Geschichte

Grenzforscher: Abbau der Grenzen stößt aktuell auf Grenzen

Grenzforscher: Abbau der Grenzen stößt auf Grenzen

Grenzforscher: Abbau der Grenzen stößt auf Grenzen

Sonderburg/Sønderborg
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Professor Steen Bo Frandsen leitet das Center für Grenzregionsforschung an der Süddänischen Universität in Sonderburg. Er war Refernt während der Neujahrstagung 2020 des Bundes Deutscher Nordschleswiger in Sankelmark. Foto: Volker Heesch

Der Historiker Steen Bo Frandsen stellt 100 Jahre nach Volksabstimmung fest: Weder in Dänemark noch in Deutschland konnte man sich eine Alternative zur Wahl zwischen zwei Nationen vorstellen. Der Wissenschaftler in Sonderburg setzt 100 Jahre nach der Grenzziehung durch Schleswig ein Fragezeichen hinter den Begriff der Wiedervereinigung.

Der Leiter des Centers für Grenzregionsforschung an der Süddänischen Universität (SDU) in Sonderburg, Professor Steen Bo Frandsen, hat in einem Interview mit dem Medium Videnskab.dk die 100. Wiederkehr des Jahrestags der Volksabstimmung in Nordschleswig am 10. Februar 1920 zu einer auch kritischen Rückschau auf das historische Ereignis genutzt.

Grenzziehungen mit Konflikten verbunden

Der Historiker erinnert daran, dass Grenzziehungen meist mit Konflikten verbunden sind, weil die Grenzen von Machtzentren festgelegt werden. „In Schleswig war es nicht anders“, so Frandsen. 

Nur Wahl zwischen zwei Nationen möglich

„Weder in Dänemark noch in Deutschland konnte man sich eine Alternative dazu vorstellen, als dass die Schleswiger zwischen zwei Nationen wählen sollten“, so der Wissenschaftler. Und er fügte zum Vorgang 1920 hinzu: „Deshalb bin ich auch nicht über den Begriff ‘genforeningen‘ (Wiedervereinigung) froh.“

Spaltung Schleswigs

Er berücksichtigt nicht das regionale Erlebnis der Grenzziehung. Er hat einen idologischen Klang der Zentral-Lenkung. Es gab ja viele, die erlebten sie nicht als Wiedervereinigung, sondern als Spaltung.“ Steen Bo Frandsen hatte auch während der Neujahrstagung des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) in Sankelmark in einem Vortrag erklärt, dass es 100 Jahre nach den Vorlsabstimmungen und der Festlegung der deutsch-dänischen Grenze keinen Grund gebe die Teilung des einstigen Herzogtums Schleswig zu feiern. 

Vielfalt ging verloren

Frandsen hatte in seinem Vortrag auf die einstige sprachliche und kulturelle Vielfalt des einstigen Herzogtums Schleswig, die eine Durchgangsregion gewesen ist, hingewiesen, das staatsrechtlich „weder ganz deutsch, noch ganz dänisch“ gewesen ist. Erst mit dem Aufkommen des Nationalismus habe man von außen verlangt, dass sich die Menschen deutsch oder dänisch fühlen sollten. Schleswig habe an Vielfalt verloren.

Stimmen der Grenzregion wenig gehört

Gegenüber Videnskab.dk sagte Frandsen, dass meist „geringes Interesse an der eigenen Stimme der Grenzregion bestehe“. Darin liege auch ein Problem, das der Grenzforschung ihre Berechtigung gebe. „Man kann gut sagen, dass unser Forschungcenter der Grenzziehung 1920 entsprungen ist, so Steen Bo Frandsen zur Gründung des Instituts für Grenzregionsforschung 1976.

Daran war maßgeblich der Apenrader Historiker Prof. Troels Fink beteiligt, dessen Werk „Da Sønderjylland blev delt“ bis heute als grundlegende Abhandlung zur Geschichte der Volksabstimmungen 1920 zählt.

Grenzabbau aktuell wenig gefragt

Die Grenzregionsforschung zeige, dass aktuell die meisten Europäer nicht recht von der Idee überzeugt seien, die Grenzen abzubauen und die freie Beweglichkeit innerhalb der EU voranzutreiben. Forschungen hätten gezeigt, dass die „offenen Grenzen“ und EU-geförderte grenzüberschreitende Projekte eher von Eliten und weniger von den einfachen Menschen genutzt werden.

Nicht erwähnt wird in dem Interview allerdings der intensive Einkauf von Dänen südlich der Grenze oder die vielen Fahrten von Deutschen ins Urlaubsland Dänemark. Am 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Nordschleswig in der nördlichen Abstimmungszone 1 berichteten auch deutsche Medien aus dem deutsch-dänischen Grenzland.

Deutsche Medien berichten aus Grenzregion

So kamen bei einem Besuch des Deutschlandfunks (DLF) im dänischen Grenzort Seth/Sæd auch zur Sprache, dass dort am 10. Februar 1920 die Stimmberechtigten zu 80 Prozent für eine Zugehörigkeit zu Deutschland gestimmt hatten. 

 

Die Abbildung aus dem Vortrag Steen Bo Frandsens in Sankelmark zeigt eine Übersicht, wie hoch der dänische Stimmenanteil in einzelnen Orten und Städten bei den Abstimmungen 1920 gewesen ist. Foto: Volker Heesch

Der Ort aber als Teil der Abstimmungszone 1 mit dem „en bloc“-Abstimmungsergebnis wie andere Dörfer und Städte mit deutscher Mehrheit zu Dänemark kam, weil in Nordschleswig insgesamt 74,2 Prozent der stimmberechtigten Männer und Frauen mehrheitlich für Dänemark votiert hatten. In der Abstimmungszone 2 südlich der heutigen deutsch-dänischen Grenze stimmten am 14. März 1920 rund 80 Prozent für einen Verbleib bei Deutschland. 

In diesem Bereich gab es keine Orte mit dänischer Mehrheit, obwohl dort für jedes einzelnes Dorf oder jede Stadt entschieden wurde, ob man künftig zu Dänemark oder zu Deutschland gehören würde.

 

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