Kommentar

„Pressefreiheit beginnt vor der eigenen Haustür“

Pressefreiheit beginnt vor der eigenen Haustür

Pressefreiheit beginnt vor der eigenen Haustür

Miriam Scharlibbe/shz.de
Flensburg
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Am 3. Mai erinnern Journalisten weltweit an getötete und verhaftete Reporter – aber auch an den Wert unabhängiger Medien für die Demokratie. Wie es um die Pressefreiheit in Deutschland und anderen Ländern steht, beschreibt die stellvertretende Chefredakteurin des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages, Miriam Scharlibbe in einem Kommentar.

  • Ein 76 Jahre alter Mann, der liebend gerne Journalisten beschimpft und Unwahrheiten verbreitet, möchte Präsident der USA werden. Obwohl sich Donald Trump gerade vor Gericht wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs verantworten muss, schwelgt er im Umfragehoch.
  • Ein US–Journalist wird in Russland wegen Spionage verhaftet und verschwindet. Evan Gershkovich drohen 20 Jahre Gefängnis. Keiner seiner Kollegen kann Kontakt zu ihm aufnehmen.
  • In Deutschland werden Reporter bei Demonstrationen angegriffen. Morddrohungen in Online-Kommentaren und Leserbriefen sind keine Seltenheit mehr. In Seminaren lernen Journalisten, wie sie sich vor einer Entführung schützen.

Nein, das sind keine Auszüge aus Geschichtsbüchern und auch keine Skripte für einen neuen Weltuntergangsroman oder eine verfilmte Dystopie. Es ist die Realität des Jahres 2023, mit der sich viele Journalisten auseinandersetzen müssen.

Mit dem Internationalen Tag der Pressefreiheit wird seit 1994 jährlich am 3. Mai auf Verletzungen der Pressefreiheit sowie auf die grundlegende Bedeutung freier Berichterstattung für die Existenz von Demokratien aufmerksam gemacht.

Deutschland ist im Ranking der Pressefreiheit weiter abgerutscht

Die Organisation Reporter ohne Grenzen veröffentlicht zu diesem Datum die Rangliste der Pressefreiheit. Nachdem Deutschland bereits im vergangenen Jahr um drei Plätze auf Rang 16 abgerutscht war, reicht es dieses Mal nur noch für Platz 21. Angeführt wird die Liste von Norwegen, Irland und Dänemark. Am schlechtesten bestellt ist es um die Pressefreiheit demnach in Vietnam, China und als Schlusslicht in Nordkorea.

Es wäre so leicht, sich bei dieser Aufzählung zu distanzieren. Aber wir leben in einer globalisierten Welt. Ukraine-Krieg, das Erstarken von Rechtspopulisten, Energieabhängigkeit und aggressivere Protestformen haben Auswirkungen auf unser Leben. Krisen wirken über Grenzen hinweg. Pressefreiheit zu beschützen, ist daher in unser aller Interesse. Das fängt vor der eigenen Haustür an.

Auch Lokalredakteure werden zur Projektionsfläche für Wut

Denn bedrohliche Situationen erleben nicht nur Kriegsreporter. Körperliche und verbale Gewalt begegnet auch Lokalredakteuren. Journalisten werden zur Projektionsfläche für Wut und Frustration. Das Versagen der Politik, Mängel im Schulsystem, finanzielle Unsicherheit – im Zweifel sind die Medien Schuld oder sollen es mindestens richten.

Aber das ist nicht die Aufgabe von Journalisten. Unser Handwerk bedient sich nicht der groben Instrumente. Wir arbeiten nicht mit der Brechstange, sondern mit der Pinzette – und oft genug zuerst einmal mit dem Fernrohr und der Lupe. Inzwischen gibt es viele Berufe, die dem des Journalisten ähneln. Aber nicht jeder, der schreibt, ist ein Reporter, nicht jeder, der veröffentlicht, ein Publizist, nicht jeder, der nachfragt, ein Faktenchecker. Und nicht jede lange Geschichte ist automatisch relevant.

Lokaljournalismus ist die Königsdisziplin

Lokaljournalisten begeben sich jeden Tag dorthin, wo die vermeintlich kleinen Nachrichten sind, die Einzelschicksale, Dünensand statt Glitzerstaub. Schon im alten Rom gab es Informationsblätter, die über die aktuellen Ereignisse in der Stadt berichteten. Noch heute ist der Lokaljournalismus die Königsdisziplin. Schneller, digitaler und manchmal ungewohnt anders, aber immer da, wo es anderen zu unbequem wird.

Oder, wie der Philosoph Albert Camus sagte: „Natürlich kann eine freie Presse gut oder schlecht sein, aber ohne Freiheit wird sie ohne jeden Zweifel immer schlecht sein.“

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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