Diese Woche in Kopenhagen

„Moderat sexistisch – wie das Verhalten eines Kultursprechers den Haushalt verdrängte“

Moderat sexistisch – Kultursprecher verdrängt Haushalt

Moderat sexistisch – Kultursprecher verdrängt Haushalt

Kopenhagen
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Der Moderaten-Politiker Jon Stephensen hat sein Mandat nach Sexismus-Vorwürfen für vier Monate abgegeben. Foto: Ernst Van Norde/Ritzau Scanpix

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Zwei Fälle von übergriffigem Verhalten haben in dieser Woche Schlagzeilen gemacht. Die Lehre daraus ist, meint Walter Turnowsky: Junge Menschen lassen sich so ein Verhalten nicht länger gefallen. Je schneller Menschen der Generation des Autoren das mitbekommen, desto besser.

Wer immer bei dem Stück „Vorstellung der Haushaltsabsprache“ am Montag die Regie führte, hatte beschlossen, dass es auf einer kleinen Bühne spielen sollte. „Doorstep“ nennt sich das in modernem Dänisch (und wohl auch Deutsch) – im Gegensatz zur „Pressekonferenz“ auf der großen Bühne. Konkret war die Bühne ein Gang im Finanzministerium.

Der Vorteil: Die Darstellerinnen und Darsteller konnten durch die Flügeltür am Ende des Ganges ein effektvolles Entree hinlegen. Der Nachteil: Es mussten 14 Darstellende auf der kleinen Bühne Platz finden. Sieben Parteien haben die Absprache unterzeichnet, und jede brachte – auch das wieder regiebestimmt – zwei Darstellende mit. Wobei jeweils die eine Person eher als Statistin oder Statist zu bezeichnen ist.

Nordschleswiger als Statisten

Wie sie nun alle auf der Bühne standen und auf den Einsatz warteten, konnte der Korrespondent des „Nordschleswigers“ feststellen, dass Nordschleswig im Haushalt stark vertreten ist – zumindest was die Schauspielerinnen und Schauspieler anbelangt. Venstre hatte Stephanie Lose aus Lügumkloster (Løgumkloster), die kürzlich vom regionalen Theater zwischenzeitlich zur Staatsbühne gewechselt war, eine Hauptrolle anvertraut.

Die Sozialdemokratie schickte Benny Engelbrecht aus Sonderburg (Sønderborg), die Dänische Volkspartei Peter Kofod aus Hadersleben (Haderslev) und die Moderaten Henrik Frandsen aus Tondern (Tønder). Die drei hatten jedoch nur Statistenrollen abbekommen – gesagt haben sie während des Doorsteps nichts. Wobei Ex-Bürgermeister Frandsen dann doch noch eine Hauptrolle abbekommen sollte, jedoch in einem etwas anderen Stück.

Gedränge auf dem Gang

Die anderen beiden waren für vertiefende Informationen nach der Vorstellung zuständig. Die Nachfrage danach war ob des nicht gerade aufregenden Haushaltes bescheiden.

Das Publikum war nicht mit den Platzverhältnissen zufrieden. Foto: Walter Turnowsky

Das Publikum war mit der Inszenierung auf der kleinen Bühne nicht gerade zufrieden. Bereits bevor der Vorhang beziehungsweise die Flügeltür aufging, gab es negative Rezensionen: Warum müssen wir hier dicht gedrängt stehen, wenn doch gleich nebenan ein Saal zur Verfügung steht?

Der Unmut der Kritikerinnen und Kritiker aus der Presse wurde nicht gerade dadurch geringer, dass sich Mitarbeitende der Parteien unter das Publikum gemischt hatten. In schönen Videos und Fotos sollten sie den Auftritt ihrer Chefs festhalten und über die sozialen Medien verbreiten.

Das Ergebnis: Sie standen im Weg. Dass die Kommunikationsabteilungen der Parteien und Ministerien zuweilen eher Presseverhinderungs- als Pressemitarbeitende sind, ist nichts Neues. Dass dies geradezu physisch geschieht, eher schon.

