Geschichte

Soldaten infizierten 1864 die Menschen in Nordschleswig mit tödlicher Krankheit

Soldaten infizierten 1864 die Menschen in Nordschleswig mit tödlicher Krankheit

Nordschleswig 1864: Soldaten brachten tödliche Krankheit mit

Volker Heesch
Apenrade/Aabenraa
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Zu den wenigen Fotos, die den Aufenthalt Tausender Soldaten auf Alsen im Jahre 1864 dokumentierten, zählt das des Militärorchesters des 5. dänischen Regiments in Guderup. Der enge Kontakt mit den Soldaten, die oft auch in Ställen campierten, hatte vor allem für viele Kinder tödliche Folgen. Foto: Kgl. Bibliotek

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Spionage, übersehene Kriegsfolgen und ein Arzt an der Front: Der Geschichts-Verein „Historisk Samfund for Sønderjylland“ präsentiert den Jahrgang 2022 ihrer Schriftenreihe „Sønderjyske Årbøger“. Ein erster Einblick.

Ein vielfach übersehenes Kapitel der kriegerischen Grenzlandgeschichte, indirekte tödliche Konsequenzen für die Zivilbevölkerung Nordschleswigs während des Zweiten Schleswigschen Krieges 1864, ist eines der Themen in der am Mittwoch im Apenrader Folkehjem vorgestellten Jahresschrift „Sønderjyske Årbøger 2022“ des nordschleswigschen historischen Vereins „Historisk Samfund for Sønderjylland“.

Infektiöse Soldaten

„Auf der Insel Alsen sind 1864 unglaublich viele Menschen vor allem an Typhus gestorben“, berichtete Ditte Kock, die zusammen mit Jacob Refshauge Beck den Beitrag „I Krigens Skygge“ (Im Schatten des Krieges) geschrieben hat. Diesen Beitrag haben die Historikerin und der Historiker am Geschichtscenter Düppeler Schanzen nach Durchforstung von Kirchenbüchern und anderen Dokumenten primär aus dem Bereich der Insel Alsen (Als) geschrieben.

Ein Teil des Teams, das zum Jahrgang 2022 der „Sønderjyske Årbøger“ beigetragen hat: (v. l.) Hans Schultz Hansen, Jacob Refshauge Beck, Ditte Kock, Mariann Kristensen und Mads Mikkel Tørsleff Foto: Volker Heesch

„Die Sterblichkeit der dortigen Bevölkerung stieg 1864 um 108 Prozent, bei den Kindern sogar um 180 Prozent“, so Jacob Beck. Ursache waren keine Kampfhandlungen, sondern vor allem der enge Kontakt der Zivilisten mit Soldaten. Zeitweise 19.000 dänische Soldaten drängten sich vor und nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen am 18. April 1864, nach vorübergehendem Waffenstillstand und der Eroberung Alsens durch preußische Truppen, Ende Juni 1864 bis zum Ende der Kampfhandlungen am 20. Juli des Jahres auf der Ostseeinsel zusammen.

450 zusätzliche Todesfälle

Auch die preußischen Soldaten waren vermutlich wandelnde Infektionsherde. In ihrem Beitrag berichten Kock und Beck, dass rund 450 Todesfälle in der Bevölkerung Alsens 1864 auf den Kontakt mit den in vielen Häusern einquartierten Soldaten zurückgeführt werden können. Die Soldaten hatten sich oft mit Typhus infiziert, Epidemien gab es in der dänischen wie in der preußischen Armee. Es wird angenommen, dass auch 25 Prozent der 3.600 gefallenen dänischen Soldaten der bakteriellen Infektion zum Opfer gefallen sind. 

Auf der Titelseite ist der Hof Vester Anflod zu sehen. Dieser war 1914 im Stil eines Eiderstedter Haubargs vom Flensburger Heimatschutz-Architekten Georg Rieve im Auftrag des späteren Politikers Cornelius Petersen im Mögeltonderner Koog errichtet worden. 1950 ist das Gebäude niedergebrannt. Rieve hat auch ab 1927 das heutige Noldemuseum in Seebüll für den Maler Emil Nolde entworfen. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

Im Namen der Redaktion der „Sønderjyske Årbøger“ stellte Mads Mikkel Tørsleff, Leiter des Museums Oldemorstoft in Pattburg (Padborg), den Inhalt der neuen Jahresschrift vor.

Autorinnen und Autoren gaben Einblick in ihre Beiträge

Von den anwesenden Autoren stellte Mogens Rostgaard Nissen seinen Beitrag über den Journalisten Jacob Kronika (1897-1982) vor, der nach 1920 jahrzehntelang wichtige Funktionen in der dänischen Minderheit in Südschleswig ausgeübt hatte.

Mogens Rostgaard Nissen ist Leiter der Studienabteilung der dänischen Zentralbibliothek in Flensburg. Foto: Volker Heesch

Rostgaard Nissen ging in seinem Beitrag auf die 1947 gegen Kronika vonseiten der britischen Besatzungsmacht erhobenen Vorwürfe ein, dieser habe während seiner Tätigkeit als Korrespondent in Berlin während der 1930er-Jahre und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Spion für das NS-Regime gearbeitet. Rostgaard Nissen erläutert, dass die Spionagevorwürfe nie zu juristischen Konsequenzen geführt haben.

