Deutsch-Dänisch

Zweites Grenzland am Fehmarnbelt: Preis und Sprache als größte Barrieren

Hohe Hürden für zweites Grenzland am Fehmarnbelt

Hohe Hürden für zweites Grenzland am Fehmarnbelt

Apenrade/Fehmarn
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Noch verkehrt hier nur die Fähre: Ist der Tunnel Ende des Jahrzehnts fertig, werden Dänemark und Deutschland am Fehmarnbelt enger zusammenrücken. Foto: Lars Sørensen/Scandlines

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Am Fehmarnbelt wachsen Dänemark und Deutschland durch den Tunnelbau in naher Zukunft zusammen. Ist der Bau der festen Verbindung bereits eine Herausforderung, wird das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenwachsen eine Herkulesaufgabe. Viele Akteure arbeiten schon jetzt daran, das neu entstehende Grenzland zu entwickeln und Barrieren im Vorfeld abzubauen. Doch die Zeit drängt.

Der Fehmarnbelt-Tunnel ist eines der größten Infrastrukturprojekte der kommenden Jahre. Deutschland und Dänemark wachsen durch die feste Verbindung weiter zusammen.

Im Süden des Landes Schleswig-Holstein und in der dänischen Südsee auf Lolland entsteht ein zweites Grenzland. So sagte es die SSW-Politikerin Sybilla Nitsch in einer Landtagsrede Ende Januar. Darin sprach sie über die Forderung ihrer Partei, dem Südschleswigschen Wählerverband, vollen Einsatz für die Hinterlandanbindung der festen Fehmarnbeltquerung zu zeigen und sagte: „Hier entsteht jedoch nicht nur einfach ein neuer Wirtschaftsraum, hier entsteht ein zweites deutsch-dänisches Grenzland.“

Während das Vorhaben in erster Linie mit Nachrichten über den Beginn des Tunnelbaus in Dänemark, die deutsche Hinterlandanbindung und Klagen wegen Umweltbedenken in die Schlagzeilen geraten ist, läuft ein Aspekt bis heute unter dem Radar.

Dem „Nordschleswiger“ sagt Nitsch im Gespräch, ihre Partei habe die Querung nicht zuletzt aus umweltpolitischen Gründen zunächst abgelehnt. Mit der Entscheidung für die künstliche Verbindung hatte der SSW zudem auch Bedenken, die bestehende Grenzregion könnte abgehängt und in Zukunft nicht weiter hier investiert werden. Das habe sich jedoch geändert.

„Hier wird eine neue Grenzregion konstruiert, wie man sie von der Region Kopenhagen-Malmö kennt. Eine künstliche Verbindung, aber auch ein Vorbild. Wir haben jetzt die Chance, die Erkenntnisse aus unserer Region, unsere Erfahrungen in das entstehende Grenzland einzubringen“, so Nitsch.

Neben den schweren Themen, wie dem Bau der entsprechenden Verkehrswege, müssten bis 2029 weitere Strukturen geschaffen werden. Das fange beim Arbeitsmarkt an und reiche bis zum Dänischunterricht an den Schulen und Berufsschulen in der Region Ostholstein. „Das geht nicht von heute auf morgen“, sagt die SSW-Politikerin. Der Lehrkräftemangel, gerade auch im Fach Dänisch, der Aufbau einer Wirtschaftsförderung, ÖPNV, Tourismus, Kultur oder die generelle Frage, wie auf Dauer zusammengearbeitet werden soll: Das seien viele kleine Sachen, die Zeit bräuchten.

Nitsch hält sich mit Kritik nicht zurück. „Man verkennt im Wirtschaftsministerium, wie viel daran hängt“, sagt die Politikerin. Der derzeitige schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen habe „kein Händchen dafür“.

Hier wird eine neue Grenzregion konstruiert, wie man sie von der Region Kopenhagen-Malmö kennt. Eine künstliche Verbindung, aber auch ein Vorbild. Wir haben jetzt die Chance, die Erkenntnisse aus unserer Region, unsere Erfahrungen in das entstehende Grenzland einzubringen.

Sybilla Nitsch

Das Potenzial erkannt haben erste Unternehmen. So hat die Bremer Firma „Peper & Söhne“ bereits 50.000 Quadratmeter auf dänischer Seite im Gewerbegebiet von Maribo übernommen. Das „HUB 48 Maribo“ soll in einem ersten Schritt Handwerks- und Industriebetrieben Platz bieten. Im kommenden Jahr solle dann die zweite Phase eingeläutet werden. Es ist das erste große internationale Unternehmen, das sich hier niederlässt. „Peper & Söhne“ nennt als Grund für die erste Investition in Dänemark den zu erwartenden wirtschaftlichen Aufschwung der Region in den kommenden Jahren.

Das Dialogforum Fehmarnbelt hat laut Sybilla Nitsch bereits ein Chancenpapier erarbeitet, in dem entscheidende Bereiche wie Wirtschaft, Kultur, ÖPNV oder Gesellschaft beleuchtet und neben der Potenzialanalyse auch bereits Zuständigkeiten festlegt worden sind.

