Kulturkommentar

„Die Hälfte der Menschheit menstruiert – gewöhnt euch dran!“

Die Hälfte der Menschheit menstruiert – gewöhnt euch dran!

Die Hälfte der Menschheit menstruiert – gewöhnt euch dran!

Paulina von Ahn
Paulina von Ahn
Nordschleswig
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„Stell dich nicht so an, ich habe auch manchmal Kopfschmerzen!“ – ist einer der wenigen Kommentare, die Frauen sich manchmal anhören müssen, wenn sie aufgrund ihrer Periode kürzertreten wollen. Könnte die Einführung eines gesetzlich vorgeschriebenen Menstruationsurlaubs dazu beitragen, dass der weibliche Zyklus enttabuisiert wird?

Zur Arbeit gehen, obwohl man eigentlich nur daran denken kann, vor Müdigkeit, Schwindel und Schmerzen nicht zusammenzubrechen, oder sich mit Schmerzmitteln zudröhnen, um den Tag zu überstehen – für viele Frauen ist das Realität. Und zwar jeden Monat aufs Neue. 

Rund die Hälfte der Weltbevölkerung menstruiert – das ist ein Fakt. Dennoch ist die Periode in unserer Gesellschaft bis heute ein Tabuthema. Einige Frauen melden sich lieber mit einer Grippe krank, anstatt zuzugeben, dass sie ihre Tage haben, um sich nicht schämen zu müssen oder blöden Kommentaren aus dem Weg zu gehen. Dass die Periode für viele Frauen und vor allem Männer mit Scham verbunden ist, geht gar nicht! Was können Frauen dafür, als Frau geboren zu sein? 

Menstruationsurlaub als Lösung?

Um diesem Problem entgegenzuwirken, haben einige Länder einen Menstruationsurlaub oder sogenannten „menstrual leave“ eingeführt. Besonders in vielen asiatischen Ländern erhalten Frauen monatlich zusätzliche freie Tage, die sie in Anspruch nehmen können, um ohne eine Ausrede zuhause bleiben zu können. In Südkorea bekommen Arbeiternehmerinnen, die ihre gesetzlich vorgeschriebenen Menstruationsurlaubstage nicht nutzen, diese ausgezahlt.

2022 führte auch Spanien als erstes europäisches Land einen dreitätigen Menstruationsurlaub ein. Auch andere Länder wie Russland, Australien und Italien hatten ähnliche Systeme bereits in der Diskussion, umgesetzt wurden sie jedoch nicht. 

Fluch oder Segen? 

Aber hilft diese Maßnahme tatsächlich, die Gleichberechtigung zu stärken oder schwächt es sie vielleicht eher? Und wäre die Einführung eines Menstruationsurlaubs auch in weiteren Ländern denkbar?

Als ich anfing, mich mit diesem Thema zu befassen, war ich zuerst begeistert. Die Tatsache, dass die Idee und die Diskussion um einen Menstruationsurlaub existieren, bedeutet, dass das Problem gesehen und thematisiert wird, statt wie so oft nur unter den Teppich gekehrt zu werden. Mit „Problem“ meine ich hier, dass der weibliche Zyklus ein Thema ist, das außerhalb der engsten Gruppe von Freundinnen kaum angesprochen wird. Frauen menstruieren, und das nicht erst seit gestern. Die Gesellschaft sollte sich langsam daran gewöhnen!

Nichtsdestotrotz sind diese 50 Prozent der Weltbevölkerung nicht nur Frauen, die menstruieren, sondern auch Frauen, die arbeiten. Und wenn die Hälfte der Bevölkerung pro Monat vier bis zwölf Tage weniger arbeitet, liegt bald die ganze Wirtschaft lahm. So eindeutig ist die Debatte für mich also doch nicht.  