Henrik Frandsen als Blitzableiter 

Eigentlich war es jedoch eine andere Vorstellung, die die Show stahl. Wie so häufig ist eine Off-Broadway-Inszenierung die interessantere. Und diese mischte sich dann sogar in die Präsentation des Haushaltes, als der Kulturminister der Moderaten, Jakob Engel-Schmidt, zu den Gebaren des kulturpolitischen Sprechers der Partei, Jon Stephensen, befragt wurde.

Womit wir – wie bereits angedeutet – wieder bei Henrik Frandsen angekommen wären, denn auf ihn verwies Engel-Schmidt. Als Fraktionsvorsitzender hatte er die undankbare Aufgabe bekommen, die Position der Partei zum Fall Stephensen zu erklären.

Der kulturpolitische Sprecher hatte im Februar einer 19-jährigen Frau, die Mitglied der Jugendorganisation der Partei ist, geschrieben, sie sei hübsch und habe den schönsten Körper (den lækreste krop). Im Kopf des 63-jährigen ehemaligen Theaterdirektors mag das als Kompliment erschienen sein, die junge Frau, die übrigens aus Sonderburg stammt, hat es als übergriffig empfunden.

Eine sexistische Nachricht von Jon Stephensen an eine junge Frau brachte das Fass zum Überlaufen (Archivfoto). Foto: Ernst Van Norde/Ritzau Scanpix

Frandsen spielte zunächst auf Zeit: Man werde sich am Dienstag mit Stephensen zusammensetzen; es sei nicht in Ordnung aus einer Machtposition heraus derartige Bescheide zu verschicken. Die Jugendorganisation Junge Moderate fand deutlichere Worte: Der Politiker habe den Kodex der Partei verletzt, habe in ihr nichts mehr zu suchen.

Løkkes Krisenmanagement

Es ist nicht die erste Anschuldigung gegen ihn. Im vergangenen Jahr wurde ihm als Direktor des Theaters Aveny-T gekündigt, laut dem Vorstandsvorsitzenden Henning Dyremose, weil er eine Unterschrift gefälscht haben soll. Im März berichtete eine Reihe von Personen aus der Theaterwelt gegenüber „TV2“ von einem miserablen Arbeitsmilieu, geprägt von Drohungen, Machtmissbrauch und übergriffigem Verhalten.

Bislang hatte die Führungsspitze der Moderaten das zu Stephensens persönlichem Problem erklärt, da die Anklagen sich auf die Zeit vor seiner Politikerkarriere beziehen. Doch jetzt war die Sache mitten in der eigenen Partei gelandet.

Zum Glück hat diese einen krisenerprobten Vorsitzenden, obwohl Lars Løkke Rasmussens Probleme weniger sexistischer als fiskaler Art gewesen sind. In der Nacht zum Dienstag erzählte Løkke dann in einem Video auf Facebook (modernes Polit-Theater ist häufig multimedial), dass Stephensen für vier Monate – unbezahlt – sein Mandat ruhen lassen würde. Die Zeit solle er dafür verwenden, das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Parteifreunde wiederzugewinnen. Ein Parteiausschluss wäre eine überzogene Reaktion gewesen.

Die machtpolitische Rücksicht

Doch ist es wohl nicht nur die mitmenschliche Rücksicht, die Løkke bewegt hat. Würde Stephensen aus der Partei austreten und sein Mandat mitnehmen (was sein gutes Recht ist), wäre die Regierungsmehrheit (ohne die nordatlantischen Abgeordneten) auf ein Mandat geschmolzen. Løkkes Herzensprojekt, die blockübergreifende Mehrheitsregierung, würde die kommenden dreieinhalb Jahre auf reichlich wackeligen Beinen stehen.

Wie Bob Dylan bereits 1964 sang: The Times They Are a-Changin‘. Nur haben das, damals wie heute, nicht alle sofort mitbekommen.

