Nachruf

Lise Nørgaards „Deutschstunde“

Lise Nørgaards „Deutschstunde“

Lise Nørgaards „Deutschstunde“

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Die Journalistin Lise Nørgaard hat bis zu ihrem Tod das Geschehen in Dänemark und der Welt genau verfolgt. Foto: Linda Kastrup/Ritzau Scanpix

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Am Sonntag starb die Journalistin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin Lise Nørgaard im Alter von 105 Jahren. Der ehemalige Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Siegfried Matlok, hat einen auch privaten Nachruf auf eine „Königin der Herzen“ verfasst.

In meinem Leben  bin ich nicht  nur journalistisch vielen interessanten Personen/Persönlichkeiten begegnet, aber meine Treffen, auch private Gespräche, mit der nun im Alter von 105 Jahren verstorbenen Lise Nørgaard gehörten zweifelsohne zu den menschlich angenehmsten Stunden.  Dass ganz Dänemark so tief betroffen und herzlich Abschied nimmt, ist Ausdruck der enormen Anerkennung und Dankbarkeit für die große alte Dame, die im Volk sozusagen eine Königin der Herzen war.

Sie hat selbst Dänemark-Geschichte geschrieben  mit ihrer Fernsehserie „Matador“. Die zwar nicht so weltberühmt geworden ist wie etwa „Borgen“ oder im Ausland so bekannt wie die „Olsen-Bande“, aber in Dänemark erreichte sie Kultstatus. Matador war in gewisser Weise ein Lehrbuch für jeden, der die Dänen und Dänemark besser kennen und verstehen wollte. Die Geschichte aus dem fiktiven Städtchen „Korsbæk“  ist vielleicht mit der deutschen Fernsehserie von Edgar Reitz „Heimat“ aus dem fiktiven Dörfchen Schabbach im Hunsrück vergleichbar, die die Jahre von 1919 bis 1982 umfasste und die damals die Deutschen in ihren Bann zog.

Journalistin seit 1935

Die Journalistin Lise Nørgaard – mit dem Karrierebeginn 1935 bei „Roskilde Dagblad“ in der damals so männerdominierten Pressebranche ein erstes Vorbild für Frauenrechte –  ließ in ihrer Dänemark-Geschichte die Jahre 1929 bis 1947 Revue passieren. Und damit auch die fünf dunklen Jahre der deutschen Besatzungszeit, mit Szenen deutscher Soldaten, aber auch mit der Figur des „Herbert Schmidt“ in der Rolle auch eines deutschen Flüchtlings in Dänemark, die von vielen mit Bert Brecht verwechselt wurde. Tatsächlich handelte es sich laut Nørgaard um einen jüdischen Flüchtling namens Strauss, der ein Freund ihrer Schwester war.

Kvik, det er en tysker!

Einer der berühmtesten Wortwechsel in der TV-Serie war der sogenannte antideutsche Hunde-Trick. In einer Szene ruft der Schweinehändler Oluf  Larsen (Buster Larsen), als deutsche Offiziere neben ihm in einem Restaurant seinem Foxterrier „Kvik“ freundlich ein Stück Fleisch anbieten, warnend zu: „Kvik, det er  en tysker“, worauf der Hund gehorsam-demonstrativ das Fleisch liegen lässt. Diese Dressurnummer war, wie Lise Nørgaard mir in einem Fernseh-Interview auf „DK4“ berichtete, eine Erfindung ihres Großvaters mütterlicherseits namens Martin Nielsen-Tønder, der damit seine Hunde nach 1864 gegen die preußische Herrschaft in Nordschleswig protestieren ließ.

Die deutsche Kultur bewundert

Lise Nørgaard hat oft genug unterstrichen, dass es ihr bei dieser Serie und schon gar nicht bei dieser Szene um eine „Verteufelung“ der Deutschen oder etwa der deutschen Kultur gegangen ist – im Gegenteil:  Ihre Großmutter stammte von Alsen, und ihr Vater hatte sie seit ihrer Kindheit mit der deutschen Kultur vertraut gemacht, der sie stets Bewunderung entgegenbrachte.  „Ich bin mit Goethe, Schiller und Heine aufgewachsen. Die deutsche Kultur hat uns immer bewegt“, sagte sie, die die deutschen Klassiker besser kannte als die meisten Deutschen.

