Schloss Schackenborg

Stefan Seidler über die Minderheit, das Grenzland und nordische Werte

Stefan Seidler über die Minderheit, das Grenzland und nordische Werte

Stefan Seidler über Minderheit, Grenzland und dänische Werte

Mögeltondern/Møgeltønder
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Stefan Seidler und Zuhörende auf Schloss Schackenborg
Stefan Seidler berichtete in dem gefüllten Saal von seiner Arbeit in Berlin. Foto: Gerrit Hencke

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Der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler hielt am Montagabend einen Vortrag auf Schloss Schackenborg in Mögeltondern über seine Arbeit in Berlin, seine Arbeit für das Grenzland und die in Deutschland ausgerufene „Zeitenwende“.

Schloss Schackenborg zeigt sich an diesem späten Montagnachmittag von seiner besten Seite. Die Sonne scheint, im Schlossgarten zwitschern die Vögel, und frühlingswarme Luft weht sachte über das Gelände. Die ankommenden Gäste freuen sich auf einen Vortrag des Bundestagsabgeordneten Stefan Seidler. Der 44-Jährige folgte der Einladung des Schackenborg Fonden und von Mitorganisator Siegfried Matlok, dem früheren Chefredakteur des „Nordschleswigers“. 

Der Politiker des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) sitzt seit dem 26. Oktober 2021 für die dänische Minderheitenpartei im Bundestag in Berlin.

Das Format „Schackenborg Dialog“ soll im Rahmen der deutsch-dänischen Zusammenarbeit immer wieder interessante Referenten in das Schloss bringen. So sprach hier bereits Prinz Joachim zu Gästen.

Auch am Montagnachmittag war das Interesse groß. Für einige der Zuhörenden mussten extra Stühle gebracht werden. Zu Beginn wurde gemeinsam das Lied „For en fremmed barskt og fattigt“ gesungen, das Heimatlied der West-Nordschleswiger. 

Nach Begrüßungsworten von Jørgen Popp Petersen, Bürgermeister der Kommune Tondern, Fonds-Direktor Allan Nielsen und Siegfried Matlok trat Seidler an das Mikrofon und berichtete in der folgenden Stunde auf Dänisch von seinem Alltag in Berlin. 

Zunächst richtete Seidler seinen Blick zurück in die Zeit von 1949 bis 1953, als mit Hermann Clausen erstmals ein Abgeordneter für den SSW im Bundestag saß. Er selbst sei das Kind einer dänischen Mutter aus Apenrade (Aabenraa) und eines deutschen Vaters aus Flensburg (Flensborg). Er sprach über verkannte Wurzeln und Ressentiments gegen die Deutschen – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. 

Viele würden noch heute denken, die Vorurteile hingen mit dem Krieg zusammen. „Viele Deutsche kennen die Grenzlandhistorie nicht, daher kläre ich in Berlin auf“, so Seidler. 

 

Stefan Seidler vor Schloss Schackenborg
Stefan Seidler vor Schloss Schackenborg Foto: Gerrit Hencke

Stefan Seidler will drei Grundpfeiler in Berlin repräsentieren

Parteipolitisch sei die Reise nach Berlin ebenfalls interessant gewesen, sagt der 44-Jährige. Habe der SSW vorher regionale Interessen in Südschleswig, sehr lokal und im Land Schleswig-Holstein vertreten, habe sich das mit dem Einzug in den Bundestag etwas gewandelt. 

„Wir wurden in verschiedenen Bereichen schlichtweg vergessen. Sei es bei der Infrastruktur oder der Wirtschaft. Wir waren nicht auf der Tagesordnung.“ In Berlin sei es ihm daher wichtig, die ursprünglichen Werte des SSW zu vertreten: die Minderheit, das Grenzland und nordische Werte. 

Mit den drei Fokuspunkten sei man auch zur Wahl angetreten. Die Wählerinnen und Wähler hätten das gewollt. Seidler betont, dass auch aktuelle Umfragen die Partei im Aufwind sehen. Eine Kommunalwahlumfrage sehe den SSW bei 7 Prozent. Bei der Landtagswahl 2022 erreichte die Partei 5,7 Prozent der Stimmen.

