9. April 1940
So lange her und doch so präsent
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So lange her und doch so präsent
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Christel Hansen aus Tingleff hat als 13-Jährige hautnah das Gefecht in Bredewatt zwischen dänischen und deutschen Soldaten beim Einmarsch der Wehrmacht miterlebt. Die Gastwirtschaft der Familie wurde zum Kriegsschauplatz.
Das Ereignis am 9. April 1940 in Bredewatt beim Einmarsch des deutschen Heeres in Zweiten Weltkrieg ist mittlerweile 81 Jahre her.
Dennoch kann sich Christel Hansen aus Tingleff (Tinglev) an die damaligen Ereignisse erinnern, als wären sie gestern geschehen.
„Man vergisst im Leben ja vieles. An diesen Tag kann ich mich aber noch genau erinnern“, so Christel Hansen, die mit 94 Jahren geistig noch sehr frisch ist.
Direkt vor der Haustür
Sie ist eine geborene Johannsen und stammt aus Bredewatt, wo die Eltern eine Gastwirtschaft betrieben.
Genau vor diesem Gasthof kam es an jenem 9. April zu einem blutigen Aufeinandertreffen dänischer Soldaten und einer deutschen Panzerwagen-Einheit beim Einmarsch der Wehrmacht. Zwei dänische und vermutlich zwei deutsche Soldaten wurden bei dem Gefecht getötet.
Die dänische Einheit, die sich wenig später ergab, beschädigte drei Panzerwagen, von denen einer in einen Baum direkt vor dem Gasthof prallte.
Wie begann der Tag?
„Es war zwischen 6 und 6.30 Uhr. Wir hörten einen unheimlichen Krach und zogen die Vorhänge zurück“, so Christel Hansen.
Deutsche Flieger überquerten in niedriger Höhe das Gebiet.
Ihnen sei sofort bewusst geworden: „Die Deutschen kommen!“
Christel Hansen, damals 13 Jahre, und ihre beiden Geschwister wussten, dass Deutschland Krieg führt und in andere Länder eindringt. Es sei ihnen klar gewesen, dass nun Dänemark besetzt wird.
Dänische Einheit auf dem Anwesen
Auf dem Hof war in den frühen Morgenstunden eine dänische Einheit aus Seegaard (Søgaard) unter Leitung von Carl Georg Bartholdy eingetroffen. Den Befehlshaber kannte die Familie Johannsen.
„Seine Einheit hatte in Bredewatt immer wieder mal Übungen durchgeführt. Bartholdy saß dabei stets in der Schankstube, trank Kaffee und hat sich mit meinem Vater unterhalten, während die Soldaten draußen übten. Mein Vater war deutschgesinnt, das wusste Bartholdy“, erzählt die 94-jährige Volksgruppenangehörige.
Nun waren Bartholdy und seine Männer, die nahezu alle mit dem Fahrrad gekommen waren, erneut in Bredewatt. Diesmal aber unter anderen Voraussetzungen.
Es seien um die 30 gewesen, so die Tinglefferin.
Dass es zu einem Gefecht mit deutschen Truppen kommen würde, damit schien Bartholdy offenbar gar nicht fest gerechnet zu haben.
„Er hat in der Gastwirtschaft Kaffee für seine Männer bestellt. Die saßen ganz entspannt in der Einfahrt und warteten auf Befehle. Nur einige wenige waren in Stellung beordert“, so Christel Hansen.
Keine Schule
Sie und ihre Geschwister machten sich daran, den Pferdewagen klarzumachen, mit dem sie jeden Tag zur deutschen Schule in Lendemark fuhren.
Es kam aber Unruhe auf, und es wurde dann doch ernst. Deutsche Flugzeuge überquerten immer wieder bedrohlich das Gebiet.
„Die Soldaten sagten uns, dass wir uns lieber nicht auf den Weg machen sollten, weil vielleicht geschossen wird“, erinnert sich Christel Hansen noch gut an die Warnung der dänischen Soldaten.
„Kurz darauf lief Papa zur Kreuzung und schaute sich um. Er kam zurück und sagte uns dann auch, dass wir lieber zu Hause bleiben sollten.“
Das befolgten Christel Hansen, die Geschwister und eine Schulfreundin, die damals immer mitfuhr.
Schutz im Türrahmen
Man sei hineingegangen, „und dann fing das erste Schießen an. Ich und meine Freundin stellten uns in einen Türrahmen, um Schutz zu suchen. Dann sagte mein Vater: ‚Nun wird es ernst‘.“
Man hörte herannahende Panzerwagen und Schusswechsel. „Ein Panzerwagen landete an einem Baum direkt vor dem Haus“, so Christel Hansen.
„Zwei dänische und zwei deutsche Soldaten kamen ums Leben“, berichtet die 94-Jährige mit einem Seufzer.
Man vergisst im Leben ja vieles. An diesen Tag kann ich mich aber noch genau erinnern.