Das Kalkül ist offensichtlich: Entweder beruhigt sich der Sturm über den Sommer hinweg wieder – oder Stephensen kommt von sich aus zu dem Schluss, dass er seine politische Karriere aufgibt. Dann würde er jedoch auch auf die Einnahmen verzichten müssen.

Jugendorganisation besteht auf Ausschluss

Solche taktischen Überlegungen hielten jedoch die Jungen Moderaten nicht davon ab, am Dienstag zu erklären, sie könnten kein erneutes Vertrauen zu Stephensen haben. Løkkes Zusicherung, alle könnten sich in der Partei sicher fühlen, können sie nicht nachvollziehen. Die betroffene junge Frau selbst meint auch, der Politiker komme zu billig davon.

In puncto Sturmberuhigung kommt noch am Dienstag ein herber Rückschlag. 1.200 Menschen aus dem Theater- und Kulturleben erklären in einem offenen Brief ihr Misstrauen gegenüber Stephensen. Die Anschuldigungen von Machtmissbrauch und übergriffigem Verhalten werden in dem Schreiben wiederholt.

Eine fragwürdige Entschuldigung

Stephensen selbst entschuldigte sich in einem Facebook-Post bei der jungen Frau, schrieb jedoch im gleichen Atemzug er gedenke in die Politik zurückzukehren. Die Disziplin „Vetrauensrückgewinnung“ muss er wohl noch etwas üben. Dazu wird er jetzt auch viel Gelegenheit haben, denn will er die Kulturschaffenden und die Jungen Moderaten (sowie auch so einige nicht so junge Moderate) für sich gewinnen, sind das deutlich mehr als zehn Personen pro Tag, die er überzeugen muss. Na, dann mal ran an die Arbeit.

Übergriffe von der Gewerkschaftsbossin

Am späten Donnerstagabend wurde dann deutlich – eigentlich wusste man es schon –, dass übergriffiges Verhalten von machtvollen Personen keine reine Männerdomäne ist. „Berlingske“ und „Ekstra Bladet“ haben recherchiert, dass die Vorsitzende des dänischen Gewerkschaftsbundes FH, Lizette Risgaard, wiederholt junge Männer gegen deren Willen begrapscht hat.

 

Die Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Lizette Risgaard, entschuldigte sich bei einem kurzen Pressegespräch. Sie bleibt trotz des Eingeständnisses von übergriffigem Verhalten vorläufig im Amt. Foto: Emil Helms/Ritzau Scanpix

Expertinnen definieren das Verhalten eindeutig als sexuelle Belästigung. Krisensitzung im Hauptvorstand des Gewerkschaftsbundes am Freitagmorgen. Ergebnis: Eine Anwaltskanzlei soll die Vorfälle untersuchen, Risgaard bleibt vorläufig als Vorsitzende und entschuldigt sich vor laufender Kamera. Sie gesteht ein, dass sie sich als eine der machtvollsten Personen des Landes „unpassend“ verhalten habe.

Gewerkschaftsjugend protestiert

Doch obwohl ihr Krisenmanagement überzeugender erscheint als das von Stephensen, grätscht auch hier wieder die junge Generation dazwischen. Die Jugendorganisationen einer ganzen Reihe von Gewerkschaften verlangt ihren Rücktritt. Merke: Junge Menschen wollen sich (zum Glück) ein solches Verhalten nicht mehr gefallen lassen.

Oder, wie Bob Dylan bereits 1964 (in meinem Geburtsjahr) sang: The Times They Are a-Changin‘. Nur haben das, damals wie heute, nicht alle sofort mitbekommen. Doch selbst an der Spitze der Moderaten und des Gewerkschaftsbundes werden sie es über kurz oder lang begreifen (müssen).

Aktualisierung 22.15 Uhr: Der letzte Satz hat sich (zumindest teilweise) schneller als erwartet bewahrheitet: Freitagabend hat Lizette Risgaard mitgeteilt, dass sie sich beurlauben lässt.

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