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Mehr Weihnachtshilfe: Rund 90 Prozent der Anträge stellen Frauen

Mehr Weihnachtshilfe: Rund 90 Prozent der Anträge stellen Frauen

Mehr Weihnachtshilfe: 90 Prozent der Anträge stellen Frauen

Dänemark
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Die Heilsarmee ist eine der größten Verteilerinnen von Weihnachtshilfe. Seit Jahren kommen überwiegend Frauen, um die Hilfen entgegenzunehmen. Archivbild. Foto: Mathias Løvgreen Bojesen/Ritzau Scanpix

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Alle Hilfsorganisationen melden eine starke Zunahme bei den Anträgen auf Weihnachtshilfe. Die an Frauen gerichtete Mütterhilfe (Mødrehjælp) verzeichnet jedoch nicht nur den mit Abstand stärksten Anstieg, sondern übertrifft plötzlich auch die anderen Organisationen. Woran liegt das?

Die dänischen Hilfsorganisationen, die Weihnachtshilfe (julehjælp) anbieten, verzeichnen in diesem Jahr durch die Bank weg Rekordzahlen. Bei der Suche nach einem Grund herrscht Einigkeit: Die hohe Inflation macht den Menschen zu schaffen. 

Zwar bitten seit Jahren mehr Menschen um Hilfe, doch fällt der Anstieg in diesem Jahr besonders stark aus. Einige der Organisationen konnten dem „Nordschleswiger“ auf Nachfrage mit Zahlen aus vorherigen Jahren einen Überblick verschaffen. 

Eine Zahl springt besonders ins Auge: die der Mütterhilfe „Mødrehjælpen“. Nicht nur verzeichnet die Mütterhilfe im Vergleich zu 2021 den heftigsten Zuwachs. Die Gesamtzahl der eingegangenen Anträge übertrifft sogar die aller anderen Organisationen.

Sind Frauen stärker von der aktuellen Krise betroffen? Wir haben den enormen Anstieg der Anträge bei der Mütterhilfe zum Anlass genommen, uns die Zahlen genauer anzuschauen. 

Überwiegend Frauen melden sich. In diesem Jahr trifft das auf 89 Prozent der gestellten Anträge zu.

Marisa Bjørklund, Sprecherin bei Mødrehjælpen

Aus den Kriterien für einen Antrag auf Weihnachtshilfe bei der Mütterhilfe geht hervor, dass theoretisch auch Männer diesen bei der Organisation stellen dürfen. Denn die Hilfe richtet sich an „Paare und Alleinerziehende und kann für bis zu drei Kinder beantragt werden“, heißt es auf der Webseite der Organisation.

So die Theorie. In der Praxis fühlen sich Männer von dem Angebot jedoch weniger angesprochen, wie Pressesprecherin Marisa Bjørklund auf Nachfrage des „Nordschleswigers“ bestätigt. „Überwiegend Frauen melden sich. In diesem Jahr trifft das auf 89 Prozent der gestellten Anträge zu.“

Ob und welche Rolle beim diesjährigen Anstieg Mütter aus der Ukraine spielen, konnte Bjørklund noch nicht sagen. „Das ist eine interessante Frage, aber wir haben die Ursachen noch nicht analysiert.“

Also suchen wir weiter. Und zwar nach Informationen zu Antragstellenden bei anderen Hilfsorganisationen. Nicht alle Anfragen waren erfolgreich, da einige Träger ihre Zahlen nicht nach Geschlecht aufschlüsseln.

Dänische Volkshilfe liefert Details

Doch die Dänische Volkshilfe konnte mit Zahlen weiterhelfen. Es zeigt sich: Auch dort sind die Antragstellenden mit überwältigender Mehrheit Frauen. „Nur ein Zehntel unserer Bewerber sind Männer“, teilt Lone Rasmussen vom Sekretariat der Organisation mit. Das gilt nicht nur für dieses Jahr, die Zahlen bewegen sich laut Rasmussen seit Jahren auf diesem Niveau. 

