50 Jahre EU: Einer wird gewinnen

De Gaulle und Ludwig Erhards Gastgeschenk für Dänemark und die grüne Minderheit

De Gaulle und Ludwig Erhards Gastgeschenk für Dänemark und die grüne Minderheit

De Gaulle und Ludwig Erhards Gastgeschenk für Dänemark

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig/Kopenhagen
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De Gaulle (links) stellte Dänemark auf dem Weg in die EU ein Bein, während „Freund“ Ludwig Erhard auf der anderen Seite versuchte, Dänemark den Weg zu bereiten. Foto: Afp Photo/AFP/Ritzau Scanpix

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1964 steht die Frage des dänischen EWG-Beitritts immer noch im Raum. Dänemark bewegt sich dabei auf internationalem Parkett. Seniorkorrespondent Siegfried Matlok ist in der Serie „50 Jahre EU“ beim 9. Teil angelangt.

1964 bereitete sich die deutsche Volksgruppe auf die Folketingswahl vor und im Mittelpunkt stand dabei weiterhin die für Dänemark entscheidende Frage eines möglichen EWG-Beitritts.

In einer Sonderausgabe des „Nordschleswigers“ zur Folketingswahl am 22. September – in dänischer Sprache an nordschleswigsche Haushalte – war die wichtigste Botschaft auf der Titelseite sogar in grüner Farbe gedruckt: „Grænsen ved Kruså bør overvindes“ – die Grenze bei Krusau muss überwunden werden.“

In der Sonderausgabe wurde darauf hingewiesen, dass die Schleswigsche Partei die einzige dänische Partei sei, die ohne Vorbehalte für einen dänischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eintritt.

Seit 1947 stand die europäische Zusammenarbeit stets im Wahlprogramm der Schleswigschen Partei, und der Folketingsabgeordnete der Volksgruppe, Hans-Schmidt-Oxbüll, hatte sich Anfang des Jahres in der Marktdebatte auf Christiansborg eindeutig positioniert und für eine dänische Initiative ausgesprochen: mit anderen Worten für einen dänischen Alleingang ohne England.

Eine Sonderausgabe des „Nordschleswigers“ zur Folktingswahl 1964 – in dänischer Sprache. Foto: Der Nordschleswiger

Neu an der Spitze Deutschlands

Die Schleswigsche Partei wolle ihre Bedeutung in der Marktpolitik nicht überschätzen, hieß es in der Sonderausgabe. Das war allemal realistisch, denn die Musik wurde natürlich in höheren Etagen gespielt.

Das Veto des französischen Präsidenten de Gaulle aus dem Vorjahr blockierte einen englisch-dänischen Beitritt, doch mit der Wahl von Professor Ludwig Erhard zum Bundeskanzler als Nachfolger von Konrad Adenauer stand nun ein Mann an der Spitze der Bundesrepublik, der persönlich für eine europäische Lösung warb. 

Im Februar besuchte Bundeskanzler Erhard den französischen Staatspräsidenten in Paris. Die Gespräche mit de Gaulle galten den Meinungsverschiedenheiten über die europäische Wirtschafts- und Verteidigungspolitik, doch bei dem Treffen wurden erhebliche Differenzen in der Außenpolitik sichtbar.

Am 7. Juli erfolgte dann der Gegenbesuch de Gaulles in Bonn. Die Atmosphäre war kühl. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen von Frankreich und Deutschland über den Weg nach Europa. Die Bundesregierung kündigte neue Vorschläge für den politischen Zusammenschluss Europas an – aber sehr zum Unwillen des französischen Präsidenten, der an seinem strikten Nein festhielt.

Nach Chruschtschow kam Ludwig Erhard

Am 8. und 9. Juli besuchte Ludwig Erhard als erster deutscher Bundeskanzler Dänemark und traf mit dem Sonderzug – mit dem er in der Nacht auf dem Bahnhof in Süderbrarup eine Ruhepause eingelegt hatte – in Aarhus ein, wo König Frederik IX. den Bundeskanzler an Bord der königlichen Jacht „Dannebrog“ empfing. 

Der Kanzler kam also unmittelbar nach seinen gescheiterten Gesprächen mit de Gaulle und nur wenige Wochen nachdem der sowjetische Parteichef Chruschtschow Dänemarks Staatsgast gewesen war, sodass sich beide Regierungschefs gegenseitig über ihre Gespräche informieren konnten.

