Leitartikel

„Sonderzug nach Brüssel“

Sonderzug nach Brüssel

Sonderzug nach Brüssel

Apenrade/Aabenraa
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Mit der Zurückhaltung in Sachen EU, die Dänemarks Regierungschefin an den Tag legt, erweist sie ihrem Volk einen Bärendienst, meint Cornelius von Tiedemann.

Am Freitag verlässt Großbritannien tatsächlich die EU. Während viele darüber vielleicht den Kopf schütteln und sich fragen, ob die Briten denn nun alle spinnen, tut die dänische Regierung nur wenig dafür, dass sich hierzulande EU-Begeisterung breit macht.

In Umfragen zeigt sich zwar eine recht hohe Zustimmung für die Mitgliedschaft. Doch die Rhetorik im politischen Dänemark ist und bleibt vor allem national geprägt. Mette Frederiksen allen voran vermeidet den europäischen Ausblick, wo sie nur kann.

Die Frage ist, ob sie dies tut, weil sie das europäische Projekt skeptisch sieht – oder ob es Kalkül ist, weil sie ihr Image als volksnahe Beschützerin Dänemarks bewahren will.

Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Und das ist bedauerlich in einer Zeit, in der es darauf ankommt. Auch für Dänemark.

Das europäische Rosinenpicken hat sich das Land bisher leisten können. Als Knotenpunkt zwischen den voranstürmenden Westeuropäern, den traditionell skeptischen Briten und den der demokratischen Tradition noch nicht ganz so lange verhafteten Osteuropäern spielte Dänemark sogar eine gar nicht so unwichtige Rolle. Doch die Briten gehen jetzt. Die Franzosen wollen von ihren westeuropäischen Partnern ein starkes Bekenntnis zu Europa. Die Deutschen wollen das eigentlich auch, wären aber lieber selbst auf die Idee gekommen und wollen niemandem auf den Schlips treten.

Frederiksens offensichtlicher Gleichmut Europa gegenüber mag ihr in der Wählergunst ja etwas einbringen. Vielleicht denken die Menschen dann, dass ihr Dänemark eben wichtiger ist als Europa.

Doch für Dänemark gibt es anno 2020 nichts Wichtigeres, als Europa. Als sich international stark zu positionieren. Die nationalen Fragen von Gewicht sind nicht national zu lösen. Sie sind auch nicht bilateral, also zwischen Einzelstaaten, zu lösen. Sie sind für ein kleines Land, das seinen Bewohnern die außerordentlich hohe Lebensqualität sichern will, nur über Brüssel zu lösen. Das ist schwer zu vermitteln. Aber Regierungschefs sind eben nicht dazu da, Wunschkonzerte aufzuführen.

Vielleicht weiß Frederiksen das ja. Vielleicht weiß sie, dass Dänemark alleine gegen die Steuertricks der Großkonzerne machtlos ist, dass Dänemark alleine keine wirksame Immigrationspolitik gestalten kann, dass Dänemark das Klima nicht alleine retten kann, dass Dänemark vorangehen könnte, wenn es wollte.

Oder ist Mette Frederiksen wirklich eine Träumerin, die glaubt, dass es „Souveränität“ bedeutet, sich in der EU zurückzuhalten, an Vorbehalten festzuhalten, gemeinsame Sache mit Radikalkonservativen Regierungen zu machen, um Europa nicht zu stark werden zu lassen (anders ausgedrückt: zu schwächen)?

Vielleicht steigt sie ja dann auf den Europa-Zug auf, wenn er nach dem Brexit-Theater wieder etwas Fahrt aufnimmt. Ihr Platz in der Lokomotive dürfte dann allerdings schon besetzt sein.

 

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