Insgesamt nahm die Dänische Volkshilfe in diesem Jahr 18.789 Anträge entgegen. Davon kamen nach Angaben der Organisation übrigens 4,83 Prozent aus den nordschleswigschen Kommunen, die gleichzeitig 3,81 Prozent der dänischen Gesamtbevölkerung ausmachen (Danmarks Statistik).

Hat die Dänische Volkshilfe eine Erklärung für dieses überwiegend weibliche Phänomen? Hier kommt eine Gemeinsamkeit mit der Mütterhilfe ins Spiel: „Kriterium für den Erhalt der Weihnachtshilfe von Dansk Folkehjælp ist, dass man Alleinverdiener ist, ein Transfereinkommen bezieht und ein Kind oder mehrere zu Hause leben“, sagt uns Pressesprecher Peder Thorning.

Dort vermutet er die Erklärung für das Phänomen der überwiegend weiblichen Anfragen. Das erklärt zwar nicht, warum die Mütterhilfe gerade in diesem Jahr einen so starken Zuwachs erfährt, liefert aber einen möglichen Grund dafür, warum insgesamt mehr Frauen die Anträge stellen.

„Als Organisation würden wir im Prinzip gerne mehr Männer unter den Antragstellenden sehen, aber die Realität spiegelt wahrscheinlich die Tatsache wider, dass die überwiegende Mehrheit der Alleinerziehenden in der Gesellschaft insgesamt Frauen sind.“

 

Kommentar:

Wir brauchen mehr Ungleichbehandlung

Von Marle Liebelt

Eigentlich sind es Alleinerziehende, die aufgrund ungerechter Verteilung gerade in Krisenzeiten am meisten zu kämpfen haben. Die gesellschaftliche Ungleichheit zwischen Männern und Frauen macht dieses Thema jedoch zu einem Frauenproblem.

Der Zahlenabgleich der Hilfsorganisationen erklärt letztlich nicht, warum gerade die Mütterhilfe einen besonders starken Zuwachs an Anträgen verzeichnet. Denn die traurige Wahrheit – und Erkenntnis der Zahlen anderer Organisationen – ist: Es sind Frauen, die in der aktuellen Krise besonders hart getroffen werden. 

Die Weihnachtshilfe ist ein Hilfsangebot an die bedürftigen Familien in der gesamten Bevölkerung. Aber nur ein sehr geringer Bruchteil der Betroffenen sind Männer.

Es ist erstaunlich, dass die Nachricht „Hilfsorganisationen verzeichnen Rekordzahlen bei Anträgen auf Weihnachtshilfen“ so omnipräsent ist und gleichzeitig das, was aus den Zahlen noch abzulesen ist, so weit im Hintergrund steht. 

Nämlich, dass eine scheinbar so fortschrittliche Gesellschaft, in der Frauen inzwischen einen hohen Bildungsgrad und seit Jahren gleiche Rechte haben, trotzdem noch so viel härter von Armut betroffen sind als Männer. 

Gleiche Rechte sind eben nicht alles. Wenn eine Bevölkerungsgruppe jahrhundertelang marginalisiert wurde, lösen sich Rollenbilder nicht einfach in Luft auf. Sie müssen aktiv bekämpft und abgeschafft werden. Warten hilft nicht. Die Ungerechtigkeit bedarf einer Ungleichbehandlung.

Die Gleichstellung der Geschlechter muss noch bewusster forciert werden. Finanzielle Unabhängigkeit von Frauen muss mehr gefördert werden. Klassischen Rollenbildern muss stärker entgegengewirkt werden. Wer denkt, diese Gesellschaft hat schon so viel erreicht, irrt. Man frage nur mal die Hilfsorganisationen und schaue sich in deren Schlangen vor Ausgaben um.

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Leitartikel

Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
„Nullemissionszonen: Kommunen müssen vorab Lösungen präsentieren“