Hospiz

Wie schenkt man einem Sterbenden Hoffnung, Sigrid?

Wie schenkt man einem Sterbenden Hoffnung, Sigrid?

Wie schenkt man einem Sterbenden Hoffnung, Sigrid?

Sonderburg/Sønderborg
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Sigrid Wemmelund leitet das Hospiz für Nordschleswig seit 2018. In dem Haus gibt es Platz für zwölf Personen, die vor Ort beim Sterben begleitet werden. Foto: Birgitte Carol Heiberg/Jysk Fynske Medier/Ritzau Scanpix

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Zu ihr kommen die Menschen, wenn sie sterben: Sigrid Wemmelund leitet das Hospiz für Nordschleswig. Bei einem Vortrag in der Deutschen Bücherei Sonderburg gab sie bewegende Eindrücke aus ihrem Arbeitsalltag.

Umgeben von sterbenden Menschen Hoffnung schenken – das ist die Mission von Sigrid Wemmelund. Sie leitet das Hospiz für Nordschleswig.

In dieser Woche erzählte sie in der Deutschen Bücherei auf Einladung des Bundes Deutscher Nordschleswiger Sonderburg von ihrer Arbeit. Und davon, wie man angesichts des Todes Hoffnung schenkt.

Das Hospiz – ein trostloser Ort?

Ist das Hospiz nicht ein furchtbar trostloser Ort? Diese Frage wird Sigrid Wemmelund immer wieder gestellt.

Denn: Worauf kann man hoffen, wenn man weiß, dass man in Kürze sterben wird? „Der Nordschleswiger“ hat sich mit Sigrid Wemmelund darüber unterhalten.

 

Wer hierherkommt, wird in absehbarer Zeit sterben: Das Hospiz für Nordschleswig liegt am Ribe Landevej in der Kommune Hadersleben. Foto: Birgitte Carol Heiberg/Jysk Fynske Medier/Ritzau Scanpix

Als junge Krankenschwester arbeitete Sigrid Wemmelund mit Aids-Patientinnen und -Patienten in Aarhus. Traf auf junge Menschen, die starben, bevor das Leben richtig angefangen hatte.

Die junge Frau half lebensbedrohlich Kranken oder Sterbenden dabei, am Ende des Lebens Lebensqualität und Hoffnung zu finden. Und fand darin ihre Berufung.

Als sowohl ihr Vater als auch ihre Schwester im Hospiz starben, lernte sie Einrichtungen für Sterbebegleitung persönlich kennen.

„An so einem Ort will ich arbeiten“, sagte sich Sigrid Wemmelund. Sie machte einen Master-Abschluss, bewarb sich beim Hospiz in Hadersleben (Haderslev) – und wurde genommen.

Im September 2018 trat sie ihr Amt am Ribe Landevej an.

Ist das Hospiz ein trostloser Ort?
„Überhaupt nicht. Ich verstehe die Frage, natürlich verstehe ich sie. Aber wir müssen darüber reden, was Hoffnung für eine Größe ist. Wo Hoffnung eigentlich herkommt. Als Krankenschwester mit den Aids-Patienten dachte ich zunächst: Hoffnung muss sein, dass man überlebt. Oder dass eine Behandlungsmethode gegen Aids erfunden wird. Aber ich habe gelernt, dass Hoffnung weitaus mehr sein kann.“

