Stadtgeschichte

Affenraa, Lederhosen und ein Schutzengel: Apenrader Kindheitserinnerungen

Affenraa, Lederhosen und ein Schutzengel: Apenrader Kindheitserinnerungen

Affenraa und Lederhosen: 23 Apenrader Kindheitserinnerungen

Apenrade/Aabenraa
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Birthe Merete Jessen packt „ihr“ Buch aus. Foto: Carl Rosenvold

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„Ka’ do haus?“, so der Titel des Buches, das jüngst im Folkehjem vorgestellt wurde. 3 der 23 Autorinnen und Autoren hat „Der Nordschleswiger“ getroffen und erfahren, wie und warum das Werk entstanden ist. Dabei sind einige spannende Details aus den Kapiteln bekannt geworden.

„So viele einzelne Bilder tauchen aus den Tiefen der Erinnerung auf, unzusammenhängend, nur der Blick auf viel Kopfsteinpflaster, auf dem kleine Füße trippelten und über das blank geputzte Schuhe der Erwachsenen schlenderten oder zwischendrin verweilten, während die Träger der Schuhe im Gespräch über dieses und jenes verweilten, unterbrochen von kurzen Ermahnungen an die spielenden Kinder: ,Lauf nicht so wild, sei leise, spiel mit dem Ball nicht so dicht an den Fenstern.’“

Apenrade aus Sicht der Menschen

So beginnt die Erinnerung von Helmuth Petersen an seine Kindheit im Apenrader Pottergade-Viertel. Es ist eines von insgesamt 23 Kapiteln des Buches „Ka’ do haus?“ (zu Deutsch: Kannst du dich erinnern?), das kürzlich im Folkehjem präsentiert wurde.

Die Autorinnen und Autoren haben die unterschiedlichsten Blickwinkel zusammengetragen und aus ihrer Kindheit in der Nachkriegszeit, den 1940er- und 1950er-Jahren, erzählt. Das sei ganz bewusst, ergänzt Seifert. „Wir wollten keine Kriegserinnerungen.“

Im Buchhandel hatten sich einige der Autorinnen und Autoren getroffen, um das Buch vorzustellen – und stießen auf Interesse bei der Kundschaft. Foto: Carl Rosenvold

Birthe Merete Jessen hatte die Idee für das über 300-seitige Werk. „Ich hatte vor, Erinnerungen zu sichern“, sagt die Apenraderin. „Unsere Enkel sollen wissen, wie es war, in Apenrade aufzuwachsen, wie es war, zu der Zeit Kind zu sein.“

Schnell war klar: Allein konnte die 77-Jährige das nicht schaffen. Sie holte sich Unterstützung bei Kurt Seifert und Carl Rosenvold. Seifert half bei der Suche nach Autorinnen und Autoren und später bei der Durchsicht der Texte, Rosenvold war für die grafischen Aufgaben – Buchcover, Fotos – verantwortlich.

Kurt Honnens erzählt im Buch über seine Erfahrungen als „halvtysker“. Foto: Carl Rosenvold

Birthe Merete Jessen war es wichtig, ein „rundes“ Bild abzuliefern. „Ich wählte für jeden ein Thema aus. Du schreibst über den Kinderverein, du schreibst über den Ruderverein, Gerd Larsen schreibt über sein Aufwachsen am Klinkberg. Es war mir wichtig, dass es ein breites Spektrum wurde“, erzählt sie.

Möglichst alle Blickwinkel finden

„Wir haben geschaut, welches Viertel in Apenrade benötigen wir, welche soziale Schicht. Wir haben national-geografisch versucht, alles abzudecken, die Schulen und den Freizeitbereich“, ergänzt Kurt Seifert. So sind unter den Erzählenden auch Menschen aus der deutschen Minderheit – wie Jessen, Seifert, Petersen und Kurt Honnens.

Honnens (geb. 1950) berichtet von seinem Aufwachsen als Teil der deutschen Minderheit, vom Besuch der Deutschen Privatschule Apenrade, dem MTV, dem ARV und vom Engvej, wo er aufwuchs. „Tyskerpak“ wurde ihm und den Klassenkameraden damals in der Forstallé von einem älteren Herren nachgerufen.