„Das ist quasi eine Handreichung für die Politik“, sagt die SSW-Politikerin. Am 24. April wird der Wirtschaftsausschuss des Landtages in die Beltregion reisen. Hier soll es unter anderem um die Fragen gehen, wie Strukturen aufgebaut und Firmen in die Region gelockt werden können.

Zwei große Hemmnisse für ein Grenzland 2.0

Beim Dialogforum Fehmarnbelt ist die Euphorie noch etwas gedämpfter. „Die Chance, dass hier ein zweites Grenzland entsteht, ist nicht sehr groß. Aber sie muss ergriffen werden“, sagt der Leiter der Geschäftsstelle, Horst Weppler. Seiner Meinung nach profitieren in erster Linie Hamburg und Kopenhagen von der festen Fehmarnbeltquerung. Verkürze sich die Reisezeit zwischen Fehmarn und Hamburg auf eine Stunde, werde es etwa attraktiver, in Hamburg zu arbeiten und in Ostholstein zu wohnen.

Für ein Grenzland wie im Norden Schleswig-Holsteins gebe es aber derzeit zwei große Hemmnisse. Das seien die Sprache und der Preis. „Der Eintrittspreis verhindert die Öffnung für den Arbeitsmarkt“, sagt Weppler. Damit meint er die geplante Gebühr für die Tunneldurchfahrt, die etwas unterhalb des Fährpreises liegen soll. „Wir haben bereits ein Pendlerticket gefordert“, so Weppler.

Auch ein Grenzticket für Bus und Bahn wäre denkbar sowie der Ein-Stunden-Takt im Hinblick auf die Bahnstrecke. Das sind zwei Punkte, die auch im Chancenpapier stehen. 

Kein natürlich gewachsenes Grenzland

Hier müsste die Landesregierung das Potenzial ausnutzen. „Da fehlt es bei allen an Weitsicht“, sagt Weppler. 

„Ich glaube nicht, dass es an den Kosten für eine Tunneldurchfahrt scheitern wird“, sagt hingegen Gerhard Bertelsen im Interview mit dem „Nordschleswiger“. Der frühere Geschäftsführer der Schleswigschen Partei (SP) ist heute im Mitglied im Interreg-Ausschuss. Dort gibt es bereits eine Reihe von Projekten, die den Fokus auf die Fehmarnbelt-Region legen. „Da wird eine Lösung gefunden werden. Schweden und Dänemark pendeln ja auch. Not macht erfinderisch, und wenn man den Austausch von Arbeitsplätzen und Kultur haben will, dann muss man auch die Voraussetzungen schaffen.“

Ein weiteres Hemmnis ist laut Weppler, dass die entstehende Region nicht natürlich gewachsen ist. „Auf Fehmarn spricht kaum jemand Dänisch und auf dänischer Seite kaum jemand Deutsch.“ Entsprechende Strukturen müssten aufgebaut werden. „Gedanklich ist man da sehr weit, aber wie man das hinbekommt, ist noch offen.“ Bis gewisse Dinge wirken, brauche es oftmals 10 bis 15 Jahre. 

Andere Hürden als die Sprachbarriere sieht Bertelsen kritischer. Neben der Sprache und dem Preis für die Tunneldurchfahrt müssten gerade im Bereich Arbeit Mauern eingerissen werden. Die grenzübergreifende Anerkennung von Ausbildungen und die finanzielle Unterstützung, beispielsweise für Auszubildende, müssten angeglichen werden. „Das wird auf Seeland auch ein Problem werden, wenn du Arbeitskraft anziehen willst.“

Die Chance, dass hier ein zweites Grenzland entsteht, ist nicht sehr groß. Aber sie muss ergriffen werden.

Horst Weppler, Dialogforum Fehmarnbelt

Landesregierung hat Fehmarnbelt-Region im Blick

Die Landesregierung in Schleswig-Holstein sieht sich auf Kurs. Johannes Callsen, Dänemarkbeauftrager der Landesregierung, sagt, das Land habe bei der Zusammenarbeit mit Dänemark sowohl den Jütlandkorridor als auch die Fehmarnbelt-Region im Blick. „Hierzu gehört die Stärkung dieser gemeinsamen Wirtschaftsregionen genauso wie die Förderung des grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes.“ So unterstütze die Landesregierung etwa die Pendlerberatung in Pattburg (Padborg), die auch für Pendlerinnen und Pendler in der Fehmarnbeltregion zuständig ist, finanziell.

Deren Leiter Peter Hansen sieht das Regionskontor auch gut aufgestellt. Man stehe in regelmäßigem Austausch mit den Partnern und sei für die steigende Nachfrage gewappnet. „Die Strukturen sind da und funktionieren“, sagt Hansen. Die aktuellen Bedarfe seien hauptsächlich wegen der Baustelle da, doch eigentlich werde es erst nach Fertigstellung des Tunnels interessant.

Die Interreg-Projekte sollen gerade die Region fördern. Wenn sie das nicht tun, dann ist Interreg fehlgeschlagen. Es geht nicht nur darum, Geld für Projekte oder sporadisches Projektmanagement zu beschaffen, Interreg ist auch langfristige Zusammenarbeit.