„Wo Leben ist, ist Hoffnung, und wo Hoffnung ist, ist Leben“ – das ist dein Leitmotiv. Aber worauf kann man denn noch hoffen, wenn man stirbt?
„Wenn man nicht mehr auf Heilung oder Behandlung hoffen kann – ja was dann? Dann hofft man auf ein paar gute Jahre. Wenn das eng wird, dann wird die Hoffnung erneut auf etwas anderes gesetzt. Darin ist der Mensch richtig gut. Wir finden immer wieder neuen Anlass, um unsere Hoffnung auf etwas zu setzen. Die Hoffnung, die Konfirmation des Enkelkindes noch mitzuerleben. Dinge, die man noch erledigen möchte, bevor man stirbt. Irgendwann hofft man auf einen guten Tag heute und einen guten Tag morgen. Und zuletzt erlebe ich, dass die Hoffnung auf die Zukunft der Familie und der Freunde übergeht. Dass es die Kinder und Enkel gut haben, auch nach dem eigenen Tod. Und so gilt: Hoffnung lässt sich immer finden und neu setzen. Wo Hoffnung ist, gibt es Leben. Denn Hoffnung gibt Energie. Damit arbeiten wir. Ganz bewusst.“

 

 

Die Referentin im Vortragsraum der Deutschen Bücherei Sonderburg Foto: Sara Eskildsen

Aber wie schenkt man Trost, wenn der Tod kurz bevorsteht?
„Wenn wir nah am Tod sind, wird das Leben sehr deutlich. Und wo das Leben deutlich hervortritt, ist Leben. Darauf lenken wir unsere volle Aufmerksamkeit.“

Wie geht ihr bei eurer Arbeit vor?
„Ich würde sagen, wir sind eine Art Hoffnungs-Arbeiter im Hospiz. Es geht darum, den Menschen bis zu ihrem Tod die größtmögliche Lebensqualität zu verschaffen. Wir begleiten, wir verbinden uns mit den Menschen in der letzten Phase ihres Lebens. Eine der größten Herausforderungen im Leben ist es, diese Welt zu verlassen. In Würde. Wir sind sehr interessiert an der Lebensgeschichte und ausgebildet in narrativer Kommunikation. Wir fragen nach: Welches Leben hast du geführt? Sehen den Menschen hinter dem Patienten. Unsere Patientinnen und Patienten kommen hierher, krank und von ihrem Körper im Stich gelassen, liegen viel im Bett. Aber wer waren diese Menschen, bevor sie krank wurden? Was hat sie ausgemacht? Man kann so krank werden, so erschöpft sein, dass man ganz und gar vergisst, dass man noch etwas anderes ist als krank. Man vergisst, dass man Lehrerin war oder Landwirt. Daher sprechen wir über die Lebensgeschichte. Denn auch im gelebten Leben liegt Hoffnung. Hoffnung liegt nicht nur im Leben, das vor uns liegt. Auch in dem Leben, das hinter uns liegt. Wir helfen den Kranken und Sterbenden, über sich selbst nachzudenken und sich daran zu erinnern, wie viel man weiß, wie viel man erlebt hat, was man gemacht hat. Abgesehen von der Hilfe und der Linderung, die wir körperlich geben können.“

Sigrid Wemmelund leitet das Hospiz für Nordschleswig seit 2018. Foto: Sara Eskildsen

 

Wer erhält einen Platz im Hospiz?
„Palliativtherapie bedeutet Linderung. Es gibt zwei Niveaus an Palliativtherapie in Dänemark. Die Basis-Palliativtherapie über den eigenen Arzt oder die Heimpflege. Und die spezialisierte Palliativtherapie, die bei spezialisierten Krankenhausabteilungen, bei palliativen Teams und in den Hospizen angewendet wird. Für alle Menschen im Land gelten dieselben Regeln, wer ins Hospiz kommen darf. Man muss eine oder mehrere komplexe palliative Problemstellungen haben. Komplex kann bedeuten, dass die Schmerzen eines Patienten nicht gelindert werden können und die Person an einen Ort kommen muss, an dem er rund um die Uhr entsprechend eingestellt wird. Wo wir Tag und Nacht da sind, um die Schmerzen lindern zu können. Generell gibt es mehr Überweisungen an das Hospiz, als wir Plätze haben. Wir wählen jene Patienten aus, die den größten Bedarf an Hilfe haben.“

 

Manchmal kommen Angehörige nach fünf Monaten zu einem Trauerabend zu uns und stellen erleichtert fest, dass es nicht unnormal ist, monatelang zu trauern, denn Trauer fühlt sich erst mal als Ausnahmezustand an. Und es tut gut zu hören, dass Trauer sehr lange dauert. Und dauern darf.

