Gastronomie

Neu als Hotelbesitzer: Lehrerin und Maurer packen es an

Neu als Hotelbesitzer: Lehrerin und Maurer packen es an

Neu als Hotelbesitzer: Lehrerin und Maurer packen es an

Tondern/Tønder
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Anita und Brian Kirkegård Telling geben ihr Debüt als Hotelbesitzer. Foto: Brigitta Lassen

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Während der Ostbahnhof in Tondern das Jahr 2023 nicht überlebt hat, ist neues Leben in das frühere Bahnhofshotel in der Richtsensgade eingekehrt. Dort sollen künftig wieder Gäste willkommen geheißen werden. Dafür will ein Ehepaar aus Vesterhimmerland sorgen und gleichzeitig bleibende Arbeitsplätze für Menschen mit besonderen Herausforderungen schaffen.

Bleibende Arbeitsplätze will das Ehepaar Kirkegård Telling in seinem Hotel in Tondern schaffen: Die Einrichtung des Grand Hotels mit einem sozioökonomischen Aspekt ist ihr Plan. Dort sollen Menschen mit Herausforderungen und Einschränkungen, die außerhalb des Arbeitsmarktes stehen, nicht nur „auf Stippvisite“ beschäftigt werden.

„Wir wollen etwas schaffen, das auch für andere gut ist“, erzählt die ausgebildete Lehrerin, Anita Kirkegård Telling, idealistisch, die bis zu ihrem Berufswechsel im Behindertenbereich beschäftigt gewesen ist.

Die 46-Jährige und ihr Ehemann Brian stammen von Vesthimmerland und verliebten sich im vergangenen Jahr in das ziemlich heruntergekommene, leer stehende Haus an der Richtsensgade 27 in Tondern, wo sie ihr Debüt als Hoteliers haben.

 

Wir wollen etwas schaffen, das auch für andere gut ist.

Anita Kirkegård Telling

Dabei bringen die Lehrerin und der Maurer weder Erfahrungen im Gastronomiegewerbe noch als Arbeitgeber mit.

Das Ehepaar hat keine Angst, hart zu arbeiten. In Eigenarbeit hat das Ehepaar über Monate das untere Stockwerk renoviert. Im vorderen Raum zur Straße wurde ein Café eingerichtet, das im Mai 2023 eröffnet wurde.

Die Renovierung – bis auf Strom, Wasser und Kanalisation – hat das Paar in Eigenarbeit gestemmt. Vier Räume im Parterre wurden komplett auseinandergenommen. Ein Vorteil ist, dass der 45-jährige Brian gelernter Maurer ist. Er wird in der Küche des Hotels an den Töpfen stehen. Seinem Interesse am Kochen hat er vor seiner Handwerksausbildung nachgehen können.

Im kleinen Saal wurde ein Café eingerichtet. Foto: Brigitta Lassen

Dem 1867 gebauten Gebäude, das früher Hotel mit wechselnden Besitzern und bis zum Verkauf als Treffpunkt für Jugendliche (Ungdomsborgen und der Klub Pit Stop) gedient hatte, sieht man seine mehr als 150 Jahre an. Das schreckte das Ehepaar nicht ab. Es kaufte der Kommune das Gebäude für 350.000 Kronen ab und übernahm es am 1. August 2022.

 

 

 

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Die Küche ist Brians Reich. Foto: Brigitta Lassen

Vorübergehend hat das Paar, das fünf Kinder hat, die Erlaubnis bekommen, im ersten Stockwerk zu wohnen. In den jetzigen Privaträumen sollen später Hotelzimmer eingerichtet werden. Dafür kann die obere Etage im jetzigen Zustand nicht genehmigt werden.

Dabei konnten sich die beiden vor Anfragen kaum retten. 200 bis 250 Anfragen gab es von Interessierten, die während des Tønder Festivals eine Bleibe suchten.

Im großen Hotelsaal wartet viel Arbeit. Foto: Brigitta Lassen

Als nächstes Projekt steht aber die Restaurierung des großen Saals auf dem Programm, in dem Platz für 60 Gäste geschaffen werden soll. Am 25. Oktober müssen sie fertig sein, wenn eine Abendschule mit einer größeren Gesellschaft als erster Gast kommt. Und im großen Saal wartet viel Arbeit. Im ganzen Gebäude ist sichtbar, dass hier viele Jahre kaum investiert worden ist.

Das Grand Hotel im Jahr 1920 Foto: lokalhistorisches Archiv

Wer ein altes Haus instand setzt, weiß, was geschieht, wenn eine Renovierung anfängt. An einer Baustelle kommt sofort die nächste zum Vorschein.

 

Putz von der Wand und Wasser aus der Wand

Das erlebten auch Kirkegård Tellings. Beim Entfernen der Tapeten fiel der ganze Putz von der Wand, die elektrischen Installationen waren marode, in so mancher Ecke verbirgt sich eine unliebsame Überraschung. Lose Mauersteine, wo Mörtel nicht mehr zu entdecken ist, tauchten immer wieder auf.

Es gibt noch viel zu tun. Foto: Brigitta Lassen

Einige Überraschungsmomente der unliebsamen Art waren das defekte Stromleitungsnetz oder die Fernwärmeheizung, die plötzlich ihren Geist aufgab. Als diese Baustellen behoben waren, spritzte plötzlich Wasser aus der Wand im Badezimmer.

Anita vergleicht den Kauf eines alten Hauses mit dem Kauf eines Gebrauchtwagens, den man von einer Privatperson erwirbt.

Nordschleswig hat so viel zu bieten. Neben der Geschichte auch die Natur.

