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Die Schultüte – Symbol eines Übergangsritus

Die Schultüte – Symbol eines Übergangsritus

Die Schultüte – Symbol eines Übergangsritus

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Nordschleswig
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Einschulung Norderlügum 1968 Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Eine typisch deutsche Tradition hat auch in Nordschleswig Verbreitung gefunden

In den letzten Wochen konnten wir in die Gesichter vieler glücklicher Schulanfänger sehen. Dabei fehlen durfte auch nicht die Schultüte.

Da diese, vom Ursprung typisch deutsche Tradition, auch ihre Verbreitung in Nordschleswig gefunden hat, ist sie auch ein Teil der Ausstellung des Deutschen Museum Nordschleswig. Deswegen wollen wir uns hier ein wenig mit diesem Brauch beschäftigen.

Als ein Teil des Übergangsritus in einen neuen Lebensabschnitt war die Schultüte anfänglich sicherlich auch gedacht, den Kindern die Angst vor dem Neuen zu nehmen. Der Respekt vor der Institution Schule, dem Lehrer und der herrschenden Prügelstrafe lässt die Schultüte fast als eine Art Trostpflaster für die Schulanfänger erscheinen. Dazu passt, dass die Schultüte vielerorts auch als Zuckertüte bezeichnet wurde und wird. Auch anfänglich wurden die Schultüten schon mit Leckereien gefüllt, um den Kindern den Schulstart zu versüßen.

Wo also kommt der Brauch der Schultüten her? Genau lässt sich dies nicht mehr bestimmen. Aber durch die Verbreitung und auch die „Verwurzelung“ des Brauches in gewissen Gegenden lässt sich sagen, dass dieser im mitteldeutschen Raum entstanden sein muss. Also in Thüringen und Sachsen. Aus diesem Bereich stammt auch die Erzählung des Zuckertütenbaums, die sich für die Kinder ähnlich angehört haben muss, wie die Erzählungen vom Osterhasen und des Weihnachtsmann. Zwerge sollten die an den Bäumen gewachsenen Zuckertüten in der Nacht in die Schule gebracht haben. Aus dem mitteldeutschen Raum wird auch überliefert, dass dort in Schulen im Keller auch wirklich „Zuckertütenbäume“ gestanden haben sollen.

Erste Quellen berichten von Schultüten schon am Ende des 18. Jahrhunderts. Weitere schriftliche Überlieferungen stammen 1817 aus Jena und 1820 aus Dresden. Wobei bei diesen zeitlichen Angaben noch nichts über die Verbreitung und Verankerung in der Gesellschaft zu sagen ist. Eine Untersuchung aus den 1930er Jahren zeigt an, dass die Verbreitung der Schultüten weiter besonders stark im Mitteldeutschen Raum ist. Dazu kommen Gebiete wie Nordbayern, Schlesien aber auch im nordwestlichen Raum. In Schleswig-Holstein ist der Brauch zwar auch schon zu finden, hat aber anscheinend noch nicht die heutige Verbreitung.
Aus Mitteldeutschland stammt auch die Tradition des Zuckertütenfests. Dies wurde im Kindergarten abgehalten und dort dann auch die Zuckertüten verteilt bzw. die Kinder durften ihre Tüte vom Zuckertütenbaum abnehmen. Vielerorts nahm das Zuckertütenfest auch schon Elemente der Einschulung vorweg. Z. B. das einzelne Aufrufen der Kinder und die Überreichung der Schultüten.

Schultüten Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Das Zuckertütenfest erinnert daran, wie in Teilen Nordschleswigs die Überreichung der Schultüten vor sich ging. Ein schneller Blick ins Archiv des „Nordschleswigers“ zeigt, dass typischerweise ein Abschiedsfest für die Schulanfänger in den Kindergärten abgehalten wurde. Im Rahmen dessen wurden dann die Schultüten übergeben. Dies aber ohne Zuckertütenbaum.

 

Eine der ersten Meldungen, betreffend der Schultüten und des Abschiedsfestes, stammt vom Kindergarten aus Tingleff aus dem Jahr 1956. Damals wurden die Schulanfänger noch zu Ostern eingeschult. Deswegen wurde bei dem Abschiedsfest auch noch eine weitere Tradition gepflegt, die des Ostereiersuchens.

1965 kann man aber schon Meldungen finden, die eine Übergabe der Schultüte, losgelöst vom Kindergarten, im Rahmen der Schule beschreiben. Wie sich dies in den einzelnen Schulen entwickelt hat, wird schwer nachvollziehen zu sein. Auch aus Deutschland gibt es schon aus dem Ende des 19. Jahrhunderts Überlieferungen, dass die Schultüten erst nach der ersten Unterrichtsstunde übergeben wurden. Es ist also anzunehmen, dass dies vor Ort sehr unterschiedlich gehandhabt wurde.

Mit dem „aus dem Fenster springen“ und ähnlichen gibt es in den Nordschleswigschen Kindergärten immer noch Abschiedsfeiern für die Schulanfänger. Bloß halt ohne Schultüte.

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