Leitartikel

„Deutschland überholt“

Deutschland überholt

Deutschland überholt

Nordschleswig/Sønderjylland
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Der dänischen Wirtschaft und der Politik fehlen der nötige Fokus auf Deutschland. Deshalb sei unser Nachbar erstmals seit Jahrzehnten nicht mehr das wichtigste Exportland, denkt Chefredakteur Gwyn Nissen.

Deutschland ist Dänemarks wichtigster Exportmarkt. Jahrzehnte war das im dänischen Auslandshandel ein durch Zahlen belegbarer Fakt – und keine große Überraschung, denn als nächster Nachbar war es verhältnismäßig leicht, Waren über die Grenze zu verkaufen. Umso größer nun die Überraschung, dass in diesem Jahr die USA nach neun Monaten an der Spitze stehen. 

Der Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist jedoch mikroskopisch: Dänemark hat für 119,21 Milliarden Kronen in die USA exportiert – und nur für 20 Millionen Kronen weniger nach Deutschland. Ein starker Dollar und eine schwächelnde Konjunktur in Deutschland haben den Wechsel an der Spitze herbeigeführt. Die Amerikaner sind vor allem Großabnehmer von Pharmazeutika – das größte dänische Exportabenteuer überhaupt in diesen Jahren, während die Autozulieferer in Dänemark vom Rückgang in der deutschen  Automobilindustrie betroffen sind.

Dabei könnte Deutschland weiterhin an der Spitze des dänischen Exports stehen, wenn dänische Produzenten das ganze Deutschland-Potenzial ausreizen würden.

Dabei macht sich Dänemark schon jetzt besser auf dem deutschen Markt, als durch die Größe und Nähe zum Nachbarn statistisch zu erwarten wäre. Doch dänischen Unternehmen fehlt der Blick für mögliche Geschäfte südlich der nördlichen Bundesländer. Unter anderem Dank des Grenzhandels sind Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mit einem Anteil um die 25 Prozent die größten Abnehmer dänischer Güter. Doch in wirtschaftsstarken Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg liegt der dänische Exportanteil laut dem Industrieverband DI bei unter einem Prozent. So bleibt Dänemark in 11 von 16 Bundesländern unter den Erwartungen.

Dafür gibt es viele Erklärungen. Unter anderem sind die Unternehmen im Süden Deutschlands so groß, dass viele dänische Zulieferer nicht die Kapazität haben, um mithalten zu können, so der deutsche Professor Philipp Schröder vom Institut für Ökonomie an der Universität in Aarhus. Hinzu kommen die sprachlichen Mängel in den dänischen Unternehmen – und die Kulturunterschiede. Während sich die Dänen mit der Wirtschaft im Norden gut verstehen, hapert es am Kultur- und Sprachverständnis je weiter die dänischen Unternehmen in den Süden Deutschlands dringen.

Dänemarks Unternehmen – und die unterstützende Politik –  sind zu lange einer halbherzigen Deutschland-Strategie gefolgt. Auch südlich von Hamburg und Berlin können gute Geschäfte gemacht werden – es bedarf aber einer Strategie, eines Fokus, besserer Sprachkenntnisse und eines neuen Kulturverständnisses. Diesen Rahmen müssen Politik, Wirtschaft und Bildungsstätten neu erfinden. Die Bedingungen dafür können im deutsch-dänischen Freundschaftsjahr 2020 nicht besser sein.

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