Spionagetätigkeit unwahrscheinlich

Kronika habe es verstanden, in einer Verteidigungsschrift sein Wirken als halboffizieller Vertreter der Minderheit in der Nazi-Hauptstadt zu erklären. Kronika habe eingeräumt, dass er während der ersten Jahre der NS-Herrschaft deren böses Treiben noch nicht durchschaut hatte. Aber der nationalkonservative Mensch hatte bereits einige Jahre vor dem Ausbruch des Krieges in Dänemark vor den Gefahren des Hitler-Regimes gewarnt, was Dokumente belegten. Vor allem der Führer-Kult sei dem religiösen Menschen Kronika sehr zuwider gewesen. Er habe sich nach dem Krieg auch Vorwürfe gemacht, nicht genügend Widerstand gegen den Nazi-Terror geleistet zu haben. Der Archiv- und Forschungsleiter an der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg (Flensborg) ist zum Schluss gekommen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Kronika zugunsten des NS-Regimes spioniert habe. 

Niederländische Fliesen auf Röm erforscht

Else Marie Dam-Jensen, Museumsinspektorin am Museum in Tondern (Tønder), stellte in ihrem Beitrag über die anhand der  niederländischen Fliesen auf der Insel Röm (Rømø) sichtbaren Jahrhunderte währenden wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen dem dänischen Wattenmeer und den niederländischen Küstenregionen neue Forschungsergebnisse vor. „Es sind nur noch 25 Häuser mit niederländischen Kacheln auf Röm erhalten“, berichtete Dam-Jensen und erläuterte, dass bis heute vielfach das genaue Alter der Kacheln nicht bekannt sei.

Else Marie Dam-Jensen hat viele Dokumente zur Herkunft niederländischer Fliesen studiert, von denen nur noch ein kleiner Bestand in Häusern auf der Insel Röm erhalten ist. Foto: Volker Heesch

Leider hätten auf der armen Insel bereits im 19. Jahrhundert Einwohner ihre Fliesen teilweise verkauft. Erst mit dem Aufkommen des Tourismus im 20. Jahrhundert sei vielen Insulanern der Wert des Kulturgutes bewusst geworden, das auf dem Seeweg über die Nordsee nach Nordschleswig und Nordfriesland gelangt ist.

Naturschutzaspekte bereits in den 1920er-Jahren im Blick

Sehr interessante Beiträge haben auch Anne Marie Ludvigsen, Hans Schultz Hansen, Lars Henningsen und Anke Spoorendonk zum Jahrbuch beigesteuert. Ludvigsen berichtet unter anderem, dass Persönlichkeiten wie der Maler Emil Nolde, der Fotograf Theodor Möller, aber auch der dänische Naturschutzverband Danmarks Naturfredningsforening in den 1920er-Jahren warnten, dass mit dem großangelegten Bau von Schöpfwerken, Kanälen und Entwässerungsgräben eine reiche Natur zerstört wird.

Blick in SSW-Geschichte

Anke Spoorendonk erläutert, wie während ihrer Tätigkeit als Mitglied des Schleswigs-Holsteinischen Landtags die Partei der dänischen Minderheit, SSW, seit 2005 immer größeren Einfluss, aber auch zunehmend gesamtgesellschaftliche Verantwortung für das nördlichste Bundesland übernommen hat.

Der Eintritt des SSW in die Regierung sei ein Höhepunkt der Entwicklung des Südschleswigschen Wählerverbandes zu einer weit über den Kreis der dänischen Minderheit hinaus wählbaren Regionalpartei gewesen. Auf großes Interesse der historisch interessierten Leserschaft dürfte der vom aus Tondern (Tønder) stammenden Arzt John Nis Lorenzen verfasste Text über dessen Ausbildung zum Feldarzt des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg und dessen spätere Tätigkeit stoßen. René Rasmussen, Museum Sønderjylland Schloss Sonderburg (Sønderborg), hat den Text redigiert.

Viele Buchrezensionen

Der heutige Vorsitzende der „Historisk Samfund for Sønderjylland“, Hans Schultz Hansen, und sein Vorgänger Lars Henningsen geben in ihrem Beitrag einen Einblick in das in diesen Tagen 100-jährige Wirken ihres Vereins. Dieser hat seit seiner Gründung die Jahrbücher „Sønderjyske Årbøger“ veröffentlicht, die stets in wissenschaftlich fundierter Qualität immer neue Einblicke in die Vergangenheit Nord- und Südschleswigs liefern.

Im Jahrbuch 2022 werden auch zahlreiche Bücher rezensiert. Dazu zählen auch deutsche Titel wie Peter Hopps Werk über Pastor Johannes Schmidt Wodder oder das Buch „Kirche muss Kirche bleiben“ von Hermann Augustin und Günter Weitling. 

Das neue Jahrbuch, das den Mitgliedern des Geschichtsvereins zugestellt wird, ist bis Jahresende 2022 zum Sonderpreis von 100 Kronen erhältlich, später kostet es für Nichtmitglieder im Buchhandel 198 Kronen.

Weitere Informationen zu der Ausgabe in dänischer Sprache gibt es auf der Internetseite der Gesellschaft.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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