Interview

Thomas Cornelius: „Die Orgel hat mir Rückgrat gegeben“

Thomas Cornelius: „Die Orgel hat mir Rückgrat gegeben“

Thomas Cornelius: „Die Orgel hat mir Rückgrat gegeben“

Joachim Pohl/shz
Schleswig
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Thomas Cornelius am mechanischen Spieltisch der Orgel in der Elbphilharmonie. Es gibt einen weiteren, der mitten auf der Bühne platziert werden kann und digital mit der Orgel verbunden wird. Foto: Maria Feck

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Mit elf Jahren spielte er bereits die Orgel im Dom. Jetzt ist der 35-jährige Organist Thomas Cornelius in der Elbphilharmonie tätig. Mit SN-Redakteur Joachim Pohl spricht er über seine Jugendjahre in Schleswig.

Herr Cornelius, sind Sie gerade in der Elbphilharmonie?

Nein, aber ich war bis heute Nacht um drei Uhr da. Ich habe die Zungen gestimmt, also einen Teil der Orgel. Am Freitag gibt es mit der Titularorganistin Iveta Apkalna eine Präsentation für die Medien nach dem Abschluss der Reinigungsarbeiten. Die waren eigentlich für die Sommerpause geplant. Wir haben sie auf Januar und Februar vorgezogen haben, den Lockdown genutzt, in der Hoffnung, die Sommerzeit dann wieder musikalisch nutzen zu können. Das ist eine aufwendige Sache, die Orgel wird nahezu komplett auseinander und wieder zusammengebaut. Da kann man nicht einfach mit dem Staubsauger durchgehen . . .

Was meinen Sie: Wann werden Sie wieder vor Publikum spielen können?

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber ich denke mal, irgendwann im Sommer. Vielleicht gibt es die Möglichkeit für Pilotprojekte, mit Corona-Tests für die Besucher und ähnlichen Maßnahmen.

Die Orgel ist das Instrument des Jahres. Was macht sie so besonders?

Die Orgel ist im Grunde nicht ein Instrument, sondern ein ganzes Orchester. Je nach Größe gibt es eine Vielzahl von Registern, die man mit einzelnen Instrumenten vergleichen kann. Man ist als Organist also quasi Dirigent und Musiker in einer Person und kann so einen unglaublichen Klangkosmos gestalten.

Was unterscheidet die Orgel in einem Konzertsaal wie der Elbphilharmonie von einer Kirchenorgel?

In allererster Linie der Raum. Die Orgel ist ein Instrument, das immer für einen Raum individuell entworfen wird und nicht ohne den Raum funktioniert. Im Grunde ist die Orgel ja eine Immobilie. Jedes andere Instrument, selbst einen Flügel, kann man mit ein bisschen Aufwand von einem Ort an den einen anderen bringen und dann dort auch spielen. Das geht mit einer Orgel nicht. Sie ist immer für einen Raum gemacht, und so ist es auch hier. Von ihren Grundfunktionen her kann diese Orgel auch in einer Kirche gebaut werden. Sie würde dort an die räumlichen Verhältnisse angepasst. Anders als in Kirchen steht die Orgel im Saal der Elbphilharmonie nicht kompakt wie eine monumentale Skulptur. Sie sollte optisch nicht herausstechen und den Raum dominieren; ursprünglich war gar keine Orgel vorgesehen. Die Orgel wurde später in die Architektur des Raumes hinein komponiert – sowohl optisch als auch technisch. Sie ist trotzdem im Vergleich zu anderen sehr gut begehbar. Insgesamt ist sie 15 mal 15 Meter groß und hat 4765 Pfeifen in 69 Registern. Sie wiegt alles in allem 25 Tonnen.

Wie sind Sie zur Orgel gekommen?

Eine der frühesten Erinnerungen ist, wie ich als Kind von vier Jahren im Dom auf dem Lettner stehe, vorn der Bordesholmer Altar, auch sehr beeindruckend, aber ich habe nach hinten geguckt und eben diese Orgel gesehen. Und gehört! Dieser Sound – das hat mich einfach überrollt. Da ist in mir der Wunsch entstanden, dieses Instrument selbst zu spielen.

Karl Helmut Hermann an der Orgel?

Genau. Meine Eltern waren gut mit ihm befreundet, und er war dann auch für mich der erste und der entscheidende Orgellehrer. Wir haben bis heute Kontakt, und er war lange Zeit ein guter Mentor für mich – auch als Mensch.

Was war die erste Orgelmusik, die Sie bewusst gehört haben?

