Interview mit Bestseller-Autor

Jussi Adler-Olsen: Wir sollten Putin respektvoll behandeln – auch wenn es schwer fällt

Jussi Adler-Olsen: Wir sollten Putin respektvoll behandeln

Jussi Adler-Olsen: Wir sollten Putin respektvoll behandeln

shz.de/Martin Schulte
Hamburg
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Jussi Adler-Olsen, dänischer Krimi-Bestseller-Autor, sieht in der Entstehung des Ukraine-Krieges auch Fehler westlicher Regierungen (Archivbild). Foto: Karin Riggelsen

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Der dänische Bestseller-Autor präsentierte bei einer Lesung im Hamburger Thalia-Theater sein Buch „Natrium Chlorid“. Am Dienstagabend ging es aber auch um den Ukraine-Krieg.

Jussi Adler-Olsen war am Dienstagabend in Hamburg zu Gast. Der dänische Bestseller-Autor sprach während einer Lesung im Thalia Theater vor 700 Besucherinnen und Besuchern über seinen neuen Kriminalroman „Natrium Chlorid“ (dtv), den neunten Fall seines reichlich introvertierten Ermittlers Carl Mørck.

Aber an dem Abend war natürlich auch der Ukraine-Krieg Thema, nicht nur, weil Adler-Olsen, der früher Koordinator der dänischen Friedensbewegung war, einen blauen Anzug mit gelbem Hemd trug. Am Morgen nach der Lesung sprach Adler-Olsen im Interview über die Fehler, die seiner Meinung nach im Vorfeld des Krieges gemacht worden sind – und warum die Diplomatie der einzige Weg in Richtung Frieden ist.

Herr Adler-Olsen, in Europa herrscht wieder Krieg. Welche Gründe sehen Sie für die russische Aggression gegen die Ukraine?

Ein Grund, das muss ich leider so deutlich sagen, ist unser ehemaliger dänischer Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen. Er hat die Ukraine als Nato-Generalsekretär und später auch persönlich beraten. Und er war es auch, der dem vorherigen ukrainischen Präsidenten wiederholt den Rat erteilt hat, die Mitgliedschaft in der Nato anzustreben.

Und das war Ihrer Meinung nach ein Fehler?

Ja, weil die Ukraine damit gedrängt wurde, ihren Status der Neutralität zu verlassen, und zwar mit dem Versprechen, dass sie Mitglied der Nato werden und das für sich selbst entscheiden können. Nur durften sie am Ende nicht selbst entscheiden und damit ist die Ukraine in eine Drucksituation gedrängt worden, die sie selbst nicht zu verantworten hat, sondern die westlichen Staatenführer, die der ukrainischen Politik offensichtlich zu viel versprochen haben.

Sie sehen die Schuld für diesen Krieg also auch im Westen?

Ich will Putins Verhalten nicht verteidigen, aber ich verstehe, warum er sich herausgefordert gefühlt hat. Weil die Ukraine nun einmal kein schwaches Land ist, wie sie gerade eindrucksvoll beweist. Als Nato-Mitglied wäre die Ukraine eine Bedrohung für Russland gewesen.

Jetzt ist sehr viel unnötiges Leid erzeugt worden, dabei wäre es besser gewesen, am Anfang dieses Konflikts, der sich abgezeichnet hat, zu sagen: Lasst uns noch einmal abwägen. Wladimir Putin, zieh deine Truppen zurück und wir gehen dafür im Gegenzug in den nächsten Jahren nicht in die Nato. Das wäre der richtige Schritt gewesen.

Aber auch das wäre eine fremdbestimmte Entscheidung gewesen.

Vielleicht. Aber ist die Alternative besser? Jetzt wurde die Ukraine in diesen Konflikt gedrückt, weil die westlichen Mächte ihnen immer wieder gesagt haben: Ihr müsst unabhängig sein und unabhängig entscheiden. Dabei wäre die Neutralität der viel bessere Weg gewesen. Den Preis für diesen Fehler bezahlen, wie immer, viele unschuldige Menschen.

