Diese Woche in Kopenhagen

„Kein Jubel über das Prestigeprojekt der Regierung: die Seniorenreform “

Kein Jubel über das Prestigeprojekt der Regierung: die Seniorenreform 

Kein Jubel über das Prestigeprojekt der Regierung

Kopenhagen
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Die „historische Freisetzung des öffentlichen Dienstes“ sollte die Zugnummer und die Existenzberechtigung der SVM-Koalition sein. Die Wählerinnen und Wähler zögern jedoch, auf den Zug aufzuspringen, wie Walter Turnowsky beobachtet hat.

Schon irgendwie blöd: Da hat die SVM-Regierung mit ihrer Seniorenreform ihr Prestigeprojekt präsentiert – und die Wählerinnen und Wähler lässt das eiskalt.

So sieht es zumindest aus, wenn man der ersten Umfrage Glauben schenken möchte. Dabei hatten sich die drei Regierungsparteien solche Mühe gegeben. Wie bereits an dieser Stelle beschrieben, haben sie den ganzen Januar die einzelnen Vorschläge tröpfchenweise vorgestellt, um maximale Medienaufmerksamkeit zu erzeugen.

In der vergangenen Woche dann der Paukenschlag: Bei einer Pressekonferenz hat die Regierungsspitze, Mette Frederiksen (Soz.), Troels Lund Poulsen (Venstre) und Lars Løkke Rasmussen (Moderate), den gesamten Katalog ihrer Vorschläge vorgestellt (Seniorenministerin Mette Kierkgaard von den Moderaten durfte gnädigerweise auch mitmachen). Und gleich nach dem Pressetermin eine großangelegte Konferenz, die nicht ganz wenig von einer Show hatte.

Umfragetief

Am Montag dann die kalte Dusche des Umfrageinstituts „Voxmeter“: 2,6 Prozentpunkte Rückgang für die Sozialdemokratie, 1,7 für Venstre und 0,7 für die Moderaten. Das bewegt sich zwar noch so einigermaßen im Bereich der statistischen Unsicherheit, aber ein Ausdruck von Euphorie in der Bevölkerung ist es nicht gerade. Die Nutznießenden sind die üblichen Verdächtigen: die Volkssozialisten und die Liberale Allianz. 

Mette, Troels und Lars können sich damit trösten, dass es sich um einen statistischen Ausreißer handeln kann – also eine Umfrage, die daneben liegt. Tröstlich kann auch sein, dass viele der abtrünnigen Wählerinnen und Wähler, bisher nicht sämtliche tolle Vorschläge so ganz mitbekommen haben.

Hoffnung auf Trost

Und sollte der Kummer allzu groß werden, können sie immer noch darauf setzen, dass zunächst die Verhandlungen über die Vorschläge und danach die Beratungen im Folketing erneut ein Presseecho auslösen wird.

Sollten die Wählerinnen und Wähler auch dann noch nicht bereit sein, S, V und M Umfragetrost zu spenden, darf das Wohlfahrtstrio immer noch auf die Wirkung der Vorschläge dort draußen – in der Wirklichkeit – hoffen. Dass dann klar wird, wie brillant die „historische Freisetzung des öffentlichen Dienstes“ (Frederiksen) ist.  

Bürokratische Schranken sollen fallen, Kontrollen abgeschafft werden, das Pflegepersonal sich um die Seniorinnen und Senioren kümmern, statt Schemas auszufüllen. Und die Pflegebedürftigen sollen entscheiden können, ob sie Flæsksteg, Lasagne oder Sushi essen möchten – ob das Personal, die Zeit lieber für einen Schnack mit ihnen verwenden soll, statt ihnen ein Bad zu verpassen. 

Knappe Zeit

Doch bis zur kommenden Wahl sind nicht mal drei Jahre hin. Ganz schön wenig Zeit. Die Dinge wollen erst einmal beschlossen und umgesetzt werden. Und danach wird es noch ein Weilchen dauern, bevor Oma, Opa, deren Angehörige sowie das Pflegepersonal den (nach Darstellung der Koalition) gar nicht so kleinen Unterschied spüren.

Und genau die sollten doch gerne spätestens am 31. Oktober 2026 in Scharen zu den Wahlurnen strömen, um ihre Kreuzchen bei der Liste A (Sozialdemokratie), V (Venstre) oder M (Moderate) machen. Voraussetzung ist natürlich, dass dann wirklich das Pflege-Goldalter eingeläutet wird.

Vom Reformeifer in Dänemark und Deutschland

Denn das Versprechen eines neuen Goldalters für den dänischen Wohlfahrtsstaat stand am Anfang der Partnerschaft dieser drei ungleichen Parteien. Um notwendige Reformen durchzuführen, brauchte es erstmalig seit Jahrzehnten eine Regierung über die Mitte hinweg – und noch dazu erstmalig seit Jahrzehnten eine Mehrheitsregierung. Die Abhängigkeit von den Flügeln würde unpopuläre Entscheidungen blockieren. So zumindest der Tenor, bei der Präsentation der Regierung.

Da würde man doch annehmen, dass die wechselnden Mehrheitsregierungen in Deutschland vor Reformeifer nur so sprudelten. Und die Großen Koalitionen erst recht – die breite Zusammenarbeit über die Mitte hinweg. Man benötigt keinen Doktorgrad in Politologie, um zu erkennen, dass das ein wenig anders gelaufen ist.

Zugabe für SVM?

Eigenartig auch, dass dänische Regierungen – ob nun links oder rechts – seit den 80er-Jahren durchaus imstande waren, Reformen durchzuführen. Das gilt auch für empfindliche Bereiche wie Renten und Arbeitsmarkt, wo man sich mit größeren Änderungen nicht nur Freundinnen und Freunde macht.   

Die Frage ist daher, ob die breite Mehrheitsregierung ein Zukunfts- oder doch eher ein Auslaufmodell ist – selbst wenn die drei Parteien sich von der jetzt ein Jahr andauernden Flaute erholen sollten. Und die Frage ist auch, ob wir traurig darüber sein sollten, wenn Modell A statt Modell Z sich nach der kommenden Wahl durchsetzen sollte.

Und die Tatsache ist dann doch für uns, das Wahlfolk, ein Trost – wenn schon nicht für Mette, Troels und Lars.
 

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