Geschichte
Nationalpolitischer Vormundschaftsstreit 1898 auf Alsen
Nationalpolitischer Vormundschaftsstreit 1898 auf Alsen
Nationalpolitischer Vormundschaftsstreit 1898 auf Alsen
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Zwangsmaßnahmen des preußischen Amtsrichters Hahn sorgten für ein kritisches Echo im Reichstag in Berlin. Der spätere Sonderburger Bürgermeister Hans Nielsen war eines der „Opfer“ der anti-dänischen Maßnahmen in der Zeit der „Køller-Politik“.
In der Zeitschrift des historischen Vereins in Nordschleswig, „Historisk Samfund for Sønderjylland“, „Sønderjysk Månedsskrift“, sind im gerade erschienenen Heft 4/2022 Beiträge aus verschiedenen geschichtlichen Epochen des heutigen deutsch-dänischen Grenzlandes erschienen.
Zwangsmaßnahmen gegen Familien
Die Autorin Karen Marie Madsen stellt in ihrem Beitrag „Tvangsfjernelserne på Nordals“ das Wirken der preußischen Justiz im Rahmen der antidänischen Maßnahmen im nördlichen Teil der Provinz Schleswig-Holstein vor. Nachdem zunächst ein Amtsrichter im nordschleswigschen Toftlund versucht hatte, eine Frau per Bußgeldauflage in Höhe von 100 Mark davon abzuhalten, eine Tochter am Unterricht in einer dänischen Heimvolkshochschule in Hejls nördlich der Königsaugrenze teilnehmen zu lassen, wurde auf die im Urteil erwähnte Möglichkeit des Entzugs der Vormundschaft zurückgegriffen. Das sollte Eltern davon abhalten, ihren Kindern eine dänische Bildung zukommen zu lassen. Während der Bußgeld-Bescheid vom Kammergericht in Berlin, das als preußisches Appellationsgericht auch für Nordschleswig zuständig war, die Maßnahme im Fall des Schulbesuchs in Hejls als unzulässig aufhob, griff der Amtsrichter in Norburg (Nordborg) auf Alsen den Hinweis im Toftlunder Urteil auf, aus der Entsendung eines Kindes in eine dänische Schule einen Verstoß gegen die elterliche Fürsorgepflicht zu konstruieren.
Harter Amtsrichter hatte keinen Erfolg
Amtsrichter John Henri Hahn (1867-1920), der aus Altona stammte, entzog der Witwe Cathrine Marie Nielsen in Meels (Mjels) auf Alsen (Als) die Vormundschaft über ihre zehn Kinder. Ihr „Vergehen“ bestand unter anderem darin, ihren ältesten Sohn Hans zunächst in einer dänisch gesinnten Familie in Dahler (Daler) unterzubringen und anschließend bei der dänischen Zeitung „Flensborg Avis“ eine Lehre als Schriftsetzer aufnehmen zu lassen. Hahn, der sich auch im deutsch-nationalen Verein „Deutscher Verein für das nördliche Schleswig“ engagierte und vergeblich für den Landtag und den Reichstag kandidierte, erklärte einen als Vertreter des deutschen Lagers bekannten Schornsteinfegermeister Emanuel Scholz auf Alsen (1848-1913) zum Vormund der Kinder der Witwe.
„Schuss in den Ofen"
Doch die Maßnahme des aus Schlesien stammenden Kaminkehrers, den ältesten Sohn Hans Nielsen einem deutschen Einfluss auszusetzen, indem er ihn bei der Provinzialverwaltung in Kiel unterbrachte, sollte sich als „Schuss in den Ofen“ erweisen. Hans Nielsen arbeitete später für die Ahlmann-Bank in Kiel, für Geldinstitute in Berlin, Köln und Hamburg, so Karen Marie Madsen in ihrem Artikel, und er absolvierte später Fortbildungen an der „Jysk Handelshøjskole in Aarhus“. Er blieb der dänischen Sache trotz seiner deutschen Banklaufbahn verbunden und wurde 1909 Direktor der dänischen „Folkebanken for Als og Sundeved“, in der vor allem dänische Nordschleswiger im südöstlichen Landesteil ihre Geschäfte abwickelten.
Nachdem Nordschleswig nach dem Friedensschluss von Versailles und den Volksabstimmungen 1920 Teil Dänemarks wurde, ging Nielsen in die Politik. Zunächst als Mitglied des Stadtrates in Sonderburg wurde Nielsen 1933 Bürgermeister der Alsenstadt. Er war bis 1946 Stadtoberhaupt. Im Artikel von „Sønderjysk Månedsskrift“ wird auch berichtet, dass das Treiben des Amtsrichters Hahn sogar ein Echo in Berlin fand.
Mitstreiter des Oberpräsidenten von Köller
Er war ein enger Mitstreiter des für seinen harten anti-dänischen Kurs berüchtigten preußischen Oberpräsidenten in Schleswig-Holstein, Ernst von Köller, der von 1898 bis 1903 im Rückblick betrachtet aber wohl eher den Zusammenhalt der dänischen Einwohnerschaft gestärkt hat. Die Witwe Nielsen war nicht die Einzige, deren Kinder Opfer politischer Vormundschaftsverfahren wurden. Die Opfer der Willkür von Teilen der Justiz in Nordschleswig erreichten beim Landgericht in Flensburg und im Kammergericht in Berlin, dass der Entzug der Vormundschaft in mehreren Fällen aufgehoben wurde. Die Unabhängigkeit des Kammergerichts ist Teil einer Legende geworden, dass selbst der mächtige Friedrich der Große (1712-1786) sich dessen unabhängiger Macht beugen musste, als dieser einem Müller mit dessen klappernder Mühle vergeblich das Handwerk zu legen versuchte.
Im Reichstag in Berlin
Noch weitere Kreise zog die politische Justiz im Reichstag in Berlin, wo die dänischen Abgeordneten Gustav Johannsen und H. P. Hanssen mehrfach die Fälle zur Sprache brachten. Karen Marie Madsen berichtet über die Unterstützung der dänischen Vertreter durch Abgeordnete der katholischen Zentrumspartei, die Freisinnigen, und die nach 1900 immer stärkere Sozialdemokratie. Selbst die Stützen der ohne demokratische Legitimation herrschenden Reichsregierung Kaiser Wilhelm II. distanzierten sich von den Methoden des Norburger Amtsrichters.
Das neue Heft von „Sønderjysk Månedskrift“, das telefonisch über 74 62 46 83 oder über die Homepage www.hssdk.dk bestellt werden kann, enthält auch Beiträge über Machenschaften des dänischen Königs Erik von Pommern im 15. Jahrhundert in Nordschleswig und Ausführungen des Grenzregionsforschers Martin Klatt über eine mögliche deutsch-dänische Identität im Grenzland im Zuge einer Annäherung der deutschen und der dänischen Minderheit entlang der Staatsgrenze.
Klatt knüpft in seinem sehr interessanten Artikel auch an den Begriff der „Zweiströmigkeit“ an, der im Bereich der deutschen Nordschleswiger immer wieder Bedeutung erlangt hat. Redakteur Poul-Erik Thomsen liefert eine neue Ausgabe seiner Grenzlandchronik. Dabei greift er auch einen neu aufgeflammten Zwist über den Nazi-Reichsbevollmächtigten in Dänemark, Werner Best, auf.