Diese Woche in Kopenhagen

„Rückkehr der ideologischen Auseinandersetzung“

Rückkehr der ideologischen Auseinandersetzung

Rückkehr der ideologischen Auseinandersetzung

Kopenhagen
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Mette Frederiksen rückte bei einer Zukunftskonferenz die Facharbeiterinn und Facharbeiter ins Zentrum ihrer Rede. Foto: Claus Fisker/Ritzau Scanpix

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Die Facharbeiterin und der Facharbeiter sind aus Sicht der Regierungsspitze das Fundament der Wohlfahrtsgesellschaft. Sie sind zentral bei der Wiederentdeckung klassischer sozialdemokratischer Politik unter der Führung von Mette Frederiksen. Und damit fährt die Partei gut, so die Einschätzung von Walter Turnowsky.

Seit Mette Frederiksen den Vorsitz der Sozialdemokraten übernommen hat, hat sie die Partei auf den Kurs „Sozialdemokratie Classic“ eingeschworen. Indem sie und ihre engsten Berater dies mit einer sogenannten „harten“ Justiz- und Ausländerpolitik kombiniert haben, konnte die Partei die Wählerinnen und Wähler, die sie über mehr als ein Jahrzehnt der Dänischen Volkspartei „geliehen“ hatte, wieder zurückholen.

Die Strategie war eindeutig, die einst sichere Kernwählerschaft der Sozialdemokraten anzusprechen, nämlich die Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Damit hat sich die Partei unter Federiksens Führung auch wieder für ein deutlicheren ideologischen Kurs entschieden, als es unter ihren Vorgängerinnen und Vorgängerinnen der Fall war.

„Så socialdemokratisk, så det gør noget“

Der  jüngst verstorbene ehemalige Staatsminister Poul Schlüter von den Konservative wurde unter anderem wegen des Ausspruchs bekannt, er sei nicht so fürchterlich konservativ (ikke så konservativ, så det gør noget). Gleiches könnte man über Poul Nyrup Rasmussen, Mogens Lykketoft und Helle Thorning-Schmidt sagen, wenn man „konservativ“ durch „sozialdemokratisch“ ersetzt.

Und bei den rechtsliberalen von Venstre wandelte sich der Minimalstaatsanhänger Anders Fogh Rasmussen zum pragmatischen Vorstreiter des Wohlfahrtsstaates und konnte sich acht Jahre lang in den Staatsministersessel setzen.Nach den turbulenten 70er Jahren war eine ideologisch ausgerichtete Politik in Dänemark so absolut kein Erfolgsrezept.

Doch nun scheint das Pendel wieder umzuschwenken.

„Überwachung bringt Freiheit“

Nachdem die Mission „Kernwähler aus dem bürgerlichen Lager zurückholen“ geglückt ist, gilt es nun für die Sozialdemokraten, die Bastion zu befestigen, diese Wählergruppen wieder dauerhaft an die Partei zu binden. Die sogenannte „Arne-Pension“ war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Doch vor allem geht es in der heutigen Zeit um politische Kommunikation, es geht darum, eine Erzählung aufzubauen, die das sozialdemokratische Weltbild unterstützt.

Den bürgerlichen und liberalen Kräften fehlt bislang eine Antwort auf die sozialdemokratische Herausforderung.

Walter Turnowsky

Wichtige Bausteine hierfür liefert Justizminister Nick Hækkerup, der gerne und häufig das Wort Sicherheit (tryghed) in den Mund nimmt. Er wurde zum Teil belächelt, als er im Folketing sagte, mehr Überwachung gäbe mehr Freiheit. Doch lässt er sich nicht beirren. In einer Chronik in „Politiken“ vom 21. August wiederholt er die Aussage und spricht von „realer Freiheit“. Politische Rechte und Menschenrechte sind in seiner Optik „formelle Freiheiten“.

Dies kann man kaum anders als eine Kampfansage an die Liberalen werten, für da ja eben diese Freiheitswerte das Fundament bilden.

Angriff auf die 89er

Noch unverblümter kommt diese Kampfansage von Innen- und Wohnungsbauminister Kaare Dybvad Beck. Er gilt als der neue Chefideologe der Partei.  Er fordert in „Berlingske“ einen Schowdown mit der „89er-Generation“, die in seiner Optik nach dem Fall der Mauer für grenzenlose Freiheit eintrat. Dybvad Beck kritisiert, ihre Politik sei gewesen, alle Kräfte freizusetzen.

Doch diese Zeit sei vorbei, die Gemeinschaft müsse wieder die zentrale Rolle spielen, und dann könne nicht jeder tun und lassen, was er wolle.

So wie bürgerliche Politiker und Meinungsbildner ab Mitte der 90er Jahre die Hegemonie über die gesellschaftliche Debatte hatte, sollen nun (wieder) das sozialdemokratische Weltbild den Ton der Auseinandersetzung angeben. Und damit grenzt die Partei sich auch deutlich von der nicht mehr allzu „neuen“ Linken, also der Sozialistischen Volkspartei und der Einheitsliste, ab.

Focus Facharbeiter

Die Zukunftskonferenz der Regierung am Dienstag in Fredericia war ein weiterer wichtiger Baustein dieser strategischen Bestrebungen. Ganz gleich, ob es um grüne Reformen oder Ausbildung geht, die Facharbeiterinn und der Facharbeiter ist die zentral Figur in der Erzählung, die die Regierungsspitze aufbaut.

Ohne Facharbeiter keine Windmühlen und kein Wohlfahrtsstaat hieß es unter anderem in der Rede von Mette Frederiksen. Auch das Wort „Reform“ soll nun einen deutlichen sozialdemokratischen Klang bekommen, um den Bürgerlichen und den Radikalen auch dies Thema abzujagen.

Diskussionspartner fehlt

Die Überschrift dieser Kolumne ist allerdings nicht ganz korrekt gewählt, denn für eine Auseinandersetzung braucht es mindestens Zwei. Den bürgerlichen und liberalen Kräften fehlt bislang eine Antwort auf die sozialdemokratische Herausforderung. Und so kann es ihnen leicht passieren, dass Mette Frederiksen sie auf eine mindestens ebenso lange Wanderung durch die Wüste schickt, wie es Anders Fogh Rasmussen (und Lars Løkke Rasmussen) mit den Sozialdemokraten machte.

Zwar sacken die Sozialdemokraten in den aktuellen Umfragen ein wenig ab, doch die Stimmen, die sie aufgrund des Pflegestreiks verlieren, bleiben weitgehend im linken Lager bei der Sozialistischen Volkspartei und der Einheitsliste. Doch noch wichtiger: Frederiksens Projekt ist langfristig angelegt. 

Sollten die Bürgerlichen, aber auch die Linken und Grünen, doch aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen, könnte der ideologische Vorstoß der Arbeiterpartei ein Gewinn für die Wählerinnen und Wähler werden. Denn dann könnten sie sich unter verschiedenen Gesellschaftsentwürfen den für sie richtigen aussuchen.

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