Anita Kirkegård Telling

Doch bereut haben sie ihren Entschluss nicht, nach Tondern zu kommen. Aber was bringt ein Paar mit fünf Kindern aus Vesterhimmerland dazu, ohne jegliche Verbindung zu Nordschleswig, sich in der Wiedaustadt niederzulassen?

„Wir waren auf der Suche nach einem Gebäude, in dem wir unseren Plan umsetzen konnten. So schrieben wir, nachdem eine Kaufabsprache geplatzt war, an zehn zufällig ausgesuchte Kommunen. Die Kommune Tondern antwortete. Wir schauten uns das Haus an. Draußen standen die grünen Bäume, und die Vögel zwitscherten. In den Gebäuden in Tondern steckt so viel Geschichte. Auch in diesem Haus. Nordschleswig hat so viel zu bieten. Neben der Geschichte auch die Natur. Aber zugegeben: Unser Hotel als sozioökonomisches Beschäftigungsprojekt hätte auch an einem anderen Ort in Dänemark liegen können.“

Das Haus Richtsengade 27 hat bessere Tage gesehen. Foto: Brigitta Lassen

 

Das Innenleben des Hotels, das seinen ursprünglichen Namen zurückbekommen hat, zeugt vom geschichtlichen Interesse der Lehrerin. Das Café ist mit altem Mobiliar eingerichtet, das sie gesammelt hat. Es stecke auch eine große Sammlerin in ihr, lacht sie. Die Nachbarschaft in der Richtsensgade sei auch mit in Kisten verpackten Services angerückt.

 

Das Deutsche Haus

Im Café und im Foyer hängen viele Bilder vergangener Hoteljahre an der Wand. Auch mit Hakenkreuzen, die von der Zeit erzählen, als die deutsche Minderheit das Haus besaß, das später auch zum Treffpunkt von Nazis wurde.

Deutscher Abend für deutsche Volksgenossen im Deutschen Haus in Tondern Foto: Brigitta Lassen

Auch diese Bilder wurden aufgehängt, „denn sie sind auch ein Teil der Geschichte dieses Hauses“, erklärt Anita. Das Interesse anderer für das Gebäude sei groß, versichert das Ehepaar. Immer wieder seien viele gekommen und freuten sich über die Instandsetzung des Hotels und das Projekt. „Uns wurde von einem Fremden sogar Hilfe angeboten. Überhaupt hat uns die Art, wie wir in Tondern empfangen wurden, sehr gefreut. Dort, wo wir herkommen, interessiert man sich nicht auf diese Weise für seine Mitmenschen, sondern kümmert sich eher darum, dass der Rasen gemäht ist“, vergleicht die fünffache Mutter Tondern mit Vesthimmerland.

Sympathische Neugierde

Mit Freundlichkeit und sympathischer Neugierde seien viele gekommen, um zu sehen, was sich im früheren Hotel tut. Auch frühere Angestellte des Hotels oder des Jugendtreffpunkts haben den Weg zu ihrem ehemaligen Arbeitsplatz gefunden.

Im Café treffen sich beispielsweise schon Rentnerinnen und Rentner regelmäßig zum Frokost und einer Tasse Kaffee zu einem erschwinglichen Preis von 75 Kronen. „Teurer soll es nicht sein, dann können sich einige das vielleicht nicht mehr erlauben.“

Anita Kirkegård Telling am neuen Herd. Dort wird meist ihr Mann stehen. In der Küche sorgt sie überwiegend für den Apfelkuchen auf Vesthimmerland-Art: Makronen, selbstgemachter Apfelmus und Schlagsahne. Dieser findet reißenden Absatz. Foto: Brigitta Lassen

Sie und ihr Mann werden bei der Kinderbetreuung von der 26-jährigen Tochter unterstützt. Sie pausiert von ihrem Studium und hat den Privatbereich der Familie übernommen. „Unsere Älteste ist dabei sehr strukturiert“, lachen beide.

Ein Teil der Stadt werden

Kirkegård Tellings sind darum bemüht, ein Teil der Stadt zu werden. „Das habe ich auch den Kindern gesagt. Sie müssen selbst aktiv werden. Ich tat es, als ich im vergangenen Herbst als Schwimmlehrerin aushalf, als wir auf eine Baugenehmigung warteten. So lernt man Menschen kennen“, erklärt die frischgebackene Hotelbesitzerin.

 

 

 

 

Die Geschichte des Grand Hotels

  • Es gab Zeiten in Tondern, in denen fast auf jede Tonderanerin und jeden  Tonderaner ein Wirtshaus oder ein Hotel kam. 1888 soll es in Tondern 79 Gastwirtschaften gegeben haben. Damit machte diese Berufsgruppe die größte in der Stadt aus, bei 56 Handwerkern, 29 Kaufleuten und 19 Fuhrunternehmern, steht im lokalhistorischen Heft Tønders gamle kroer og gæstgiverier von Hans Bachmann, Viggo Møballe und Ingolf Haase.
  • Eines dieser Hotels war das Bahnhofshotel in der Richtsensgade (oder Gasthof zur Ostbahn), das im  Jahr der Eröffnung der Bahnstrecke Tondern-Tingleff 1867 erbaut wurde. (Der Ostbahnhof oder Tondern Ost wurde 1987 abgerissen).
  • Später wurde der Name zu Strucks Hotel geändert. 1927 übernahm der Verein Deutsches Haus das Gebäude als Versammlungsstätte. Unter dem Besitzer Carl Købke wurde es zum Grand Hotel. 1965 endete der Hotelbetrieb. Zunächst zogen die Pfadfinder ein. Sie zogen wieder aus, als dort der Treffpunkt für Tonderns Jugend (Ungdomsborgen und später Pit Stop) eingerichtet wurden. Diese sind 2021 ausgezogen. Deswegen verkaufte die Kommune das Gebäude, das als bewahrungswürdig klassifiziert ist.
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