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„Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wird es eng“
Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wird es eng
Für den türkischen Präsidenten wird es eng
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Ein Alevit will Präsident werden und erhält dabei Unterstützung von den Kurden. Warum das ein Erfolgsrezept sein könnte, erklärt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne.
Sollte Recep Erdoğan am 14. Mai die türkische Präsidentschaftswahl verlieren, wäre das ein Grund zum Feiern. Seine Politik ist auf die Spaltung der Bevölkerung ausgerichtet, und der sogenannte politische Islam dominiert Politik und Gesellschaft des Landes. Die Türkei rückt immer weiter von demokratischen Standards ab.
Sollte sein Widersacher Kemal Kılıçdaroğlu gewinnen, wird sich die Situation in der Türkei nicht über Nacht ändern, und schon gar nicht darf erwartet werden, dass den Kurden, den Aleviten (siehe Infokasten am Ende des Artikels) und anderen Minderheiten des Landes schlagartig Gleichberechtigung und Autonomie winken.
Wiederwahl hätte weitreichende Folgen
Wer Kemal Kılıçdaroğlu und seine teilweise nationalistische parteipolitische Allianz gegen Erdoğan als Heilsbringer ersehnt, wird enttäuscht werden. Aber eingedenk all dessen wäre die Niederlage Erdoğans am 14. Mai dennoch ein berechtigter Hoffnungsschimmer.
Die Türkei steht vor einer Schicksalswahl mit kaum zu überschätzenden Auswirkungen auf Europa und den gesamten Nahen Osten. Die immer offener minderheitenfeindliche und zunehmend religiös-islamistische Ausrichtung Erdoğans und seines korrupten AKP-Clans hat, gepaart mit einer erratischen Wirtschaftspolitik und selbstherrlichem Agieren des Autokraten, das Land in eine katastrophale Lage geführt. Hinzu kommen die verheerenden Nachwirkungen des Jahrhunderterdbebens, das neben dem menschlichen Leid einen unvorbereiteten Staat, der teilweise hilflos-chaotisch agierte, vorführte.
Alevitisches Glaubensbekenntnis
Der Präsidentschaftskandidat Kemal Kılıçdaroğlu zündete im Wahlkampf eine mediale Bombe, indem er offen über seinen alevitischen Glauben sprach. Ein mutiger Schachzug in einem Land, das immer weiter religiös unversöhnlich erscheint. In einer Videobotschaft mit dem Titel „Alevi“ (Alevit) sprach Kılıçdaroğlu über seinen Glauben.
Auch Vertreter seiner eigenen Partei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), hatten im Vorfeld zum Wahlkampf kritisch argumentiert, dass die Konservativen und Islamisten in der Türkei keinen Aleviten wählen würden. Kılıçdaroğlu ist der erste Alevit an der Spitze der CHP. Doch scheinen die ersten Reaktionen und Umfragen darauf hinzudeuten, dass die Wählerinnen und Wähler das Bekenntnis des Kandidaten positiv aufnehmen.
Kurden unterstützen Botschaft
Auch die Kurden haben sich in dem Wahlkampf positioniert. Der seit mehr als sieben Jahren inhaftierte Kurdenführer Selahattin Demirtaş war einer der ersten Politiker, die das Video von Kılıçdaroğlu lobten und auf Twitter retweeteten. „Es ist möglich, in diesem Land ein gleichberechtigtes, brüderliches und friedliches Leben ohne Diskriminierung zu führen“, schrieb er. „Ich unterstütze diese schöne Botschaft von ganzem Herzen.“
Die pro-kurdische Demokratische Volkspartei (HDP) kündigte bereits im vergangenen Monat an, dass sie keinen Präsidentschaftskandidaten aufstellen werde, was die Chancen von Kılıçdaroğlu gegen Erdogan erhöht. Die HDP ging sogar noch weiter: Der Co-Vorsitzende der Partei, Mithat Sancar, empfahl kürzlich öffentlich, Kemal Kılıçdaroğlu zu wählen.
Als erste Amtshandlung will dieser wiederum Selahattin Demirtaş aus dem Gefängnis entlassen, wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehrmals verlangt. Er hat vor Journalisten und im Beisein von HDP-Politikern erklärt, dass die Lösung der Probleme der Türkei, „einschließlich des Kurdenproblems“, im Parlament liege.