Gesellschaft

Mit einem Fußtritt zurück ins Leben

Mit einem Fußtritt zurück ins Leben

Mit einem Fußtritt zurück ins Leben

Hadersleben/Haderslev
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Gemeinsam gehen sie durch dick und dünn: Giesela Nielsen, Lotte Aakjær und Lene Haas. Foto: Ute Levisen

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30 Jahre gibt es das Sozialcafé Parasollen in Hadersleben. Dort treffen sich Menschen, deren Schicksale unterschiedlicher nicht sein könnten. Es sind Geschichten, die das Leben schreibt. Eines ist ihnen allen gemein: Das Leben hat es selten gut mit den Café-Gästen gemeint.

Für viele Besuchende ist das Parasollen im Laufe der drei Jahrzehnte seines Bestehens zu einer zweiten Heimat geworden.

„Hier habe ich einen Fußtritt zurück ins Leben bekommen“, sagt Lotte Aakjær. Das Parasollen ist für sie ein Anker im Alltag. Täglich kommt die 50-Jährige in das Sozialcafé Parasollen – anfangs als Gast und seit nunmehr sieben Jahren als ehrenamtliche Helferin. Ihre Suchtprobleme hat sie nicht zuletzt dank der Geborgenheit dort, des Füreinander-da-Seins, in den Griff bekommen.

Lotte Aakjær ist seit sieben Jahren Gast im Parasollen – und ehrenamtlich engagiert. Foto: Ute Levisen

Gast und ehrenamtliche Helferin

Normalerweise hilft Aakjær ein paar Mal in der Woche im Café aus – ebenso gern ist sie dort zu Gast.

Im Unterschied zu den meisten anderen Gästen kommt sie nicht allein, sondern mit ihrem Mann: „Dem Besten auf der ganzen Welt“, sagt sie strahlend.

Ein Montag im Café

Es ist Montagnachmittag. Im Café Parasollen – auf Deutsch Café Sonnenschirm – herrscht Betrieb. Die meisten Tische sind besetzt. „An einigen Tagen kommen 30 – an anderen 50“, sagt Lene Margård Pedersen. „Manche kommen zweimal am Tag.“

Seit fast 17 Jahren ist Lene M. Pedersen Leiterin des Parasollen. Foto: Ute Levisen

Ein sicherer Hafen

Sie ist seit fast 17 Jahren Leiterin des Sozialcafés, das die Organisation KFUM betreibt. Für nicht wenige Menschen mit den unterschiedlichsten Herausforderungen ist die Sozialstätte an der Lavgade inmitten der Altstadt im Laufe der Zeit zu einer zweiten Heimat geworden. Es sind Menschen mit psychischen oder physischen Herausforderungen, alleinstehende oder einsame Menschen, für die das Parasollen zu einer Oase geworden ist, zu einem sicheren Hafen, in dem sie sich geborgen fühlen.

Gemeinsam trotzen Gäste und Ehrenamtliche den Widrigkeiten des Lebens: Lene Haas, Giesela Nielsen, Lotte Aakjær und Louise Pommerenke (v. l.). Foto: Ute Levisen

Alle in einem Boot

So geht es auch Lotte Aakjær: „Hier haben wir Spaß miteinander“, sagt sie. Lene Haas nickt: „Ja, wir helfen einander, wenn’s mal nicht so läuft – und werden dadurch gemeinsam stärker. Irgendwie sitzen wir ja alle im selben Boot.“

Lene Haas ist seit drei Jahren ehrenamtlich in die Arbeit der Sozialstätte involviert. Sie geht in der Küche zur Hand – Lotte Aakjær gestaltet die Handarbeitsnachmittage mit.