Müssen wir den Freiheitsbegriff im Osten also an die geopolitischen Begebenheiten anpassen?

Freiheit ist ein ohnehin ein weiter Begriff. Nehmen wir die Debatte um die Mohammed-Karikaturen, die uns Dänen sehr beschäftigt hat.

Natürlich haben wir das Recht, alles zu sagen, was wir wollen, das ist die Meinungsfreiheit. Aber einige Sachen sagen wir trotzdem nicht. Wir machen keine Späße über sterbende Menschen und wir sollten auch keine Späße über Mohammed machen, wenn wir wissen, was dieser für andere bedeutet.

Wenn man sein Gesicht laut des islamischen Glaubens nicht zeichnen darf, dann sollten wir es auch nicht tun. Das gebietet der Respekt.

Es ist ein Privileg, dass wir alle selbst so frei in unseren Meinungen und Handlungen sind, aber wir müssen verantwortungsvoll damit umgehen. Das ist es, was ich meine, wenn ich über die Freiheit der Ukraine rede, die eigentlich keine war. Europa hätte sich einfach zurückhalten müssen und die Ukraine nicht aus der Neutralität drängen sollen. Auch wenn der europäische Standpunkt im Kern natürlich nicht falsch ist.

Und wie kommen wir aus dieser Situation wieder heraus?

Jetzt, da so viele Menschen sterben und das Elend so groß ist, hoffe ich einfach nur, dass Putin merkt, dass er diesen Krieg nicht gewinnen wird und endlich ein Frieden verhandelt wird. Aber dafür muss es wohl noch einen größeren Aufstand in Russland geben, damit er merkt, dass er dort keinen Rückhalt hat.

Also muss Europa ihm eine Tür öffnen?

Ja, absolut. Und gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass der Druck auf ihn aus der normalen russischen Bevölkerung größer wird. Wir müssen die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine für das russische Volk sichtbar machen, über alle möglichen Medien und Kanäle, damit jeder dort merkt, was dieser Krieg anrichtet. Warum machen wir es nicht wie Putin mit seinen Internet-Trollen? Hacken wir uns in alles ein, was möglich ist und ändern die Einstellung der Menschen, indem wir ihnen die Wahrheit erzählen, damit sie endlich Bescheid wissen. Das ist der einzige Weg. Gleichzeitig sollten wir mit ihm verhandeln und wissen Sie was?

Nein.

Gerade weil er in eine Ecke gedrängt worden ist, sollten wir ihn respektvoll behandeln – auch wenn es uns schwerfällt. Alles andere wäre kontraproduktiv für einen möglichen Frieden.

Da klingt ein Grundsatz der Friedensbewegung durch, der sie in Dänemark lange vorgestanden haben. Fällt es Ihnen nicht schwer so rational zu bleiben, wenn man sieht, was Putin in der Ukraine anrichtet?

Natürlich. Aber ich rede über den Wert der Diplomatie als einziges Mittel zum Frieden. Alle anderen Szenarien, auch das schlimmste, möchte ich nicht durchdenken. Wir müssen jetzt alle Teile der politischen Systeme miteinander verbinden und auf allen Kanälen verhandeln, auf denen es möglich ist.

Wie stehen Sie zu der Bewaffnung Europas, die jetzt in vielen Ländern ausgebaut wird?

Das ist ein eindeutiges Statement.

Auch ein notwendiges?

Ja, ich glaube, es ist notwendig, um zu zeigen, dass wir nicht schwach sind. Aber noch einmal: Der einzige Weg zum Frieden ist Diplomatie.

Wird diese Bedrohung Europa zusammenrücken lassen?

Ich glaube, wir sind schon immer dichter beieinander gewesen, als wir es wahrhaben wollten. Auch wenn wir in vielen Punkten nicht einer Meinung sind, fühlen wir uns alle als Europäer. Und wenn es notwendig ist, stehen wir alle zusammen.

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