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„Polen ist wieder zurück“

Polen ist wieder zurück

Polen ist wieder zurück

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Oppeln/Opole
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Die deutsche Minderheit ist zum ersten Mal in der neueren demokratischen Geschichte Polens nicht mehr im Parlament im Sejm vertreten. Weshalb für die Parlamentswahl dennoch positive Worte gefunden werden können, und warum der polnischen Regierung ein Blick nach Kopenhagen Inspiration bieten würde, erklärt Jan Diedrichsen in seiner dieswöchigen Kolumne.

Es war ein Sieg für die Demokratie in Polen, ein Sieg für die Demokratie in Europa. Die polnischen Wählerinnen und Wähler haben die rechtsnationalistische, antieuropäische Regierung der PiS-Partei abgewählt. Die PiS, zu Deutsch „Recht und Gerechtigkeit“, regiert seit 2015 in Polen.

Der Sieg der Opposition war hart erkämpft. Der Wahlkampf war geprägt von bösartigem Populismus, krassen Lügen, einem wilden EU-Bashing, gewürzt mit einem surreal anmutenden Deutschland-Ressentiment. Hätte sich die PiS durchgesetzt, wäre Polen wahrscheinlich endgültig in den autoritären Sumpf abgeglitten, in dem sich nunmehr allein die ungarische Regierung unter Viktor Orban suhlt.

Die vermeintlich neue Regierung wird unter Leitung von Donald Tusk stehen, dem ehemaligen polnischen Regierungschef (2007–2014) und Präsidenten des Europäischen Rates (2014–2019). Donald Tusk steht nun die schwierige Aufgabe bevor, die gespaltene polnische Gesellschaft zu versöhnen. Er hat angekündigt, wieder in der EU eine konstruktive Rolle spielen zu wollen.

Tusk wurde von der Regierung gnadenlos ins Fadenkreuz einer beispiellosen Schmutzkampagne genommen. Der vermeintliche nächste polnische Regierungschef musste sich immer wieder anhören, dass sein Großvater ein Nazi gewesen und er selbst im Sold von Berlin, Brüssel und Moskau stehe. Natürlich ohne, dass für diese ehrabschneidenden Anschuldigungen je Beweise beigebracht worden wären. Tusks Großeltern, väterlicher- und mütterlicherseits, gehörten der Volksgruppe der Kaschuben in der damaligen Freien Stadt Danzig an. Die Sprache seiner Großmutter mütterlicherseits war Danziger Deutsch, ein nordostdeutscher Dialekt, der zum Niederpreußischen gehört und in Danzig gesprochen wurde.

Die deutsche Minderheit in Polen hat unter der rechtspopulistischen Regierung und der antideutschen Rhetorik der letzten Jahre gelitten. Eine neue Regierung unter Leitung von Donald Tusk täte gut daran, schnell die unsäglichen Kürzungen im Bildungsbereich der deutschen Minderheit zurückzunehmen und einen direkten Dialog mit der deutschen Minderheit zu suchen.

Die rekordhohe Wahlbeteiligung hatte einen Preis: Die deutsche Minderheit ist zum ersten Mal in der neueren demokratischen Geschichte Polens nicht mehr im Parlament im Sejm vertreten. Der Abgeordnete Ryszard Galla muss nach 18 Jahren seinen Posten räumen.

Der Vorsitzende der deutschen Minderheit in Oppeln, Rafał Bartek, findet dennoch positive Worte: „Wir Deutschen in Polen haben in den letzten Jahren ganz besonders zu spüren bekommen, was es bedeutet, wenn der Staat immer autoritärer wird, wenn er sich zunehmend vom Rechtsstaat abwendet, wie es beim Bildungsminister und seiner Entscheidungen zur Reduzierung der Stundenzahl von Deutsch als Minderheitensprache der Fall war. Jetzt hoffen wir, dass das Land zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehrt, dass das Unrecht wiedergutgemacht wird, denn das ist für uns äußerst wichtig“.

Wenn der nächsten polnischen Regierung hoffentlich daran gelegen sein wird, eine Minderheitenpolitik mit Weitsicht zu etablieren, dann könnte sie zur Inspiration auch nach Kopenhagen blicken. Denn ein Parlamentsmandat ist nicht die einzige Möglichkeit für eine Minderheit, auf nationaler Ebene Einfluss zu nehmen. Vor über vier Jahrzehnten und einer verlorenen direkten Vertretung im Parlament waren es nicht zuletzt weitsichtige Politiker der Mehrheitsbevölkerung, die mit der Etablierung des Sekretariats der deutschen Volksgruppe an Regierung und Parlament in Kopenhagen einen entscheidenden Schritt zum Erfolgsmodell der politischen Minderheitenpartizipation auf nationaler Ebene in Dänemark ermöglichten.

Nur wer die Minderheiten einbindet, wird auf Dauer Akzeptanz ernten. Das hat man in Kopenhagen vor 40 Jahren erkannt. Der deutschen Minderheit in Polen ist zu wünschen, dass man in Warschau auch auf kluge Politikerinnen und Politiker trifft, die den politischen Einfluss der deutschen Minderheit auch auf nationaler Ebene sichern will. Für die Minderheit, aber auch aus „Eigennutz“ – denn politische Einbindung verhindert Konflikte, bevor diese überhaupt entstehen.

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