Krankenhauswesen

Hier ist der Herzstillstand gewollt

Hier ist der Herzstillstand gewollt

Hier ist der Herzstillstand gewollt

Apenrade/Aabenraa
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Mit beiden Händen wird bei der Herzmassage der Brustkorb bearbeitet. Foto: Karin Riggelsen

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In einem unscheinbar wirkenden Gebäude gleich neben dem Apenrader Krankenhaus befindet sich eine Abteilung, die die Zukunft der medizinischen Welt im Auge hat. Dazu gehört auch eine der modernsten Ausbildungsstätten für medizinisches Personal. Alles dient dem Wohle der Patientinnen und Patienten.

„27, 28, 29, 30“, zählt Mille und schaut sich nach ihrem Kollegen Lukas um, der ihre Position übernehmen soll. Dort, wo sie eben auf dem Krankenhausbett kniend den Brustkorb eines Patienten zusammengepresst hat, um die Pumpaufgabe des Herzens zu ersetzen, übernimmt jetzt der angehende Arzt.

Alle sind hoch konzentriert und arbeiten zielgerichtet. Lukas legt beide Hände übereinander und fängt an, den Brustkorb rhythmisch zu bearbeiten. Er zählt im Rhythmus seiner Bewegung: „Eins, zwei, drei.“ Bei 30 angekommen stoppt auch er. Ein weiterer Kollege hat zwischenzeitlich zwei Pads auf die Brust geklebt, die mit einem Defibrillator verbunden sind, der neben dem Bett steht. Lukas steigt vom Bett. Dann der Befehl: „Wegtreten.“ Alle heben die Hände und treten einen Schritt zurück. Dann wird der elektrische Schock ausgelöst, der ein nicht schlagendes Herz wieder in Gang setzen soll.

Eine Ausbildungsärztin übt Herzmassage. Foto: Karin Riggelsen

Lebensechte Situationen simulieren

Der Patient hat jedoch nicht wirklich einen Herzstillstand erlitten, sondern es handelt sich dabei um eine Puppe, an der die Ärztin und die Ärzte im Praktikum (KBU-læger) die Wiederbelebung üben. Es ist jedoch keine der üblichen Reanimationspuppen, die viele von den Erste-Hilfe-Kursen kennen, die unter anderem für den Führerschein benötigt werden, sondern es ist ein hochmoderner Trainingsroboter, der einen echten Patienten lebensecht simuliert. Der Roboter atmet, der Herzschlag ist spürbar und messbar, und die Augen können sich öffnen und schließen. Sogar die Pupillen reagieren wie bei einem Menschen.

Wie bei einer echten Reanimation zeigt das Gerät die Herzaktivität an. Foto: Karin Riggelsen

Auf den Notfall vorbereitet

Was die angehenden Ärztinnen und Ärzte geübt haben, ist eine nervenaufreibende Situation, die sich im Krankenhaus abspielen kann. Um darauf so gut wie möglich vorbereitet zu sein, wird das Szenario im Lehr- und Forschungszentrum (Lærings- og Forskningshuset) des Apenrader Krankenhauses (Sygehus Sønderjylland) ausgiebig geübt. Doch nicht nur solche Notfallsituationen können dort simuliert werden, wie der simulationstechnische Konsulent Pierrot Alemany Sekelj erklärt.

Ein Ausbilder gibt Anweisungen und übernimmt die Beatmung. Foto: Karin Riggelsen

Lehr- und Forschungszentrum – Lærings- og Forskningshuset

Das Lehr- und Forschungszentrum wird vom Apenrader Krankenhaus (Sygehus Sønderjylland) betrieben.

Das Zentrum für Lehre und Innovation soll die Sicherheit der Patientinnen und Patienten und die Kompetenz des medizinischen Personals im Landesteil stärken.

Das wird erreicht durch:

  • medizinisches Training und Unterricht
  • Einsatz von innovativer Technologie im Gesundheitsbereich
  • Verbesserung der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten
  • Verbesserung der digitalen Kompetenzen des Personals
  • Zugang zu Literatur

Pro Jahr finden etwa 600 Kurse mit knapp 7.000 Teilnehmenden statt.

 

Quelle: Sygehus Sønderjylland

„Die Ärzte proben auch andere alltägliche Situationen. Und das, bevor sie zu den Patientinnen und Patienten im Krankenhaus kommen, denn die Patientensicherheit steht bei uns an oberster Stelle. Hier kann geübt werden, ohne dass es Auswirkungen auf die Menschen hat. Wir können die verschiedensten Abläufe praxisnah simulieren“, so Alemany Sekelj.

Jede fünfte angehende Ärztin und jeder fünfte angehende Arzt in Dänemark wird am „Lærings- og Forskningshuset“ in Apenrade ausgebildet.

Simulation im realen Umfeld

Es sind jedoch nicht nur die einzelnen Schritte, die bei der Ausbildung am Center gelernt werden. „Wichtig ist primär, sie später auch im Team richtig auszuführen. Welcher Schritt kommt wann, und wer macht was, wenn es ernst wird“, sagt der Forschungshaus-Mitarbeiter.

