprojekt wurde im vergangenen Jahr in ganz Dänemark bekannt. Es wurde in der DR1-Sendung „Huse med hemmeligheder“ vorgestellt. Der Beitrag erzählte unter anderem über die vielen Verwendungszwecke des Hotelkomplexes. 

Die Geschichte des Grand Hotels

  • Es gab Zeiten in Tondern, in denen fast auf jede Tonderanerin und jeden Tonderaner ein Wirtshaus oder ein Hotel kam. 1888 soll es in Tondern 79 Gastwirtschaften gegeben haben. Damit machte diese Berufsgruppe die größte in der Stadt aus, bei 56 Handwerkern, 29 Kaufleuten und 19 Fuhrunternehmern, steht im lokalhistorischen Heft Tønders gamle kroer og gæstgiverier von Hans Bachmann, Viggo Møballe und Ingolf Haase.
  • Eines dieser Hotels war das Bahnhofshotel in der Richtsensgade (oder Gasthof zur Ostbahn), das im  Jahr der Eröffnung der Bahnstrecke Tondern-Tingleff 1867 erbaut wurde. (Der Ostbahnhof oder Tondern Ost wurde 1987 abgerissen).
  • Später wurde der Name zu Strucks Hotel geändert. 1927 übernahm der Verein Deutsches Haus das Gebäude als Versammlungsstätte. Unter dem Besitzer Carl Købke wurde es zum Grand Hotel. 1965 endete der Hotelbetrieb. Zunächst zogen die Pfadfinder ein. Sie zogen wieder aus, als dort der Treffpunkt für Tonderns Jugend (Ungdomsborgen und später Pit Stop) eingerichtet wurden. Diese sind 2021 ausgezogen. Deswegen verkaufte die Kommune das Gebäude, das als bewahrungswürdig klassifiziert ist.
Das Bahnhofshotel (links) wurde 1867 gebaut. Foto: Heesch-Archiv

„Seit dieser Sendung gab es viele Fragen, wann der zweite Teil kommt. Viele fragen sich auch, ob es sich machen lässt, in einer Stadt wie Tondern ein Hotel auf einer soziologischen, sozialen Grundlage zu eröffnen. Wir sind mit der gastronomischen Auslastung gut zufrieden, auch dank unseres Lieferservices, von dem die Familie leben kann. Wir beschäftigen zwei Festangestellte, unter anderem einen ausgebildeten Caterer in Vollzeit. Brian und ich bringen unserem Kundenkreis jeden Mittag und jeden Abend frisch zubereitetes Essen. Unsere Kundinnen und Kunden sind so dankbar. Ihre Umarmungen sind alles wert. Der Dienst ist aufgrund des Arbeitsaufwands ausschließlich im Tonderner Stadtbereich möglich“, erzählt Anita Kirkegaard Telling. 

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