Im Vordergrund der Gespräche standen natürlich die Fragen der künftigen Europapolitik. Staatsminister Jens Otto Krag hatte  bereits als Außenminister in Bonn den früheren Wirtschaftsminister Erhard getroffen und dabei darauf hingewiesen, dass die Landwirtschaft auch für die dänische Industrie vital sei, weil die Industrie große Zukunfts-Investitionen erfordere, die das Land aber ohne ein Gleichgewicht in der Leistungsbilanz nicht schultern könne.

Und als Voraussetzung dafür sei der landwirtschaftliche Export eben unverzichtbar. Die dänische Marktpolitik hatte manchmal kafkaeske Züge. 

Gastgeschenk Handelsabkommen

Erhard besuchte in Dänemark zunächst Aarhus und flog erst anschließend nach Kopenhagen, wo er die Sankt-Petri-Kirche und auch den Dom von Roskilde besichtigte. Der Kanzler versuchte die Dänen zu (ver)trösten – mit der Zusage, Dänemark auf dem Wege in die EWG weiterhin voll zu unterstützen.

Noch wichtiger war aber das Gastgeschenk, das der Bundeskanzler mitgebracht hatte, mehr als ein Trostpreis: Die Verlängerung des deutsch-dänischen Handelsabkommens bis zum 31. Dezember 1969, das die Außenminister Schröder und Per Hækkerup in Aarhus unterschrieben hatten und das vor allem für die bedrängte Landwirtschaft von größter Bedeutung war. Es sicherte jährlich den Export von 225.000 Stück Vieh nach Deutschland.

Die Tageszeitung „Hejmdal“ begrüßte Ludwig Erhard als Freund Dänemarks, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Konrad Adenauer und dem CSU-Politiker Franz-Josef Strauss den dänischen Europa-Wünschen entgegenkomme.

Erhard hatte in Kopenhagen unterstrichen, die Bundesrepublik wünsche sich kein „Zweier-Europa“ und bei seiner Rückkehr nach Bonn wurde der Kanzler noch deutlicher:

„Ich glaube, dass ich in Dänemark für die Festigung und den Zusammenhalt Europas mehr getan habe als das währenddessen hier in Bonn in manchen Gesprächen der Fall gewesen ist.“

Dornen auf dem Weg

Staatsminister Krag zeigte sich in seiner Tischrede dankbar über das „volle Verständnis für unsere Gesichtspunkte“ durch den Bundeskanzler, aber Krag wusste die schwierige Lage dennoch realpolitisch einzuschätzen. Seine Prognose: Dänemark werde weiterhin mit Dornen auf dem Wege nach Europa rechnen müssen.    

Die Überwindung der Zollgrenze bei Krusau zwischen der EWG mit Deutschland einerseits und der EFTA mit Dänemark andererseits war noch lange nicht in Sicht.

Nikita Chruschtschow amüsiert sich bei seinem Dänemark-Besuch im Beisein der Staatsminister-Gattin und Schauspielerin Helle Virkner. Foto: Tage Christensen/Ritzau Scanpix

Chruschtschow in Dänemark: Die „Klempner“ in seiner Toilette

1959 hatte der sowjetische Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow seine geplante Dänemark-Reise abgesagt – „beleidigt“, wie „Der Nordschleswiger" damals schrieb.  In einer Erklärung hatte der Kreml die Absage u.a. mit „faschisten-ähnlichen Elementen, feindlichen Emigrantengruppen und einer reaktionären Haltung der Zeitungen“ begründet.   

Drei Jahre später, im Juni 1964, kam Chruschtschow mit Frau Nina nun doch noch zu einem offiziellen Besuch in Dänemark – und die Dänen jubelten ihm „rekordverdächtig“ zu. In einer inzwischen bekannt gewordenen Besuchs-Notiz der russischen Botschaft heißt es, Gastgeber Jens Otto Krag habe festgestellt, seit der Befreiung Dänemarks von den Deutschen im Mai 1945 habe er nie so viele frohe Menschen auf den Kopenhagener Straßen gesehen wie bei der Autofahrt des sowjetischen Politikers durch Kopenhagen. 

Vom 16. bis 21. Juni weilte Chruschtschow in Dänemark: Staatsminister Jens Otto Krag und seine Frau, die Schauspielerin Helle Virkner, luden die Chruschtschows   in ihr privates Reihenhaus am Egernvej auf Frederiksberg ein, wo Chruschtschow sogar mit den Kindern spielte. 