Damit die Abläufe möglichst realistisch geprobt werden können, verlegen Alemany Sekelj und seine Kolleginnen und Kollegen ihre Übungen auch schon einmal in das Krankenhaus. Dann wird im Operationssaal der Ernstfall durchgespielt. „So wird das Gesamtbild noch realer.“

Übungen für alle Gesundheitsberufe

Nicht nur angehende Ärztinnen und Ärzte proben am Center den Ernstfall. Alle Mitarbeitenden, die mit Patientinnen und Patienten zu tun haben, können sich dort fortbilden lassen. „Wir haben Sozial- und Gesundheitsassistentinnen und -assistenten, denen wir verschiedene Übungssituationen anbieten können. Gleiches gilt für Personal aus Arztpraxen oder neu ausgebildete Krankenschwestern und -pfleger“, so der Simulationstechniker.

Ultraschall-Simulation: Schnelle Diagnose per Bildschirm

Besonders stolz ist Pierrot Alemany Sekelj auf einen Simulator für Ultraschall-Untersuchungen. Die Puppe kann auf verschiedenste akute Lungenerkrankungen kontrolliert werden. „So können die Ärzte hier üben, ernste und lebensbedrohliche Erkrankungen schnell und sicher mit dem Ultraschallgerät zu erkennen, und danach über die richtige Maßnahme zu entscheiden“, erklärt er.

Arzt Andreas Andersen (l.) zeigt Simulationsfachmann Pierrot Alemany Sekelj das Ultraschallgerät, das zusammen mit einer Puppe die Übungseinheit bildet. Das Gerät liefert echte Bilder, die verschiedenste Erkrankungen zeigen. Foto: Karin Riggelsen

Doch es sind nicht nur die lebensbedrohlichen Situationen, die am Center gelernt werden. „Wir können hier auch üben, einen Venenzugang zu legen oder wie kranke Menschen diagnostiziert werden können. Das machen wir beispielsweise bei Physiotherapeutinnen und -therapeuten. Es kommt ein Laiendarsteller, der bestimmte Symptome mimt. Daran muss entschieden werden, wie behandelt wird“, erzählt der Simulationsfachmann.

Technik der Zukunft im Blick

Neben der Ausbildung von Gesundheitspersonal hat das „Lærings- og Forskningshuset“ eine Abteilung, die sich damit beschäftigt, Abläufe im Krankenhaus durch technische Hilfsmittel zu vereinfachen und dem Menschen Arbeit abzunehmen. So fahren inzwischen Transportroboter durch das „Sygehus Sønderjylland“, die neben den Mahlzeiten unter anderem Material auf die Stationen liefern.

Es gab einen Versuch mit Robotern, die Arztvisite über weite Entfernungen möglich zu machen.  „So könnte etwa ein Arzt, der in Norwegen arbeitet, mit einem Patienten in unserem Haus sprechen und ihn beraten“, erklärt Pierrot Alemany Sekelj. Die Abteilung schaut auf technische Innovation und wie diese sich in den Krankenhausalltag einpassen lässt.

Forschungsergebnisse aus aller Welt

Daneben bietet das Forschungscenter eine Bibliothek für die Forschenden des Krankenhauses an. Neben Fachbüchern können die Bibliothekarinnen auch Fachliteratur aus der ganzen Welt beschaffen. „Und wenn es noch so selten ist: Wenn es zu dem Thema etwas gibt, dann wird es gefunden“, ist Alemany Sekelj überzeugt.

Das Apenrader „Lærings- og Forskningshuset“ arbeitet mit ähnlichen Einrichtungen in Esbjerg, Odense und Kopenhagen zusammen.

 

Ein Zitat an der Tafel im „Lærings- og Forskningshuset“ Foto: Karin Riggelsen

Das Krankenhaus Nordschleswig in Apenrade

  • Das Krankenhaus ist gebaut, um knapp 1,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Nordschleswig zu betreuen.
  • Rund 2.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt das Krankenhaus in Apenrade, Sonderburg (Sønderborg) und Tondern (Tønder).
  • Die neue Notfallklinik hat 1,25 Milliarden Kronen gekostet.
  • Das existierende Krankenhaus, 1992 eingeweiht, wurde von 25.600 Quadratmeter auf 80.000 Quadratmeter in zwei Phasen erweitert, die 2. Phase wurde im Februar 2020 abgeschlossen, unter anderem mit neuer Intensivabteilung, neuer biochemischer Abteilung und neuen Laboratorien.
  • Anzahl Betten: 271
  • Anzahl stationärer Aufnahmen pro Jahr: 42.000 (Stand: Januar 2023)
  • Anzahl ambulanter Behandlungen pro Jahr: 500.000 (Stand: Januar 2023)

Ausstattung der neuen Notfallklinik (akutsygehus) in Apenrade

  • Einzelzimmer mit Toilette für alle Patientinnen und Patienten
  • IT-Stationen auf allen Zimmern sollen dafür sorgen, dass sich Patientinnen und Patienten sowie Fachpersonal über Krankheitsverlauf und Maßnahmen austauschen.
  • Das Labor liefert für die Mehrzahl von Proben eine Antwort binnen einer Stunde.
  • Die Intensivstation ist auf dem neuesten technischen Stand inklusive einer Beleuchtung, die sich dem menschlichen Tagesrhythmus anpasst.
  • Eine automatisierte Logistik verbessert die Effektivität des Waren- und Medikamententransports.
  • Eine neue Wäscherei mit hohem Hygienestandard und verbesserten Arbeitsbedingungen
  • Neue Kapelle

Quelle:  Sygehus Sønderjylland

 

 

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