Das waren die norddeutschen Meister wie Bruhns und dann vor allem Bach. Ja, auch die berühmte Toccata in d-moll, aber ich erinnere mich vor allem an die Dorische Toccata. Es war Bach im Dom, aber auch bei uns zu Hause. Meine Mutter gab mir Cassetten, die sie selbst aus dem Radio aufgenommen hatte. Die habe ich rauf und runter gehört mit vier und fünf Jahren.

Und mit elf haben Sie dann selbst im Dom gespielt.

Ja, das ging mit der Orgel peu à peu los, ich habe ja auch in den Chören am Dom gesungen und war da in alle möglichen kirchenmusikalischen Aktivitäten früh mit eingebunden. Anfangs habe ich auch viel in Gottesdiensten gespielt. Dann erinnere ich mich noch gut an das Jahrtausendfest im Jahr 1999, bei dem ich gespielt habe, an die Sommermusiken oder an die Wandelkonzerte zu Bachs Geburtstag an allen Tasteninstrumenten im Dom zusammen mit Karl Helmut Herrmann und Rainer Selle.

Was haben Ihre Schulfreunde dazu gesagt, dass Sie als Knabe in der Kirche Orgel spielten?

Mir hat die Orgel Rückgrat gegeben. Erstmal für mich selbst. Es mag sein, dass andere das als komisch empfunden haben, aber ich muss ehrlich sagen, ich habe nie schlechte Erfahrung mit Mobbing oder so gemacht. Wir an der Domschule waren alle zusammen keine Kinder von Traurigkeit, wir haben da auch schon mal ziemlich böse Sachen gemacht, aber ich bin nie wegen des Orgelspielens abgegrätscht worden. Als ich 14, 15, 16 wurde, war das natürlich für die Mädchen interessant. Darum haben auch die Jungs erstmal nichts gesagt. Später sind die dann auch mal in den Dom gekommen und fanden das beeindruckend. Wir haben dann auch mal eine Musikstunde an der Orgel gemacht. Mit Frau Sonntag. Sie ist jetzt im Ruhestand, ist aber letztes Jahr zu einem meiner Konzerte nach Hamburg gekommen.

 

Rückblickend muss ich sagen, dass ich als Jugendlicher sehr stark von der Kulturstadt Schleswig profitiert habe.

Thomas Cornelius, Organist

Die meisten Orgeln sind ja in Kirchen, und darum sind die meisten Organisten auch Verkünder der christlichen Botschaft. War das nichts für Sie? In Schleswig war ja gerade eine Stelle frei . . .

Die Stelle im Dom war natürlich immer sehr attraktiv, und ich wusste lange vorher, dass sie frei wird. Rainer Selle hatte mich früher auch ermuntert, mich um seine Nachfolge zu bewerben. Aber ich habe das immer – so schön die Vorstellung auch ist – als zu romantisch empfunden. Vielleicht bin auch einfach noch zu jung für so eine Aufgabe. Ich habe mich dann doch auf einem anderen Weg gesehen.

Thomas Cornelius ist als Organist sowohl für das NDR-Elbphilharmonie Orchester als auch für die Elbphilharmonie tätig. Er ist auch technisch für die Orgel im Großen Saal verantwortlich, weist Gast-Solisten ein und macht Orgel-Führungen. Zudem komponiert er selbst Orchester- und Orgelmusik und spielt diese dann bei seinen Konzerten. Derzeit hat er ein Kompositionsstipendium der Kulturstaatsministerin.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich als Jugendlicher sehr stark von der Kulturstadt Schleswig profitiert habe. Das betrifft nicht nur die Kirchenmusik. Ich war auch im Jugendsinfonieorchester, Geige war mein erstes Instrument. Später habe ich in der Bigband Klavier gespielt, habe auch noch im alten Stadttheater gespielt. Das war schon ein sehr gutes Umfeld mich.

Welche Gastmusiker hatten Sie schon an der Elphi-Orgel?

Rodger Hodgson von der Band Supertramp war hier, er wollte die Orgel gern in ein Konzert seiner Band einbauen. Ich habe ihn dann eingewiesen. Helge Schneider hat hier schon zwei oder drei mal gespielt. Es war sehr interessant mit ihm. Man kennt ihn ja nur als Komiker, aber als Mensch ist er sehr aufgeräumt und sachlich. Wir haben uns eine halbe Stunde lang über Orgel, Gott und die Welt unterhalten. Er hatte als Jugendlicher Orgel bei Gottesdiensten gespielt. Deichkind hat hier ein witziges Video gedreht, da komm ich auch drin vor. Dann war Jean Guillou hier, ein französischer Organist, das war ebenfalls sehr spannend. Er hatte 2018 eines seiner letzten Konzerte, wenn nicht gar das letzte, hier in der Elbphilharmonie. Er ist vor zwei Jahren gestorben.

 

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Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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