Mitautor Gerd Larsen (l.) im Folkehjem, kurz vor der offiziellen Buchvorstellung. Foto: Carl Rosenvold
Carl Rosenvold (r.) bei der Buchpräsentation im Folkejhem Foto: Carl Rosenvold

Für die Autorinnen und Autoren war das Eintauchen in die Erinnerungen manchmal sogar eine Selbstfindung. Carl Rosenvold dürfte eigentlich nicht mehr am Leben sein. „Mit zwei Jahren bin ich am ,Lillejuleaften‘ im ersten Stock in den Fensterrahmen geklettert und durch das geöffnete Fenster hinausgefallen“, erzählt er. Mit dem Kopf voran fiel er gen Boden. Zufällig spazierte Frau Sohn genau in dem Augenblick vorbei, bemerkte etwas von oben kommen, griff reflexhaft zu und bekam den kleinen Carl noch an den Beinen zu fassen. „Dann hat sie mich in den Laden meiner Eltern gebracht und gefragt: ,Ist das euer Kind?’“

Kurt Seifert im Folkehjem Foto: Carl Rosenvold

Auch Helmuth Petersen hat sich durch die Verfasserarbeit näher mit seiner Familie beschäftigt, wie Kurt Seifert erzählt. „Er schrieb: ,Man behauptet, ich habe meinen Bruder in Fårhus besucht’.“ Warum, das wisse er jedoch nicht. „Habt ihr in der Familie nie darüber gesprochen?“, fragte Seifert beim gemeinsamen Durchgehen des Textes. Nein, so die Antwort. Erst jetzt, mit 78 Jahren, hat Petersen begonnen, in der Familiengeschichte zu forschen. Unter anderem im Archiv des Deutschen Museums Nordschleswig gab es Spuren. Die neuen Erkenntnisse hat er in seinem Buchbeitrag verarbeitet.

Für Seifert ein Indiz für den Umgang mit der Besatzungszeit in den deutschen Familien.

Helmuth Petersen (r.) liest im Buch „Ka‘ do haus?“. Foto: Carl Rosenvold

Einige Stimmen kommen in dem Buch nicht vor. „Es gibt einige, die keine glückliche Kindheit hatten. Die wollen sich selbst nicht outen oder ihre Eltern belasten“, vermutet Seifert, der selbst mit dem Kapital „I Lederhosen på Lindsnakke“ für das Buch beigetragen hat. „Wir zeichnen ein Bild einer Zeit in Apenrade, aber es fehlt was. Es fehlen diejenigen, die nicht die gute Kindheit hatten“, gibt Seifert den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg. „Es kann nicht für alle toll gewesen sein“, fügt er hinzu.

Die Autorinnen und Autoren trafen sich vor der offiziellen Buchvorstellung in einem Saal des Folkehjems. Foto: Carl Rosenvold

„Das Buch ist ursprünglich für meine Enkelinnen und Enkel gedacht“, sagt Birthe Merete Jessen. „Aber es ist ja auch eine Freude für alle aus meiner oder der Generation danach, über unsere Zeit zu erfahren.“

Erfolgreiche Präsentation

Alle am Buch Beteiligten, plus Ehepartner, haben sich kürzlich im Folkehjem getroffen und die Buchpräsentation gefeiert. Im Anschluss fand ein offizieller Empfang statt. „Der Bildersaal und der kleine Saal, alles war voller Menschen. Christian Jebsen hat übrigens die Kaffeetafel gespendet“, fügt Birthe Merete Jessen hinzu.

Alle bisher gedruckten Exemplare, immerhin 480 Stück, sind inzwischen verkauft. Finanziert wurde das Buch durch Spenden und Unterstützung vom Apenrader Ortsverein des Bundes Deutscher Nordschleswiger, „Velux Fonden“, „Kulturelt Samråd“, „Skifter Andersens Fond“ und „Dansk Kultursamfund af 1910“.

 

 

Ka’ do haus?

  • 480 Exemplare sind bisher gedruckt und inzwischen verkauft worden.
  • Das Buch ist im Buchhandel für 299 Kronen erhältlich.
  • Es ist im Skriveforlaget erschienen.
  • Das Vorwort stammt vom Apenrader Bürgermeister Jan Riber Jakobsen.
  • Herausgeberin ist Birthe Merete Jessen.
  • 23 Apenraderinnen und Apenrader berichten aus ihrer Kindheit in der Stadt.
  • Das Buch hat 332 Seiten.
  • Im Anschluss an die Erinnerungen ist das „Affenraa ABC“ angeführt, mit Erläuterungen von Begriffen aus den Texten.
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