Diese Woche In Kopenhagen

„Man will sich doch nicht von lästigen Fakten die politische Suppe versalzen lassen“

Man will sich doch nicht von Fakten die politische Suppe versalzen lassen

Lästigen Fakten sollen nicht die politische Suppe versalzen

Kopenhagen
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Die Widerstandskraft gegen wissenschaftliche Erkenntnisse ist eine wichtige Eigenschaft für moderne Politikerinnen und Politiker, meint Walter Turnowsky. Wie seine Recherche zeigt, hat diese Resistenz bereits eine lange, parlamentarische Tradition. 

Manch einer wird sich vielleicht noch an den ehemaligen Politiker und späteren Würstchenstandbetreiber Kristen Poulsgaard erinnern.

Er war in den 70ern und 80ern einer der schillerndsten Vertreter der auch ansonsten nicht gerade farblosen Truppe von Mogens Glistrup, der Fortschrittspartei. Wenn Poulsgaard den Mund aufmachte, wurde Klartext gesprochen – mindestens.

Einer der Sprüche, die ihm zugeschrieben werden, lautet: „Wenn das die Fakten sind, dann streite ich die Fakten ab (Hvis det er Fakta, saa benægter a Fakta)“. Er passte inklusive der Dialekt-Aussprache gut zu ihm.

Fakt ist jedoch, dass er nicht von ihm stammt, sondern von Søren Kjær. Sollte dieser dir nicht ganz geläufig sein, so sei dir verziehen – ich musste ihn auch zunächst nachschlagen. Was damit zusammenhängt, dass er die Worte bereits in dem geschichtsträchtigen Jahr 1864 geäußert hat.

Von Jugendlichen, die spät aufstehen

Aber er hätte eben auch von Poulsgaard wie auch heute noch von so einigen anderen Politikerinnen und Politikern kommen können. Zum Beispiel von Unterrichtsminister Mattias Tesfaye von der Sozialdemokratie. Der ist nämlich so klug, dass er locker auf Fakten verzichten kann.

Dies bedarf einer kurzen Erklärung: Mein Kollege Jan Peters hat recherchiert, dass es der Bildung von Jugendlichen in der Pubertät guttut, wenn sie ein Stündchen später in der Schule erscheinen. Umfassende Forschung belegt, dass das pubertierende Gehirn abends noch auf Hochtouren läuft, und früheres Schlafengehen somit nicht funktioniert.

Tesfays Kommentar dazu: „Wir müssen den Jugendlichen sagen, dass es etwas gibt, das Bettzeit heißt. Dann macht man das Handy aus und legt sich schlafen. Diese Verantwortung liegt bei den Eltern. Die Schule kann nicht alle Probleme lösen.“

Soll doch das jugendliche Gehirn bitte schön Schlafen gehen und nicht abends noch herumspuken. Und überhaupt, wo kämen wir hin, wenn man sich durch irgendwelche dahergelaufenen Fakten die politische Suppe versalzen ließe? Das wäre ja noch schöner!

Von Fjorden, denen der Atem ausgeht

Einer, der sich auch nicht so leicht von lästigen Fakten aus der Ruhe bringen lässt, ist der Landwirtschaftssprecher von Venstre – Erling Bonnesen heißt der übrigens. Bei ihm sind es vor allem die Ursachen für das Ersticken unserer Fjorde, die er woanders sieht als die Wissenschaft.

Letztere hat ermittelt, dass zu viel Stickstoff dazu führt, dass Algen gedeihen – und diese rauben beim Verfaulen den Gewässern den Sauerstoff. 70 Prozent des Stickstoffes wird von landwirtschaftlichen Flächen in die dänischen Binnengewässer gespült.

Bonnesen dazu laut „Altinget“.: „Ich möchte darum bitten, dass man den Blick auf die Meeresumwelt weitet; dass es nicht um die Landwirtschaft geht, wie einige in der Diskussion behaupten.“

Die haarsträubende Behauptung vom Hauptverursacher Landwirtschaft wird unter anderem von einem Forschungsteam an der Universität Aarhus verbreitet. Es misst seit Jahren, wie viel Stickstoff von den Feldern in die Gewässer geschwemmt wird und berät auf Grundlage der Daten die Regierung.

Doch Bonnesen glaubte diesen Zahlen nicht und erreichte, dass ein internationales Forschungsteam das dänische Forschungsteam überprüfen sollte. Ein wenig ärgerlich war dann für ihn, dass das internationale Team die dänische Arbeit als weltweit „vorbildlich“ einstufte.

