Buchveröffentlichung

Hippie-Zeit in Sonderburg: Lange Haare, RAF und LSD

Hippie-Zeit in Sonderburg: Langs Haare, RAF und LSD

Hippie-Zeit in Sonderburg: Lange Haare, RAF und LSD

Sonderburg/Sønderborg
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Claus Carstensen bei der Präsentation des Buches im Ausstellungsraum Radar Foto: Karin Riggelsen

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Was trieb die Rote Armee Fraktion auf Nordalsen, und was führte den berühmten britischen Schriftsteller Aldous Huxley nach Sonderburg? Claus Carstensen und seine Schulkameradin Inger Enemark haben ihr Interview-Werk „Da Aldous Huxley kom til Sønderborg“ veröffentlicht.

Was passierte in den 70er Jahren in der Stadt am Alsensund? Damals, als die linksextremistische terroristische Vereinigung Rote Armee Fraktion in Deutschland zuschlug, das alternative dänische Schulsystem Tvind seinen Einzug hielt und wo Freunde in allen Altersklassen die Wirkung der neuen halluzinogenen Droge LSD ausprobierten? Und wer besetzte wie Bruno Topff das Kornsilo von Ewers?

Darüber und über die damals für viele so zentrale Person, den jungen Gymnasiasten Hans Troj, berichten Frauen und Männer in diversen Gesprächen mit dem gebürtigen Sonderburger Künstler Claus Carstensen. Sechs Jahre haben Claus Carstensen und seine Schulkameradin Inger Enemark in die Vorbereitungen für das Buch „Da Aldous Huxley kom til Sønderborg“ gesteckt.

 

Der Sonderburger Tage Wolff (l.), dessen 183 Werke von Claus Carstensen im Radar ausgestellt werden, und die beiden Autoren, die Bibliothekarin Inger Enemark und der Künstler Claus Carstensen Foto: Karin Riggelsen

„Es ist eine Erzählung über den Eintritt der Makrogeschichte in eine Mikrowelt, wo einige der damaligen großen politischen und kulturellen Ereignisse das lokale Geschehen in Sonderburg beeinflussen und die Stadt so auf die eine oder andere Weise in die große globale Geschichte verwickelt wird“, so Claus Carstensen bei der Präsentation des Werkes im Multikulturhaus.

Interviews statt Berichte

„Die Idee kam ja eigentlich schon 2006. Claus hatte sich bei mehreren Personen erkundigt, ob sie nicht ihre Erinnerungen aus der damaligen Zeit niederschreiben wollten. Ich habe ihm dann ein Interview-Buch vorgeschlagen“, so Inger Enemark, die sich als jahrelange feste Mitarbeiterin in der Sonderburger Stadtbibliothek bestens in den verschiedenen Buchformen auskennt.

Das Cover von „Da Aldous Huxley kom til Sønderburg“ Foto: Ilse Marie Jacobsen

Claus Carstensen führte die Interviews. Inger Enemark schrieb diese nieder, und anschließend hat sie alte Zeitungen nach Artikeln über die angegebenen Erlebnisse durchforstet. „Inger hat die Sache mit büchereitechnischem Pflichteifer angegriffen“, wie Carstensen voller Lob erklärt. „Es wurde ein witziges Hobby – und es hat uns Ozeane an Zeit gekostet“, so Inger Enemark lächelnd.

Troj ein sensibler Gymnasiast

Im Buch gibt es eine zentrale Figur. Die Beiträge basieren direkt oder indirekt auf Hans Troj. Er war ein neugieriger, sensibler und intelligenter Gymnasiast, der in den 70er Jahren herausfand, dass sein Vater den legendären Aldous Huxley in Sonderburg getroffen hatte. Der Vater interessierte sich für das Okkulte und hat wahrscheinlich auch LSD probiert. Hans Troj, der kein gutes Verhältnis zu seinem Vater hatte, wollte hinter diesem aber nicht zurückstehen.

Er experimentierte trotz Warnungen seiner Freunde mit der Droge LSD und anderen bewusstseinsfördernden Stoffen. Mit seinen Experimenten holte Hans Troj sich eine Psychose, die ihm mehrere Aufenthalte im psychiatrischen Krankenhaus in Augustenburg (Augustenborg) bescherten. Sein Beitrag im neuen Interview-Werk besteht aus einer 16 Seiten lange psychodelischen Zeichenserie und sieben Briefen aus dem Jahr 1972.

Claus Carstensen im Oktober 1985 mit seinem Beitrag „Sønderborg Revisited" - Te’bach eller „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne" Foto: Ilse Marie Jacobsen

Im April 1974 kletterte Hans Troj im Kornsilo von Brdr. Ewers am Hafen Sonderburg hinauf zum Dach und erklärte anschließend – wie der Marinesoldat Bruno Topff im Ersten Weltkrieg 1918 – Alsen als freie Republik. Er wurde festgenommen und nach Augustenburg gebracht.