Gerhard Bertelsen, Mitglied im Interreg-Ausschuss

Dänischunterricht soll ausgebaut werden

Das Land Schleswig-Holstein setzt sich aber auch für eine Steigerung der Kenntnis der dänischen Sprache durch mehr Angebote für Dänischunterricht – ebenfalls in der Fehmarnbeltregion – ein, sagt Callsen. Über einen Bericht der Landesregierung zur Nachbar- und Minderheitensprache Dänisch wurde im März im Landtag beraten.

„Dänisch als Fremdsprache im Sinne eines schulischen Faches und Nachbarsprache hat eine wachsende Bedeutung nicht nur in der Region Sønderjylland-Schleswig, sondern auch im Landesteil Holstein, insbesondere hinsichtlich der anstehenden Fehmarnbelt-Querung“, heißt es darin. 

Im Schuljahr 2022/23 bieten 65 Schulen in Schleswig-Holstein Dänischunterricht an. Gut zwei Drittel davon liegen im Landesteil Schleswig. Sechs Einrichtungen in Lübeck und Ostholstein erteilen als Modellschulen Dänischunterricht. Eine erneute Abfrage für das Schuljahr 2023/2024 sei in Vorbereitung, so Callsen.  

Das Interreg-Projekt „kultKIT“ ist ein weiterer Ansatz. Es hat zum Ziel, die Kompetenzen in der Nachbarsprache und das gegenseitige Kulturverständnis der Deutschen und Dänen zu verbessern. Mit der Förderung von Mikroprojekten, in denen sich die Menschen in der deutsch-dänischen Grenzregion persönlich begegnen und neue Gemeinschaften bilden. Hier sind der Kreis Ostholstein, die Hansestadt Lübeck sowie die Stadt Fehmarn auf deutscher Seite und die Kommunen Lolland, Guldborgssund sowie Vordingborg und Næstved auf dänischer Seite beteiligt.

Horst Weppler hofft, dass sich mehr Menschen an diesen Projekten beteiligen. „Um Leute zusammenzubringen, braucht es Förderung und ein Fehmarnbelt-Ticket, damit man auch günstig rüberfahren kann.“ Gerade Kulturprojekte seien schwierig. „Das Chancenpapier zeigt auf, dass vieles möglich ist, aber es ist nicht einfach.“

Das Risiko, dass die Region am Belt nicht von dem Tunnel profitieren kann, ist allerdings da – wenn dort nicht rechtzeitig anpackt werde. Das sagt auch Gerhard Bertelsen. „Die Interreg-Projekte sollen gerade die Region fördern. Wenn sie das nicht tun, dann ist Interreg fehlgeschlagen. Es geht nicht nur darum, Geld für Projekte oder sporadisches Projektmanagement zu beschaffen, Interreg ist auch langfristige Zusammenarbeit.“

Kommune Lolland baut auf internationale Zuzüglerinnen und Zuzügler

In Dänemark tut sich ebenfalls einiges. Zwar hat die Kommune Lolland neben Interreg-Projekten bislang keine direkte Strategie oder Initiativen, die auf deutsche Zuzügler abzielen, „aber wir arbeiten kontinuierlich an der Aufnahme und Bindung von internationalen Neuankömmlingen und internationalen Arbeitskräften in einer strategischen Perspektive“, verrät Martina Modstad, die als Entwicklungskonsulentin bei der Kommune arbeitet. „Wir wissen aber, dass es in letzter Zeit ein zusätzliches Interesse von deutschen Zuzüglern gibt, und darüber sind wir natürlich sehr froh.“

Bei der Strategie der Kommune für internationale Arbeitskräfte und Ansiedlung gehe es nicht nur darum, Neuankömmlinge willkommen zu heißen, sondern auch darum, die ortsansässigen Unternehmen zu unterstützen, so Modstad. Ihre Arbeit besteht darin, Initiativen und Aktivitäten ins Leben zu rufen. „Es gibt eine Webseite der Kommune in englischer Sprache, wo über die Initiativen informiert wird – etwa die Job- und Karriereberatung oder das internationale Netzwerk und vieles mehr.“
 
Die Wirtschaftsorganisation „Business Lolland Falster“ arbeite laut Modstad ebenfalls daran, das Gebiet darauf vorzubereiten, das volle Potenzial der Situation, in der sich Lolland befindet, auszuschöpfen.

Mit der Lolland International School in der Inselstadt Maribo öffnete im August 2021, nur ein Jahr nach der Entscheidung der Kommune, eine erste internationale Bildungseinrichtung ihre Türen für die ersten Schülerinnen und Schüler. Die Gründung basiert auf der Annahme, dass in den kommenden Jahren viele ausländische Familien in die Region und insbesondere nach Lolland ziehen werden. In der Kommune rechnet man mit 5000 neuen Arbeitsplätzen jährlich. Die Schule legt den Fokus daher auf Zuzüglerfamilien und bietet den Unterricht in englischer und dänischer Sprache an. Aber auch dänische Schülerinnen und Schüler sind willkommen.

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