Eine schwere Zeit

Während des jüngsten Corona-Lockdowns hatte Lene Margård Pedersen den Sonnenschirm zusammenfalten müssen, wenngleich nur für ein paar Monate. Dennoch: „Man hat schon gemerkt, wie sehr manche von uns das traute Beisammensein im Café vermisst haben“, sagt Lotte Aakjær. Lene Haas nickt zustimmend: „Das war keine leichte Zeit.“

Haas selbst hat viele Jahre mit einer Zwangsstörung gekämpft, die sie inzwischen überwunden hat. Heute hält sie Vorträge darüber, wie es ist, damit klarzukommen – aus Sicht einer Frau, die weiß, wovon sie redet.


 

Spaß haben Gäste und Ehrenamtliche auch in der Küche, die einen guten Ruf genießt. Foto: Ute Levisen

Gemeinsam auf große Fahrt

Im Mai unternehmen die Gäste des Parasollen erneut eine gemeinsame Ferienreise. Es ist einer der Höhepunkte des Jahres – ebenso die Tagesausflüge. Spiele- und Häkelnachmittage sowie die gemeinsamen Kinobesuche erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit.

Das Miteinander ist nur eine der Aufgaben des Sozialcafés, wie dessen Leiterin betont: „Wir möchten auch ein guter Arbeitsplatz für jene 70 Menschen sein, die daran einen Anteil haben.“

„Social Drive Out“

Das sind neben den sechs festangestellten Mitarbeitern des Cafés die Ehrenamtlichen des Parasollen, die Beschäftigten in der Holzwerkstatt und die an den verschiedenen sozialen Projekten in Regie des Café Parasollen Beteiligten. „Social Drive Out“ ist eines dieser Projekte.

Mehrmals in der Woche schwärmen die Mitarbeiterinnen aus zu sozialen Brennpunkten oder einfach nur zu Menschen, die dankbar sind für eine warme Mahlzeit, aufmunternde Worte oder für ein bisschen Gesellschaft in einem Alltag, der ihnen normalerweise keine Höhepunkte beschert.

Freiraum für Frauen

„Wir haben fünf Routen, die wir bedienen“, sagt die Leiterin. Hoptrup, Woyens (Vojens), Sommerstedt (Sommersted) und Hadersleben sind Stationen.

Ein Dienstag-Treff im Varbergparken für Frauen ausländischer Herkunft hat sich in der kurzen Zeit seines Bestehens zu einem Erfolg gemausert: „Für die Frauen ist es eine willkommene Abwechslung, ein wöchentlicher Freiraum vom Alltag“, erzählt Lene Margård Pedersen.

In dieser Woche feiert das Parasollen sein 30-jähriges Bestehen mit einer Geburtstagsfete im Gemeindehaus von Alt Hadersleben. Foto: Ute Levisen

Auf eigenen Beinen stehen

Eine Schuldnerberatung zählt ebenfalls zum Angebot der Sozialstätte. Unter dem Motto „Zurück auf die eigenen Beine“ hilft es Gästen dabei, Geldsorgen in den Griff zu bekommen. Immer mittwochs schaut ein Seelsorger, eine Seelsorgerin im Café vorbei.

Am 1. April lädt das Parasollen zum 30. Geburtstag der Sozialstätte in das Gemeindehaus der Kirche zu Alt Hadersleben ein. Mehr als 100 Gäste haben sich dafür angemeldet.

Drei offene Wünsche hat die Leiterin im Jubiläumsjahr: „Ein neuer Fußboden fürs Café – davon träume ich. Neues Licht, und die Wände könnten auch ein Makeover vertragen.“ Bis zum ersten April werden sich ihre Geburtstagswünsche wohl nicht erfüllen. Aber das Jubiläumsjahr ist schließlich noch nicht vorbei.

Das Café Parasollen

Seit 30 Jahren gibt es das Café Parasollen in Hadersleben in Regie der karitativen, kirchlichen Organisation KFUM. Es ist eine Anlaufstelle für Menschen mit unterschiedlichsten Herausforderungen. Die Kommune Hadersleben unterstützt die Arbeit in Form einer Betriebsvereinbarung in Höhe von jährlich 800.000 Kronen.

 

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