Wir wurden in verschiedenen Bereichen schlichtweg vergessen. Sei es bei der Infrastruktur oder der Wirtschaft. Wir waren nicht auf der Tagesordnung.

Stefan Seidler, SSW-Bundestagsabgeordneter

Minderheiten werden mehr wahrgenommen

Die Minderheit habe laut Seidler einen noch größeren Fokus bekommen. Das liege seiner Einschätzung nach auch am Ukraine-Konflikt, der ebenfalls ein Minderheitenkonflikt sei. „In unserem Grenzland lösen wir unsere Probleme anders“, sagt er. Das hiesige Modell könne man zwar nicht auf andere Grenzregionen übertragen, aber diese könnten davon lernen. 

In Deutschland wird immer noch gefaxt, während so ein Gerät hier im technischen Museum stehen würde.

Stefan Seidler, SSW-Bundestagsabgeordneter

Das aktuelle Parlament sei sehr divers zusammengesetzt, mit Menschen, die verschiedenste Hintergründe hätten. Seidler berichtet, dass sich Friesen, Sorben, Sinti und Roma an ihn wenden und er mittlerweile Ansprechpartner für alle ist. 

Die Vermittlung nordischer oder dänischer Werte sieht Seidler ebenfalls in seinem Aufgabenbereich. Ein Beispiel sei die Digitalisierung. „In Deutschland wird immer noch gefaxt, während so ein Gerät hier im technischen Museum stehen würde“, sagt Seidler und erntet Lacher aus dem Publikum. Auch die Bürokratisierung sei in Deutschland ein Problem. Ein Auto zuzulassen sei mit viel Papierkram verbunden. In Dänemark sei alles digital. 

Wohlfahrtsstaat nach nordischem Vorbild

Seidler lobt auch den Wohlfahrtsstaat nach nordischem Vorbild. Zwar gebe es auch in Dänemark Probleme mit Krankenhäusern und lange Wartezeiten, in Deutschland sei die Zwei-Klassen-Medizin aber ein Knackpunkt, wo seine Partei einiges neu machen möchte. 

Der SSW im Bundestag möchte auch mehr Regionalpolitik wagen. „Wir werden schlicht vergessen“, sagt Seidler und nennt als Beispiel die Verteilung von Geldern für Verkehrsinfrastruktur und Wirtschaft. So habe Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der CSU den früheren Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gelobt, weil dieser so viele Mittel für Verkehr und Infrastruktur nach Bayern geholt habe. Hier würde man hingegen abgehängt. 

Um diese und andere Dinge auf den Weg zu bringen, würden neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seinem Büro Tagesordnungen wälzen, Gesetzesvorschläge prüfen und erstellen sowie Fragen an die Bundesregierung ausarbeiten. 

Küstenschutz auch für die Minderheit wichtig

Anders als in Dänemark sei in Deutschland etwa der Küstenschutz an Nord- und Ostsee nicht so auf der Tagesordnung. Ein für ihn wichtiges Thema. „Das ist auch für die Minderheit wichtig, weil wir hier leben. Flensburg, Schleswig oder Rendsburg sollen ja keine Städte werden, wo man in Zukunft wie in einer italienischen Stadt mit Gondeln rumfahren will.“

Seine begrenzte Redezeit im Plenum könne er richtig nutzen, dabei halte er sich stets eng ans Transkript. Der Transparenz wegen teile er seine Beiträge anschließend in sozialen Medien. 

Er selbst engagiere sich im Innenausschuss, um Minderheitenfragen zu platzieren, und im Finanzausschuss, wo das Geld verteilt wird. „Wir konnten so bereits Gelder für das Minderheitensekretariat und für Kultureinrichtungen in Schleswig-Holstein durchsetzen“, so Seidler.

