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„Die Vereinten Nationen scheitern an den Menschenrechten“

Die Vereinten Nationen scheitern an den Menschenrechten

Die Vereinten Nationen scheitern an den Menschenrechten

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Apenrade/Aabenraa
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Die Vereinten Nationen – ein dysfunktionales System? Jan Diedrichsen schildert, wie schwierig die Lage aufgrund des politischen Druckes etwa aus Peking für Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten ist. Leidtragende sind primär Minderheiten. Nicht zuletzt, weil auch in Kopenhagen und Berlin Wirtschaftsinteressen besonders schwer wiegen.

Zur Person: Jan Diedrichsen

Jan Diedrichsen (Jahrgang 1975), wohnhaft in Berlin und Brüssel, leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel, hat sein Volontariat beim „Nordschleswiger“ absolviert und war als Journalist tätig. 13 Jahre lang leitete er das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen und war Direktor der FUEN in Flensburg. Ehrenamtlich engagiert er sich bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) – davon bis 2021 vier Jahre als Bundesvorsitzender. Seit Juni 2021 betreibt er gemeinsam mit Wolfgang Mayr, Tjan Zaotschnaja und Claus Biegert ehrenamtlich den Blog VOICES.

In diesen Tagen wünscht man sich, dass die Vereinten Nationen das leisten würden, wofür sie nach den schrecklichen Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges geschaffen wurden: die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts, den Schutz der Menschenrechte und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit.

Doch das System ist dysfunktional. Schlimmer noch, die Vereinten Nationen, die sich im Sicherheitsrat schon seit Jahrzehnten durch die ständigen Mitglieder selbst blockieren, drohen auch in der Frage des Schutzes der Menschenrechte zur Farce zu verkommen. Staaten wie China und Russland üben immer größeren Einfluss aus und geben den Takt vor. Dass Menschenrechte dann keine Rolle spielen, außer sie können politisch instrumentalisiert werden, erklärt sich von selbst.

Am vergangenen Dienstag wurde die ehemalige Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet, verabschiedet. Vier Jahre war sie Hohe Kommissarin für Menschenrechte. Wie bei solchen Ereignissen üblich, wird mit Lob und Schulterklopfen nicht gegeizt. Es gab die obligatorischen stehenden Ovationen. Doch einer blieb im Saal sitzen und verschränkte demonstrativ die Arme vor seiner Brust: Dolkun Isa. Dolkun Isa ist nicht irgendwer. Er ist Vorsitzender des Weltverbandes der Uiguren, mittlerweile deutscher Staatsbürger und wohnhaft in München. Er ist wohl der prominenteste Vertreter der Uiguren, dieser gnadenlos verfolgten muslimischen Minderheit in China.

Er ist ein erklärter Staatsfeind Pekings. Viele Jahre vertrat er die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an Veranstaltungen der UNO, in Genf und New York. Dadurch erhielt er die Möglichkeit, das brutale Unterdrückungsregime Chinas anzuklagen. China hat mit massivem Druck versucht, der GfbV die Akkreditierung bei den Vereinten Nationen entziehen zu lassen. Nur durch das beherzte Eingreifen vor allem der deutschen Delegation und der EU-Vertretung wurde dies verhindert. Das Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivistinnen, nicht zuletzt durch China und Russland, nimmt immer weiter zu.

Dolkun Isa konnte der Menschenrechtskommissarin und dem UN-System nicht applaudieren, weil er enttäuscht und verärgert ist. Während die ehemalige chilenische Präsidentin mit Lob, Blumen und stehenden Ovationen verabschiedet wurde, blieb zum großen Abschiedsempfang ein lang versprochener und immer wieder verschobener Bericht über die Menschenrechtslage in Xinjiang/Ostturkestan, der Heimat der Uiguren und anderer muslimischer Nationalitäten, weiter unter Verschluss.

Doch dann nahm die ganze Angelegenheit in der Nacht zu Donnerstag noch eine dramatische Wende. 13 Minuten vor dem offiziellen Ende des Mandats von Bachelet veröffentlichte sie doch noch den lang ersehnten Bericht ihres Büros. Dieser bestätigt, dass China „möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit" in Xinjiang begangen habe. Der Bericht spricht von eindrücklichen und vertrauenswürdigen Belegen grausamster Menschenrechtsverletzungen. Die Menschenrechtsszene reagiert erleichtert, aber kritisiert weiter die späte Veröffentlichung.

Michelle Bachelet hatte dem Menschenrechtsrat vor fast einem Jahr mitgeteilt, dass ihr Büro einen Bericht über die Lage in der Region im äußersten Westen Chinas fertigstellen würde. Peking wird beschuldigt, mehr als eine Million Uiguren und andere muslimische Minderheiten zu inhaftieren. Bei ihrer Verabschiedung sprachen verschiedene Menschenrechtsgruppen und auch die britische Botschafterin den verspäteten Bericht an. Es sei „für uns alle wichtig, dass kein Staat einer objektiven Prüfung seiner Menschenrechtsbilanz entgehen kann und dass kein Staat die unabhängige Stimme der Hohen Kommissarin unterdrücken darf", sagte die britische Diplomatin. „Wir fordern Sie daher dringend auf, Ihren Bericht über China zu veröffentlichen." Dem kam die UN-Vertreterin beinah wortwörtlich in letzter Minute nach.

China wird eine ganze Reihe von Misshandlungen in Xinjiang vorgeworfen, darunter Masseninhaftierungen, Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen und die Zerstörung kultureller und religiöser Stätten der Uiguren. Die Vereinigten Staaten und Gesetzgeber in anderen westlichen Ländern sind so weit gegangen, China des Völkermords an den Minderheitengruppen zu beschuldigen.

Die Vereinten Nationen müssen mutiger gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen und dürden sich nicht von Diktaturen und Autokratien einschüchtern lassen. Dafür braucht es aber die Unterstützung aller Demokratien, über die gängigen Lippenbekenntnisse hinaus. Leider ist jedoch nicht zu erwarten, dass Europa, dass Deutschland oder Dänemark auf Grundlage des Berichtes die Gangart gegenüber China verschärft. Wirtschaftsinteressen stechen weiterhin Menschenrechte.

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