Lise Nørgaard schrieb 1945 eine Reportage aus dem zerbombten Hamburg. Seither besuchte sie wiederholt und gerne die Hansestadt. 2015 empfing sie der damalige Oberbürgermeister der Stadt, Olaf Scholz. Foto: Siegfried Matlok/DK4

Vergleich mit dem 137 Meter hohen Himmelbjerg

Hamburg betrachte sie als eine zweite Heimat. Als alliierte Kriegsreporterin besuchte sie für Roskilde Dagblad unter ihrem damaligen  Namen Lise Flindt-Nielsen nach 1945 die zerbombte Hansestadt, sie als Kind in den 1930er-Jahren bei Besuchen ihres nazikritischen Onkels Valdemar auch das hässliche Gesicht Deutschlands kennengelernt hatte.  Nun stand sie mitten in den Ruinen. Unter der Überschrift „Hamborg en levende by med døde huse“  beschrieb sie am 29. Oktober 1946 in „Roskilde Dagblad“  die Bombenschäden und bezeichnete die katastrophale Lage  als hoffnungslos. Sie verglich die Situation damit, „als wenn eine Ameisenkolonie ‚Himmelbjerget‘ mit Milliarden von Kubikmetern“ abzutragen versuche. 

Nach dem Kriege war sie oft Gast in der  Hamburg Oper und bewunderte von Mal zu Mal das Wunder von Hamburg.

Unzufrieden wegen eines Fotos mit zerzaustem Haar

Lise Nørgaard war eine Werte-Konservative mit dem Ideal Bildung, die auch als Frauenrechts-Vorkämpferin nicht modischen Strömungen unterlag, sondern sich auch bis zuletzt mit Kritik an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht zurückhielt. Sie hatte – durchaus auch scharfen – Humor. Als sie mit dem Kopenhagener Publizistklub auf den Deichen der Tonderner Marsch  stand, um „Sort sol“ zu bewundern, da erlebte sie nach eigenen Worten vogelfrei-enttäuscht nur den „Grauen Star“.

Mit diesem Foto Siegfried Matloks war Lise Nørgaard so gar nicht zufrieden. Foto: Siegfried Matlok

Und sie hatte auch ihre eitlen „Macken“ – ihr Haar: bei Fernsehaufnahmen im Hamburg saß sie  fast stundenlang in der Maske: Ihr Haar musste sitzen. Und ich erinnere mich, dass sie mich mal nach einem Interview in ihrer direkt am Öresund gelegenen Wohnung in Skodsborg kritisierte, als ich danach mein Foto im „Nordschleswiger“  veröffentlichte, das sie mit zerzausten Haaren im Wind stehend zeigte.  Das gefiel ihr gar nicht ...

Letzter Wunsch hieß Merkel

In den Nachrufen von allen Freunden/Freundinnen sticht eine Eigenschaft heraus, die auch eine Grundvoraussetzung für guten Journalismus ist: ihre Neugierde am Leben, an Menschen. Erfreut, ja glücklich zeigte sie sich über  den Wandel im deutsch-dänischen Verhältnis, das ja nun wirklich in den 105 Jahren ihres Lebens Tiefen und Höhen erreicht hat.

Besonders angetan war sie von einer Frau – von Angela Merkel. Lise Nørgaard äußerte oft als letzten Wunsch, einmal die Bundeskanzlerin  zu treffen. Das ließ sich leider nicht realisieren, aber sie hatte immerhin die Genugtuung, dass die 98-Jährige 2015 bei einem Besuch in ihrer „geliebten“ Hansestadt auf dem berühmten Rathausbalkon vom Ersten Bürgermeister Olaf Scholz empfangen wurde – vom heutigen Bundeskanzler!

Mehr lesen
Kirsten Bachmann

„Mojn Nordschleswig“

Jetzt im Podcast: Volle Autos statt leere Busse – so soll die Rechnung aufgehen

Apenrade/Aabenraa In Folge 15 von „Mojn Nordschleswig“ bekommt Cornelius von Tiedemann überraschenden Besuch, als er Hannahs und Helges Quiz ankündigt. Sara Eskildsen spricht mit der Politikerin Kirsten Bachmann über eine App, die dafür sorgen soll, dass Menschen im ländlichen Raum mobiler werden und Hannah Dobiaschowski hat sich beim Leseratten-Duo Hugo und Linus nach Buchtipps erkundigt.

veganer Burger

Leitartikel

Fleischlose Revolution: Supermärkte ändern sich

Apenrade/Aabenraa In Berlin eröffnet die Supermarkt-Kette Rewe den ersten Supermarkt ganz ohne tierische Produkte, während man als Vegetarier oder Veganer Produkte ohne tierische Inhaltsstoffe in nordschleswigschen Läden oft lange und mitunter vergeblich suchen muss. Dänemark will bei dem Thema zwar aufholen, hinkt dem Nachbarn aber um Jahre hinterher. Es muss kein Fleisch auf den Teller, schreibt Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.