Leitartikel

„Der Mix machts“

Der Mix machts

Der Mix machts

Apenrade/Aabenraa
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Ist Dänemarks Regierung zu selbstgerecht? Cornelius von Tiedemann meint, dass sie eine Agenda fährt, die es ihr schwer macht, vom einmal festgelegten Weg abzukehren oder innezuhalten. Doch wer stur den Diskurs scheut, der untergräbt das vielleicht wichtigste Element unserer freien Gesellschaft.

Die dänische Regierung ist ein wenig in Verruf geraten, zu selbstgerecht zu agieren. Das könnte damit zu tun haben, dass sie vor allem einer starken Agenda folgt, also auf bestimmte Ergebnisse hinarbeitet. Dabei prallen Einwände und Anmerkungen häufig zunächst am Regierungs-Schnellzug ab. Die Weichen sind sozusagen schon im Vorhinein gestellt.

Es wäre jedoch auch in ihrem eigenen Interesse, wenn die Regierung nicht nur an den eigenen Erfolg, sondern mehr als bisher auch an das Wohl der pluralistischen Gesellschaft insgesamt denken würde. Die Corona-Krise und die Grenzfrage zum Beispiel zeigen das.

Na klar. Die meisten Politiker werden von sich behaupten, dass ihre Politik die besten Lösungen für die tatsächlichen oder für die von ihnen selbst an die Wand gemalten Probleme bereithält. Doch nur bei wenigen von ihnen wird diese Behauptung stich halten. Egal, wie ausgefeilt die Agenda ist.

Evidenzbasierte Politik, Politik also, die darauf beruht, dass Ursache und Wirkung untersucht und berücksichtigt werden, passt halt nicht immer in den Agenda-Fahrplan. Dabei gibt es, wie eigentlich jeder vernunftbegabte Mensch weiß, in Wahrheit für die meisten Problemstellungen mehr als nur einen einzigen gangbaren Lösungsweg.

Die Leistung, unter anderem diese Erkenntnis anzuerkennen, nennen wir Pluralismus.

Der will geschützt werden, denn er hat eine gewaltige Schwachstelle: Er lässt auch Meinungen und Bewegungen zu, die ihn selbst von innen heraus bekämpfen.

Im Pluralismus respektieren wir unterschiedliche Sichtweisen und Interessen, und wir schützen Minderheiten – in sehr weit gefassten Grenzen auch jene, die unseren Vorstellungen oder Überzeugungen entgegentreten.

Dieses ist die große Stärke des Pluralismus. So entsteht die größtmögliche Freiheit für uns alle. Aber hier sitzt eben auch seine Achillesferse.

Anhand der derzeitigen Regierung Dänemarks lässt sich dieses Dilemma gut veranschaulichen. So macht sich Staatsministerin Mette Frederiksen derzeit einerseits öffentlichkeitswirksam um den Pluralismus verdient, indem sie etwa die deutsche Minderheit in einer historischen Ansprache auf Düppel als Teil Dänemarks bezeichnet.

Doch wir erinnern uns auch daran, dass sie zuvor die Macht erst in der sozialdemokratischen Partei und dann auf Christiansborg auf eine Weise auf sich und ihren Beraterkreis vereint hat, der in Dänemark selbst nach Fogh als beispiellos gelten darf. Entscheidend mit eingeleitet hat das übrigens der öffentlichkeitsscheue Bald-Danfoss-Kommunikationschef Martin Rossen.

Die Folge: Wessen Meinung und Auftreten nicht zu dem passt, was die von diesem Kreis erarbeitete Agenda vorgibt, der hat in der Partei nichts mehr zu melden. Und sogar das Folketing wurde zeitweilig fast auf Standby geschaltet.

„Wir sind kein Einparteiensystem“, klagte der hilflos wirkende Venstre-Chef Jakob Ellemann-Jensen entsprechend auf dem Höhepunkt der Corona-Krise, auf dem er und die anderen Parteichefs sich wie Wartende an einem Landbahnhof vorkamen, durch den ungebremst der Mette-Express rauscht.

Es ist ganz logisch. Dort, wo Umwege und Widerstände entfernt oder übergangen werden, lässt sich Politik effizient gestalten, lassen sich Agendas reibungslos umsetzen. Das sogenannte ergebnisorientierte Arbeiten wird leichter.

Will die Regierung zum Beispiel, dass die Menschen in Dänemark sich sicherer fühlen, schließt sie die Grenzen. Das Ergebnis ist erreicht. Der Fahrplan eingehalten. Viele Bürger fühlen sich beschützt. Doch wo bleibt der aufgeklärte Diskurs über die Maßnahmen, wo der Respekt vor betroffenen Minderheiten und vor der Expertise von Fachleuten in Polizei, Wirtschaft und Wissenschaft?

Für viele steht diese ergebnisorientierte Methode deshalb im Gegensatz zur evidenzbasierten Politik. Dabei muss es kein Entweder-oder geben.

Diese Erkenntnis setzt sich nach und nach auch auf Christiansborg durch. Opposition, Unterstützerparteien und nicht zuletzt Regierungsbeamte tun ihr Möglichstes, die Regierung daran zu erinnern, dass sie zwar regiert – aber eben nicht allein herrscht. Auch wenn sie noch so selbstbewusst auftritt – nicht immer hat die Regierung die Wahrheit über Ursache und Wirkung auf ihrer Seite. Die Erfahrung auch aus der Corona-Zeit zeigt inzwischen: Berechtigte Kritik wird am Ende manches Mal doch gehört und angenommen. Es dauert nur eine manchmal unerträglich lange Weile, bis die Regierung ihre Agenda an die Wirklichkeit anpasst, anstatt vom Gegenteil auszugehen.

Doch politische Entscheidungen müssen immer auch in der Wirklichkeit fußen. Gerade Alleinregierungen tragen eine Verantwortung, Menschen nicht mit scheinbar einfachen Lösungen zu verführen und den Respekt vor der Expertise und der Vielfalt in der Gesellschaft nicht zu untergraben.  

Es ist wichtig und richtig, den Weg zu weisen. Aber glaubwürdig gelingt dies nur, wenn der Mix da ist – aus ergebnisorientierter Machtpolitik und einem informierten und informierenden Diskurs über die Ziele und Absichten der Regierung.

 

 

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