Eine lange Reise

Claus Carstensen bedankte sich bei den vielen Besuchern, als das Buch und eine große Ausstellung mit 183 seiner Papierwerke im Multikulturhaus im Ausstellungsraum Radar präsentiert wurden. Die Ausstellung – die vielen Arbeiten hat der Sonderburger Tage Wolff über Jahre zusammengesammelt  – kann bis 1. Februar im Multikulturhaus besichtigt werden. 

Es war eine lange Reise, wo wir viele Dinge erlebt haben, von denen wir vorher nichts wussten. Es war ein Walk down Memory Lane. Hätten sie damals ein Stahlnetz über Nordalsen gespannt, dann hätten sie die ganze Rote Armee Fraktion bei einem Julefrokost auf Holm fangen können.

Claus Carstensen, in Sonderburg geborener Künstler

„Es war eine lange Reise, wo wir viele Dinge erlebt haben, von denen wir vorher nichts wussten. Es war ein Walk down Memory Lane. Hätten sie damals ein Stahlnetz über Nordalsen gespannt, dann hätten sie die ganze Rote Armee Fraktion bei einem ,Julefrokost’ auf Holm fangen können“, so Carstensen in seiner Ansprache.

RAF auf Nordalsen

Aber wie kam die RAF nach Nordalsen?

Weihnachten und Neujahr 1977/78 befanden sich acht bis zehn Mitglieder der Roten Armee Fraktion, unter ihnen auch Rolf Clemens Wagner, zwei Kilometer vom nordalsischen Holm entfernt in einem Sommerhaus auf Lønsømade. Gunhild Vestergård Buciek, die frühere Lektorin an der Sonderburger Staatsschule, war direkte Nachbarin des Sommerhauses. Sie erzählte Claus Carstensen, was sie und ihre Familie damals bemerkten – und wie die Kriminellen damals kurz vor dem Eintreffen der Polizeikräfte verschwunden waren.

Ausstellung mit 182 Werken von Claus Carstensen Foto: Karin Riggelsen

Was bei dem Buchprojekt mit 400 Seiten begann, wurde mit professioneller Hilfe des Journalisten Mathias Kokholm auf 256 Seiten gekürzt. „Da Aldous Huxley kom til Sønderborg“ wurde in 750 Exemplaren gedruckt und kostet nun 200 Kronen.

Den roten Faden zu den 1970er Jahren spannten neben Claus Carstensen auch Per Broby Olsen, Hans Henrik Welin, Jørgen Kaad, Lars Bruhn, Lasse Bjerregaard Larsen-Ledet, Kaare P. Johannesen, Henrik Sjøgård Jørgensen, Gunhild Vestergård Buciek, Bent Uldall Leonhard, Klaus Johansen, Klaus Pedersen und Inger Bee Hansen. 

Bekannter britischer Schriftsteller

Der Titel des Buches kommt von einer anderen interessanten Geschichte. Der britische Schriftsteller Aldous Huxley war im August 1961 bei einem internationalen Kongress auf Christiansborg in Kopenhagen. Sein bekanntestes Werk war der 1932 erschienene dystopische Roman „Schöne neue Welt“.

Wie er im Zuge der Konferenz in Sonderburg bei seinem Freund, dem Physiker Chr. Wolf, landete, davon berichtet Kaare P. Johannesen in seinem Beitrag „Offensiv“.

Er bleibt ein Nordschleswiger

Claus Carstensen hat mit seiner Kunst seit Anfang der 80er Jahre in der dänischen Künstlerszene tiefe Eindrücke hinterlassen. Er wurde an der Statens Skole for Kunst ausgebildet, ist Maler, Bildhauer, er zeichnet, macht Performance, Video, Musik und Installationen. Er hat außerdem Gedichte und Essays veröffentlicht und auch Ausstellungen mit Werken seiner Kollegen organisiert.

Claus Carstensen Foto: Karin Riggelsen

Claus Carstensen lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau Ute auf Frederiksberg in Kopenhagen (København). „Aber ich fühle mich immer noch als Nordschleswiger“, wie er zugibt. Mit seinem Vater ist er als Junge vom Ruderverein Germania aus zum ersten Mal auf den Alsensund hinausgerudert.

Sonderburg ist der Nabel der Welt

In seinem Vorwort des Buches erinnert sich Carstensen an seine jungen Jahre in Sonderburg – mit den neuen großen Wohngebieten in der Stadt und „Raumpatrouille Orion“ im Fernsehen. Er erklärt, wie er von der Musik seiner Eltern – „Mit 17 hat man noch Träume“ – zu Jimi Hendrix’ „Hey Joe“ und „House of The Rising Sun“ kam.

Und wie fünf Lungenentzündungen ihm Virtus Schades Buch über den großen Maler Asger Jorn bescherten und so quasi seine spätere Künstler-Laufbahn angeschoben wurde.

„Kom it og seje, at Sønderborg it er verdens navle”, kam es bei der Buchpräsentation gutgelaunt von dem Mann aus Sonderburg.

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