Etliche Frauen haben während ihrer Periode starke Schmerzen, Schwindel, Erbrechen etc. bis hin zu Endometriose. Häufig quälen sie sich zur Arbeit oder nehmen Schmerztabletten, damit sie den Tag besser überstehen können. Produktives Arbeiten bleibt dennoch häufig aus. Wer kann sich konzentrieren, wenn der eigene Körper sämtliche Schmerz-Knöpfe auf einmal drückt? Einen Tag lang ausruhen und die Symptome zuhause behandeln, würde nicht nur der betroffenen Frau, sondern auch der Arbeitsstelle helfen. Aus beispielsweise drei schlecht gearbeiteten Tagen können so zwei gut gearbeitete Tage werden.

Aus gesundheitlicher Sicht ergibt ein Menstruationsurlaub deswegen total Sinn. Aus wirtschaftlicher Sicht scheint er jedoch undenkbar.

In einem Betrieb, in dem sechs Frauen arbeiten, bedeutet ein Menstruationsurlaub von nur zwei freien Tagen, dass an zwölf Tagen eine Arbeitskraft fehlt. Aufs ganze Jahr gerechnet, muss der Betrieb an 144 Tagen diese fehlende Arbeitskraft anderweitig ersetzen. Und was, wenn alle Frauen gleichzeitig ihre Tage haben? Zudem gibt es nach wie vor Berufe, die typische Frauenberufe sind. In beispielsweise einem Kindergarten, in dem nur Erzieherinnen arbeiten, könnte dieses System dazu führen, dass der Kindergarten an mehreren Tagen im Monat schließen muss. Auf die gesamte arbeitende Gesellschaft bezogen, könnte das gravierende wirtschaftliche Probleme zur Folge haben.

Hinzu kommt, dass der Marktzugang für Frauen erschwert wird. Als Arbeitgeberin würde ich mir überlegen, ob ich nicht lieber mehr Männer einstelle, um Engpässe zu vermeiden, die durch den Menstruationsurlaub von weiblichen Mitarbeiterinnen entstehen. Da Frauen ohnehin schon schlechtere Chancen haben, im Berufsleben Fuß zu fassen, könnte das einen großen Rückschritt in Bezug auf Gleichberechtigung und Emanzipation bewirken.

Frauen wird häufig – nicht nur von Männern – unterstellt, sie würden sich nur anstellen, wenn sie über Regelschmerzen klagen. Diese Kommentare nehmen garantiert noch zu, wenn Frauen aufgrund dieser „Zimperlichkeit“ auch noch freibekommen. Das Tabuthema würde dadurch also nur bestärkt, statt bekämpft. 

Des Weiteren gibt es noch andere Formen von repetitiven Schmerzen, wie zum Beispiel Migräne oder chronische Schmerzen. Erhalten die Betroffenen keine freien Tage?  

Zudem ist nicht auszuschließen, dass Frauen den ihnen zustehenden Urlaub missbrauchen könnten. Plötzlich geben viele Frauen an, nicht nur einmal, sondern zweimal im Monat ihre Tage zu haben. Wie soll die Chefin oder der Chef nachweisen, dass die Frau aktuell keine starken Regelschmerzen hat?

Das Problem ist tiefer verankert

Frauen sind unterschiedlich. Manche haben kaum mit Beschwerden zu kämpfen, andere sind mehrere Tage lang arbeitsunfähig und können ihrem Alltag nicht nachgehen. Frauen sollten keine Lügen erzählen müssen, um sich krankzumelden. Unternehmen, die eine begründete Krankmeldung verlangen, sollten von dieser absehen, zumindest für zwei-drei Tage.

Einen gesetzlich vorgeschriebenen Menstruationsurlaub halte ich für keine sinnvolle Lösung, um der Periode als Tabuthema entgegenzuwirken – im Gegenteil. 

Eine generelle Aufgeschlossenheit in der Gesellschaft ist notwendig, um allen! Menschen zu verdeutlichen, dass die Periode nichts ist, wofür Frauen sich schämen sollten. 

Dieser Schritt kann natürlich trotzdem an der Arbeitsstelle beginnen. Betriebe sollten ihre Richtlinien in Bezug auf Sexismus, Gleichberechtigung und Toleranz dementsprechend gestalten. Aber damit öffne ich ein neues Fass. 

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