Auch bei der Energiepreispauschale für Studierende, die wegen hoher Inflation Probleme mit steigenden Strompreisen bekommen haben, habe man einiges bewegen können. Hier ging es darum, auch Studierenden, die für ihr Studium über die Grenze pendeln, den Zuschuss zu gewähren. So habe man eine Sonderregelung im Norden verabschiedet, um die Lücke im Bundesgesetz zu schließen. „Zwar sind Grüne und CDU in Schleswig-Holstein nicht unsere besten Freunde, sie haben unser Anliegen aber unterstützt. Daran könne man sehen, dass der SSW einen Unterschied macht.“

„Zeitenwende“ und Rote Linien

Beim Thema Verteidigungspolitik führte Seidler die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz an, der bei dem historischen 100 Milliarden Euro schweren Sonderpaket für das Militär von einer „Zeitenwende“ sprach. Eine unvorstellbare Summe, sagt Seidler. Der 44-Jährige berichtet sodann von einem moralischen Dilemma, in dem vor allem die Grünen steckten. Viele hätten ihn um Rat gefragt, wie sie abstimmen sollen. Der SSW sei eine pazifistische Partei, die sich aus Verteidigungsfragen bislang herausgehalten habe, sagt Seidler. „Die Entwicklung in der Ostsee ist aber kritisch. Der Schutz der Ostsee bedeutet aber auch Sicherheit für uns.“ Daher habe er am Ende für das Sonderpaket gestimmt. Einige Kolleginnen und Kollegen hätten es ihm gleichgetan. 

In der anschließenden Frage-Antwort-Runde fragt ein Zuhörer Seidler, wann für ihn eine Rote Linie bei Deutschlands Engagement in der Ukraine erreicht sei. Die Situation in der Welt habe sich verändert, antwortet der SSW-Politiker. „Wo unsere Grundwerte sind, da denken wir viel drüber nach. Allerdings reparieren wir dänische Panzer in Flensburg, brauchen in Dänemark neue Marineschiffe, aber bauen keine mehr. Es passiert eine Zeitenwende auch in der Minderheit.“

Schackenborg mit Stefan Seidler
Stefan Seidler antwortete auf zahlreiche Fragen aus dem Publikum. Foto: Gerrit Hencke

Veraltete Grenzkontrollen

Eine weitere Frage dreht sich um rechte Kräfte in Deutschland, die sich nur zu sehr eine Ausländerpolitik nach dänischem Vorbild und Grenzkontrollen wünschen. Seidler betont erneut die dänischen Werte Wohlfahrt, Freiheit und „Grundtvig“. „Die Grenzkontrollen in ihrer bestehenden Form sind veraltet. Die heutige Technik macht andere, effektivere Kontrollen möglich.“

Bei Befürchtungen, der SSW könnte durch die Wahlrechtsreform in Deutschland nicht mehr in den Bundestag einziehen, kann Seidler beruhigen. Dier Bundestagsverkleinerung bedeute für den SSW, weil es keine Sperrklausel für Minderheitenparteien gibt, keine Gefahr. Allerdings müsse man natürlich die geforderte Anzahl an Stimmen erreichen. Er selbst stehe auf Listenplatz 16 von 23 und geht davon aus, dass die Partei wieder einziehen kann. 

Bahne Bahnsen, Vizepräsident der FUEN (Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten), lobte Deutschland für seine außerordentliche Minderheitenpolitik, sagte aber auch, diese müsse besser werden. Er fragte Seidler, wie es weitergehen werde. 

Der Abgeordnete betonte, dass einige Länder nicht wüssten, wie sie mit Minderheiten umgehen sollen. Frankreich, Spanien und das Baltikum hätten da Probleme. Die Grundidee der EU sei Zusammenarbeit. Die Minority-Safepack-Initiative zum Schutz nationaler Minderheiten sei da ein Schlüssel.

Neben Interreg gebe es viele Foren in der Grenzregion, wo die Kommunikation viel besser werden müsse. „Andere Länder hängen groß an die Glocke, was sie können.“ Neue Formate brauche es daher nicht, sondern man müsse Bestehendes nutzen, sagte Seidler an Popp Petersen gerichtet, der sich neue Gesprächsformate wünschte.

Gemeinschaftsliste für die Europawahl?

Und auch die Frage, ob SSW und SP (Schleswigsche Partei) sich eine Gemeinschaftsliste mit anderen Minderheitenparteien für die kommende Europawahl 2024 vorstellen könnten, ließ Seidler nicht unbeantwortet. Vorstellbar sei das schon, aber nach anstehender Kommunalwahl und jüngster Oberbürgermeister-, Landtags- und Bundestagswahl sehe er das nicht. Mit 3.500 Mitgliedern sei der SSW eine kleine Partei. „Alle Minderheiten arbeiten zusammen, daher wird das vielleicht in ein paar Jahren etwas.“

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