Von Aluhüten

Doch von so etwas lässt man sich doch als Landwirtschaftssprecher der Bauernpartei Venstre nicht beirren. Das obige Zitat war eine Reaktion auf den internationalen Bericht.

Und selbstverständlich ist nicht verboten, sich im Widerspruch zu Fakten zu äußern; schließlich haben wir Meinungsfreiheit. So kann man ja gerne behaupten, die Erde sei flach, die Corona-Impfstoffe enthalten Mikrochips und die schwarzen Hubschrauber der UNO würden übermorgen landen, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Man darf sogar sagen, dass Wladimir Putin doch eigentlich ein ganz netter Mensch sei.

Nun will ich nicht gleich Mattias Tesfaye und Erling Bonnesen in die Schublade der Aluhüte stecken – aber ein leicht silbriger Schein, kommt mir vor, schwebt dennoch über ihren Köpfen.

Von geistesgestörten Professoren

Dieser Schein wird bei unserem nächsten Kandidaten noch ein wenig deutlicher. Der zweite Vorsitzende des Landwirtschaftsverbandes „Landbrug & Fødevarer“, Thor Gunnar Kofoed. Er hat den Leiter des Aarhuser Forschungsteam als einen „geistesgestörten (sindsforvirret) Professor“ bezeichnet, „der durch die Gegend rennt und sich Professor nennt.“

Letzteres hat möglicherweise damit zu tun, dass Stiig Markager, wie er heißt, tatsächlich Professor ist. Wobei ich mir gar nicht sicher bin, dass er den Titel so eifrig nutzt.

Kofoed hat sich für die Äußerung entschuldigt, hält jedoch an der Behauptung fest, der internationale Bericht, der die Aarhuser Forschung als vorbildlich bezeichnet, würde belegen, sie sei voller Fehler.

Der Vorteil der Verfechter des Kjær-Spruches ist, dass sie der eigenen Anhängerschaft aus dem Herzen sprechen. Der Nachteil, dass die, die nicht zur Jüngerschaft gehören, einen weniger ernst nehmen.

Und das ist wiederum etwas doof für Kofoed, denn es gibt immer weniger Bauern und immer mehr Nichtbauern. Letztere könnten irgendwann mal (bald) die Nase voll haben, und auch bei gerechtfertigten Anliegen der Landwirtschaft nicht mehr zuhören. Vorläufig kann er sich jedoch darauf verlassen, dass Erling Bonnesens Partei einer der drei Koalitionsparteien ist – vorläufig.

Von unsicheren Waschkellern

Aber kehren wir zurück zur Sozialdemokratie von Mattias Tesfaye. Die führenden Politikerinnen und Politiker der Partei haben ein besonders wirksames Antidot gegen Fakten entwickelt: die Anekdote.

Wie „Berlingske“ berichtet, sind Menschen ausländischer Herkunft besonders häufig die Hauptpersonen dieser Anekdoten. So hat Staatsministerin Mette Fredriksen persönlich 2020 bei einer Pressekonferenz in Rinkenis (Rinkenæs) von den Menschen gesprochen, die sich nicht mehr in den eigenen Waschkeller trauen, weil angeblich „Einwandererjungen“ dort herumlungern.

Die Tatsache, dass sich 88,1 Prozent (die Zahl stammt aus dem Justizministerium) der Menschen sich in ihrer Wohngegend sicher fühlen, hat Frederiksen nicht davon abgehalten, die nette Waschkeller-Anekdote im Wahlkampf 2022 gleich noch einmal zu erzählen.

Das Schöne an Anekdoten ist, dass sie Bilder im Kopf schaffen und häufig bestätigen, was wir „ja schon immer gewusst haben“. Wer will sich da noch mit Fakten herumschlagen. Der Rhetoriker Nikolaj Ottosen-Støtt sieht darin auch den Grund ihrer Popularität in und um Christiansborg.

„Man benötigt keine Fakten. Und wenn man eine Anekdote benutzt hat, kann sie wahr sein, obwohl jegliche Daten und Statistiken ihr widersprechen“, sagt er zu Berlingske.

Quasi: 1 Anekdote sagt mehr als 1.000 Fakten.

Ich hätte allerdings noch eine andere Erklärung für die Faktenresistenz der Politikerinnen und Politiker anzubieten: Sie waren in der Schule einfach noch nicht ganz wach, als der Unterschied zwischen Fakt und Meinung im Unterricht besprochen wurde.

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