Bei den politischen Gesprächen zog Krag die internationale Karte – auf Wunsch aus Washington:  Der Nachfolger des im November 1963 erschossenen US-Präsidenten John F. Kennedy, Lyndon Johnson, hatte den dänischen Staatsminister dazu ermutigt, vertrauliche Kontakte zu Moskau zu pflegen, um so die An- und Absichten des sowjetischen Gastes besser kennenzulernen.

Chruschtschow und Südschleswig

Wenige Monate zuvor – im Februar 1964 – war Krag Gast im Kreml gewesen, wo er sich unter anderem nach dem Schicksal eines dänischen Südschleswigers erkundigte, der gegen seinen Willen im deutschen Heer gekämpft hatte und nun vermisst werde.

Chruschtschow antwortete, der Mann müsse wohl tot sein, denn es gebe in Russland keine Kriegsgefangenen mehr.

Krag wusste den sowjetischen Dänemark-Besuch aber auch innenpolitisch zu nutzen, denn die gesamte dänische Prominenz aus Politik und Wirtschaft nahm am Besuch teil, der als Höhepunkt einen Empfang bei der königlichen Familie umfasste.

Chruschtschow und die dänischen Kühe

Besonders wirkungsvoll war für die Medien jedoch Chruschtschows Abstecher nach Fünen, wo er vom früheren Venstre-Häuptling, dem ehemaligen Staatsminister Erik Eriksen, auf dessen Hof „Leragergård“ südlich von Ringe empfangen wurde. 

Der joviale Russe – bekleidet mit Strohhut –  fühlte sich bei „Vikinger-Erik fra Ringe“ sichtlich wohl, was auch den Kühen zugutekam, denn Chruschtschow kratzte die Kühe anerkennend hinter den Ohren.

Am Rande des Besuchs – Chruschtschow war auch Gast auf der „roten“ B&W-Werft, die an russischen Schiffsaufträgen interessiert war – kam es auch zu einem kurzen Meinungsaustausch mit dem ehemaligen DKP-Führer Aksel Larsen, der 1956 die DKP aus Protest gegen Moskaus Überfall auf Ungarn verlassen und danach die Partei „SF“ gegründete hatte.

Larsen begrüßte den „Genossen Nikita“ zwar auf Russisch, aber Chruschtschow antwortete nur kurz bündig: „Was verstehen Sie vom Kommunismus? „Wir haben nichts zu besprechen.“

Chruschtschow und der deutsche Strick

Mit Krag sprach Chruschtschow auch über die deutsche Frage, nachdem sein sowjetischer Gast noch wenige Tage zuvor mit DDR-Parteichef Walter Ulbricht einen „Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit“ unterzeichnet hatte.

Wie schon 1959 bei seiner Absage kritisierte Chruschtschow erneut scharf die engen Nato-Bande zwischen Dänemark und der Bundesrepublik, die er „mit dem Verhältnis zwischen dem Strick und dem Gehängten“ verglich. 

Nachrichtendienst: Chruschtschow kerngesund

Der Besuch verlief für Jens Otto Krag auch im Hinblick auf die kommende Folketingswahl erfolgreich, aber die Dänen konnten noch einen weiteren Erfolg verbuchen, der aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.

Während seines Aufenthalts im „Royal SAS-Hotel“ hatte der Militärische dänische Nachrichtendienst („FE“) sich mit seiner sogenannten „Klempner-Abteilung“ direkt an die Toilette von Chruschtschow angeschlossen, um via Darminhalt und Urin den Gesundheitszustand des sowjetischen Staatschefs zu untersuchen.

Kerngesund, lautete die FE-Analyse über den 70-jährigen Gast, doch das half Chruschtschow wenig: Im Oktober 1964 wurde er im Kreml gestürzt.

 

 

Als Stadtrat ist Stephan Kleinschmidt Teil des Verwaltungsvorstands im Flensburger Rathaus. Dieser ist so etwas wie die Stadtregierung Flensburgs. Ihm gehören neben Kleinschmidt der Oberbürgermeister Fabian Geyer, Bürgermeister Henning Brüggemann als sein Stellvertreter und Dezernentin Karen Welz-Nettlau an.

Während der Oberbürgermeister direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gewählt wird und Dezernentin Welz-Nettlau eine Laufbahn-Beamte auf Lebenszeit ist, werden der Bürgermeister und der Stadtrat für eine Amtszeit von sechs Jahren von der Ratsversammlung gewählt.

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