Leitartikel

„Venstre links-rechts herum“

Venstre links-rechts herum

Venstre links-rechts herum

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Leitartikel von Siegfried Matlok zum möglichen Reichsgerichtsverfahren gegen die ehemalige Venstre-Ministerin Inger Støjberg.

Das Folketing hat schon viele historische Tage erlebt – heute ist aber auch ein ganz besonderer Tag: Die Parteien, die sich bisher noch nicht festgelegt haben, wollen in ihren Fraktionen entscheiden, ob sie ein Reichsgerichtsverfahren gegen die ehemalige Venstre-Ministerin Inger Støjberg beschließen sollen.

Die sozialdemokratische Regierungspartei wird über ihr eigenes Ja nicht frohlocken, denn im Hintergrund lauert ja ein ähnliches Verfahren gegen Staatsministerin Mette Frederiksen wegen der katastrophalen Nerzfarmen-Schließung ohne Gesetz. Im besonderen Blickpunkt steht jedoch die Venstre-Partei, deren Krise durch eine neue Zerreißprobe explosiv werden könnte. So als ob die Partei nicht schon genug gelitten hat, muss ihr Vorsitzender Jakob Ellemann nun – schon der Glaubwürdigkeit wegen – ein Reichsgericht gegen seine bisherige Partei-Vize Støjberg beantragen, die wegen mangelnder Loyalität zurückgetreten ist – nicht nur im Protest gegen ihren Parteichef.  

Nun richten sich die Blicke der sogenannten dänischen Weltpresse auf das Abstimmungsergebnis in der Venstre-Fraktion. Kommentator Jarl Cordua, ein Venstre-Insider, vermutet, dass sich voraussichtlich 10 der 41 Fraktionsmitglieder dem energischen Nein von Støjberg anschließen werden, unter ihnen wird auch der frühere nordschleswigsche V-Minister  H. C. Schmidt vermutet. Und was explodiert dann? Wird Støjberg in der Partei bleiben, werden eventuell andere Venstre-Politiker austreten? Man erinnert sich an das Wort von Carl Holst, der einst schon die Stimmung in den eigenen Reihen unter Lars Løkke als dysfunktional beschrieb, wenn man sieht, wie der liberale Abgeordnete Jan E. Jørgensen von Støjberg-Stützen zum „Verräter“ gestempelt worden ist, weil er sich gerade in den vergangenen Tagen erneut vom strammen ausländerpolitischen Kurs der Ex-Ministerin offen distanziert hat. 

Die Talfahrt von Venstre – jüngste Meinungsumfragen sprechen von einem möglichen Verlust von 12 Mandaten bei einer morgigen Wahl – scheint zurzeit nicht kontrollierbar. Dass der langjährige Parteivorsitzende und ehemalige Staatsminister Lars Løkke die Partei verlassen hat und nun auch Vize Støjberg „irgendwie“ vor dem Absprung steht, enthält ein Potenzial, das – auch wenn beide politisch nicht zusammenpassen –  Venstre in höchste Gefahr bringen kann. Jedenfalls ist die bisher unumstrittene Führung im bürgerlichen Lager nun umstritten. 

Streitigkeiten und Krisen sind allerdings keine Neuigkeit in der so langen ruhmreichen Geschichte der 1870 gegründeten Partei, die sich  seit 1963 Dänemarks liberale Partei nennt. Die Trennung von der Radikalen Venstre 1905 schmerzt noch heute, und unvergessen ist wohl auch, dass Venstre-Wiking Erik Eriksen, der 1953 das historische Grundgesetz durchsetzte, zurücktreten musste, nachdem er eine Fusion mit den Konservativen befürwortet hatte. Auch gab es immer wieder bekannte Venstre-Politiker, die plötzlich aus Protest gegen den Parteikurs zurücktraten. Berühmt ist    z. B. das Ausscheiden des legendären einstigen Finanzministers Thorkild Kristensen, Spitzname „Thorkild Livrem“, weil er den Dänen als Spar-Politiker empfahl, die Gürtel enger zu schnallen. In den 60er Jahren gründete er gemeinsam mit zwei liberalen Querköpfen aus der Venstre-Fraktion „Liberalt Centrum“, eine Partei, die aber nur zwei Jahre im Folketing vertreten war. Løkke könnte sich mit seiner Mitte-Bewegung nach  Vorbild Macron als Partei durchaus  parlamentarisch etablieren und damit seiner alten Partei weiteren Schaden zufügen, aber auf Dauer wird er jedoch keine Alternative zu Venstre.

Mit der süddänischen Regionsratsvorsitzenden Stephanie Lohse als neue Partei-Vize hofft Venstre auf eine Wende; von heute auf morgen völlig unrealistisch. Wenn die Partei die jetzige Krise einigermaßen meistern und bei der nächsten Wahl mit einem blauen Venstre-Auge davonkommen will, dann muss Parteivorsitzender Ellemann einen glaubwürdigen Kurs steuern, vor allem wirtschaftspolitisch. Ohne hü und hott, um so auch in die Rolle eines breit anerkannten Oppositionsführers zu schlüpfen. Das wird ein lange, zäher Marsch, gewiss auch mit Rückschlägen, aber um überhaupt als Venstre-Chef zu überleben, könnte sich Ellemann an zwei Vorbildern orientieren: an Mette Frederiksen, wie sie die Sozialdemokratie  wieder an die Macht gebracht hat, und am Konservativen Staatsminister Poul Schlüter, dessen Weg aus dem tiefen Tal heraus führte, weil er jahrelang (s)einen Slogan realpolitisch umsetzte: 
Bürgerliche Stimmen müssen arbeiten!
Links-und rechts herum.     

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