Christel Hansen
Nach verhältnismäßig kurzer Zeit seien die Kämpfe eingestellt worden. Die dänische Einheit ergab sich später der deutschen Übermacht.
„Mein Vater hatte kurz zuvor noch zu Bartholdy gesagt, dass er mit seinen 30 Männern nichts ausrichten kann und sich daher gar nicht erst zur Wehr setzen sollte.“
Dem schenkte der Befehlshaber aber keine Beachtung, und es kam zum Schusswechsel, bei dem drei deutsche Panzer beschädigt wurden und auf beiden Seiten Soldaten ihr Leben verloren.
„Dem einen deutschen Soldaten, Thyssing hieß er, wurde das Bein abgeschossen. Er verblutete. Den anderen deutschen Soldaten habe ich nicht gesehen. Der kam nach Ladelund, wo er auch begraben wurde.“
Tote Soldaten Seite an Seite im Bett
„Thyssing wurde ins Haus gebracht und auf ein großes, breites Bett neben einem toten dänischen Soldaten gelegt. Als das ganze Gefecht zu Ende war, nahm die deutsche Truppe Abschied von ihrem Kameraden. Sie weinten alle“, erinnert sich Christel Hansen noch gut an den emotionalen Moment, der im Kontrast zu der unmenschlichen Grausamkeit des späteren Kriegsverlaufes mit Millionen von Toten stand.
Bevor sich alles nach dem Schusswechsel beruhigt hatte und der dänische Widerstand gebrochen war, ging es im Haus der Familie noch drunter und drüber.
Gut zugeredet
Christel Hansen: „Ein dänischer Soldat lief mit Gewehr ins Haus und weinte. Er hatte offensichtlich einen Schock. Zwei deutsche Soldaten liefen hinterher und riefen, dass er das Gewehr wegschmeißen sollte. Der arme Kerl verstand aber kein Deutsch. Er lief die Treppe hinauf und versteckte sich hinter einer Tür. Meine Mutter beruhigte ihn und sagte ihm auf Dänisch, dass er das Gewehr weglegen sollte. Mama nahm ihm das Gewehr dann ab und legte es hin. Die Deutschen haben den Dänen dann mitgenommen“, erzählt Christel Hansen mit Hochachtung von der Reaktion ihrer Mutter.
Hätte sie nicht so gut reagiert, hätte es für den geschockten dänischen Soldaten schlimm ausgehen können.
„Der Soldat stammte von Fünen und war Gärtner. Er hat uns einige Jahre später besucht und bedankte sich mit einer großen Kiste Äpfel bei meiner Mutter. Auch die Eltern des getöteten deutschen Soldaten, der in Bülderup beigesetzt wurde, besuchten uns nach dem Krieg“, berichtet die 94-Jährige über spätere Begegnungen.
Pro Deutschland
Die Familie sei beim Einmarsch hin- und hergerissen gewesen, denn wie viele andere in der Umgebung war man bekennend Deutsch. Die Euphorie über den Einmarsch und die Sympathie für Deutschland sorgten für Missstimmung zwischen Mehrheit und Minderheit.
„Es war allen klar, dass wir deutschgesinnt waren. Wir sind dennoch gut mit der dänischen Bevölkerung hier bei uns ausgekommen, vor und auch nach dem Krieg“, betont Christel Hansen.
Nach dem Gefecht vor der Haustür der Familie Johannsen wurden die dänischen Soldaten entwaffnet und mussten sich auf ein angrenzendes Feld legen, ehe es für sie unter Bewachung weiterging.
„Am nächsten Tag kamen ganz viele zu unserem Krug, weil sie neugierig waren“, so die Tinglefferin, die die geschichtliche Tragweite des Zwischenfalls als damals 13-Jährige noch gar nicht richtig einordnen konnte.
Geschehnisse verarbeitet
Erst später wurde ihr die Bedeutung der Ereignisse in Bredewatt bewusst, wo mit einem Gedenkstein an das Gefecht erinnert und der gefallenen Soldaten gedacht wird.
Nach dem Krieg und dem Ende der Besetzung Dänemarks wurde Christel Hansens Vater, wie viele andere Volksgruppenangehörige, als mutmaßlicher Unterstützer des Hitlerregimes im Fårhuslager interniert.
„Bartholdy war damals auch da und gehörte zum Wachdienst. Der Kontakt zu ihm brach aber ab. Wir haben ihn nie wiedergesehen.“
Ihr Vater kam nach viereinhalb Monaten wieder nach Hause, erinnert sich Christel Hansen, die den Papa mit der Familie mehrmals im Lager besucht hatte.
Er habe sich trotz Bekenntnisses zu den deutschen Wurzeln nichts zuschulden kommen lassen, „weshalb er recht schnell wieder frei gelassen wurde".
Die Ereignisse des 9. April habe sie nach eigener Einschätzung gut verarbeitet.
Der Alltag kehrte recht schnell zurück. Von einem Trauma könne man nicht sprechen.
„Den Tag vergesse ich aber nie.“