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Haderslebener Erklärung – Gedankliche Neuausrichtung der deutschen Minderheit

Haderslebener Erklärung – Gedankliche Neuausrichtung der deutschen Minderheit

Haderslebener Erklärung – Gedankliche Neuausrichtung

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Nordschleswig
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Die Haderslebener Erklärung hat große Bedeutung für die deutsche Minderheit, die sich nach 1920 bis 1945 nicht damit anfreunden konnte, ein Teil Dänemarks zu sein. Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen stehen zu Recht im Mittelpunkt des Grenzlandmodells und der positiven Entwicklung, die seit 1955 beschritten wurde

Ohne die Erklärungen in ihrer Bedeutung zu mindern, möchte ich hier aber auf ein anderes Dokument hinweisen, das in seiner Wichtigkeit für die deutsche Minderheit noch zentraler steht. Die Haderslebener Erklärung vom 11. November 1943, verfasst von Peter Frees, Christian Danielsen, Sophus Erichsen, Pastor Prahl und Matthias Hansen.

Um die Bedeutung des Dokumentes zu verstehen, muss man sich in die Lage und Zielsetzung der deutschen Minderheit in den 1920ern, 1930ern und Anfang der 1940er versetzen. In diesen Jahrzehnten wollte die deutsche Minderheit eine Wiedervereinigung mit Deutschland bewirken. Dabei muss man bedenken, dass dies nicht nur im physischen Sinne gedacht war. Auch im Geistigen setzte man alles daran, Teil der deutschen Volksgemeinschaft zu bleiben und übernahm deswegen auch neue kulturelle und politische Impulse aus Deutschland. Wohin dies führte, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Ausführung.

Fakt ist, dass man sich in dem genannten Zeitraum weder damit anfreunden konnte, ein Teil Dänemarks zu sein, noch ein Teil der dänischen Gesellschaft.
Gerade deswegen ist die Haderslebener Erklärung vom 11. November 1943 so bedeutend für die deutsche Minderheit. Gerade auch für das Verhältnis zur dänischen Mehrheitsbevölkerung. Sie ist eine erste zarte Pflanze, die eine mögliche Neuausrichtung der deutschen Minderheit dokumentiert. Auch wenn sie nicht während des Krieges veröffentlicht wurde.
Was aber steht nun in der Erklärung, und wie unterscheidet sie sich von den offiziellen Haltungen der deutschen Minderheit bis Ende des Zweiten Weltkriegs?
An erster Stelle stand für die Personen des Haderslebener Kreises das Festhalten an  deutschem Volkstum und deutscher Kultur. Dies ist in dem Sinne kein Widerspruch zur vorherigen Ausrichtung der deutschen Minderheit. Aber schon das Bekenntnis zur Demokratie ist eine 180-Grad-Wendung, denkt man an die Ausrichtung hin zum Nationalsozialismus.

Die Haderslebener Erklärung hat große Bedeutung für die deutsche Minderheit, die sich nach 1920 bis 1945 nicht damit anfreunden konnte, ein Teil Dänemarks zu sein. Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Auch die folgenden Punkte stehen im Gegensatz zur vorherigen Ausrichtung der deutschen Minderheit. Dies wären die absolute Loyalität gegenüber den dänischen Mitbürgern, Betonung der Gemeinsamkeiten beider Bevölkerungsgruppen, Anerkennung des Lebens- und Bestimmungsrechts der dänischen Bevölkerung Nordschleswigs und die Anerkennung der Grenze von 1920.

 

Des Weiteren wird in der Haderlsebener Erklärung auf das Existenzrecht der deutschen Minderheit und dessen Autonomie im kulturellen, kirchlichen und schulischen Leben eingegangen. Dazugehörig auch die Beteiligung am politischen Leben im demokratischen Rahmen.
Die Ausführungen zum Existenzrecht der deutschen Minderheit lassen auf eine Befürchtung der Männer des Haderslebener Kreises schließen. Man befürchtete, dass nachdem Deutschland den Krieg verloren hatte, alle Angehörigen der deutschen Minderheit aus Dänemark ausgewiesen werden könnten. Diese Befürchtung war nicht ganz unbegründet, schaut man auf die Forderungen extremer nationalistischer Kreise bei Ende des Krieges.

Im groben Ganzen gehen die inhaltlichen Punkte der Haderslebener Erklärung in die Gründungserklärung des Bundes Deutscher Nordschleswigers vom 22. November 1945 ein.

Die Inhalte der Haderslebener Erklärung waren bei der Gründung des BDN sicherlich nicht unumstritten. Auch entstanden sie unter dem Eindruck der absehbaren Niederlage Deutschlands. Trotzdem konnten sie sich im November 1945 durchsetzen und schufen damit das Fundament der deutschen Minderheit nach 1945.

Ob und wie weit sich die Ideen der Haderslebener Erklärungen nach dem Krieg durchgesetzt hätten, wenn alle führenden Personen aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht inhaftiert gewesen wären, ist fraglich. Zum Glück für Minderheit und Grenzland haben sich diese Ideen aber durchgesetzt.

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