Sigrid Wemmelund, Leiterin Hospice Sønderjylland

Ihr lernt durch eure Arbeit immer wieder Menschen kennen, die kurz darauf sterben. Wie kann man mit so viel Trauer und Tod professionell umgehen?
„Das gilt vorwiegend für meine Angestellten, die sehr viel näher an den Patienten dran sind und jeden Tag intensiver mit ihnen zu tun haben als ich. Wir reflektieren viel, es gibt eine externe Supervision, die sechsmal im Jahr ins Haus kommt, und dann gibt es im Täglichen die Reflexion unter Kollegen. Da gehen wir sehr systematisch ran, um das Erlebte zu besprechen und zu verarbeiten.“

Ihr erlebt immer wieder Hinterbliebene, die mit dem Verlust eines Menschen klarkommen müssen. Wie kann man trauern helfen?
„Der Tod eines Angehörigen ist vermutlich eine der schwersten Herausforderungen in unserem Leben. Hier im Haus helfen Psychologen und Pastoren sowie Krankenschwestern dabei, die Trauernden aufzufangen. Es gibt dreimal im Jahr einen Trauerabend im Haus, in dem Angehörige von hier Verstorbenen ins Haus kommen können. Dann reden wir gemeinsam, Pastor, Psychologe und Angestellte stehen für Gespräche bereit. Und wir laden zum Allerheiligen-Gottesdienst ein, mit anschließendem Kaffeetrinken und Reden. Wir geben den Trauernden auch Informationen mit auf den Weg, wo sie in der Gesellschaft Hilfe finden. In Trauergruppen, beispielsweise. Da gibt es bei uns im Land ein hervorragendes und engmaschiges Netz. Niemand muss allein trauern.“

Wie geht man mit dem Verlust eines geliebten Menschen um?
„Gemeinschaft hilft weiter, ebenso darüber zu reden. Manchmal kommen Angehörige nach fünf Monaten zu einem Trauerabend zu uns und stellen erleichtert fest, dass es nicht unnormal ist, monatelang zu trauern, denn Trauer fühlt sich erst mal als Ausnahmezustand an. Und es tut gut zu hören, dass Trauer sehr lange dauert. Und dauern darf.“

 

Die Geschichte der Hospiz-Arbeit in Dänemark

  • Die Hospiz-Philosophie entstand Anfang der 1960er in England. Die Ärztin Cicely Saunders gründete das St. Christopher’s Hospice und legte damit den Grundstein für die heutige Hospizbewegung und Palliativmedizin.
  • In den 1980ern gab es in Dänemark die ersten Sterbebegleitungen – zunächst zu Hause bei den todkranken Patientinnen und Patienten. Im ganzen Land entstanden nach und nach Unterstützergruppen für das Hospizwesen.
  • 1997 wurde der Freundeskreis „Hospice Sønderjylland“ gegründet. Unter anderem die Sonderburgerin Doris Ravn engagierte sich von Anfang an für eine Sterbebegleitung in der Region.
  • Beim Finanzhaushalt 2005 setzte die dänische Regierung erstmals Geld für Hospizarbeit ab. Jedes Amt sollte ein Hospiz erhalten. Vor allem dort, wo aktive Unterstützervereine existierten, entstanden Hospize, unter anderem in Svendborg und Hadersleben (Haderslev).
  • 2006 eröffneten die ersten sechs Plätze in Hadersleben, 2007 kamen sechs weitere Plätze hinzu. 2011 wurde das Haus ausgebaut und um Büro- und Gemeinschaftsräume erweitert.
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