Krieg

Zu Weihnachten vermisst Tetiana Bolotova aus der Ukraine ihre Heimat besonders

Zu Weihnachten vermisst Tetiana Bolotova aus der Ukraine ihre Heimat besonders

Zu Weihnachten vermisst Tetiana ihre Heimat besonders

Doris Smit/shz.de
Arnis
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Tetiana Bolotova ist dankbar dafür, wie sie und ihre Familie in Kappeln und Arnis aufgenommen wurden. Foto: Doris Smit

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Zehn Monate ist es jetzt her, dass Putin die Ukraine überfiel. Kurz darauf packte Tetiana Bolotova acht Kinder und die nötigsten Dinge und floh über die polnische Grenze. Seit Mitte März lebt sie in Arnis. Sie erzählt, wie es ihr geht – hier in Deutschland, aber auch, wenn sie an ihre Heimat denkt.

Im vergangenen Jahr hat sie Weihnachten noch in ihrem Haus in Kramatorsk gefeiert. Die Stadt mit 160.000 Einwohnern liegt in der Oblast Donezk im Osten der Ukraine. „Es gab Salat. Olivje. Das ist Tradition bei uns“, sagt Tetiana Bolotova. Sie spricht Russisch, wie es im Osten der Ukraine weit verbreitet ist. Mara Lepejyan aus Kappeln übersetzt für sie.

Tetiana Bolotova lächelt, wenn sie an das Weihnachtsfest 2021 zurückdenkt. Sie hat neun Kinder, und sie ist geschieden. Als der Krieg am 20. Februar 2022 begann, hat sie nicht lange überlegt. Acht ihrer Kinder durften am 19. März mit ihr ausreisen. Ihr ältester Sohn war bereits 19 und musste in der Ukraine bleiben.

Der älteste Sohn musste zurückbleiben

Sofort, wenn sie zurückdenkt und davon erzählt, kommen der Mutter die Tränen. „Was sollte ich machen? Ich musste doch für die anderen Kinder sorgen, ich hatte keine Wahl“, sagt sie, immer noch verzweifelt. In einer Kirche hatte sie ihren Sohn damals untergebracht und ist mit den anderen Kindern im Alter zwischen neun und 17 Jahren losgefahren. Mit dabei war auch ihre Schwester mit deren beiden Kindern.

Richtung Polen ging es, erinnert sich die 42-Jährige. An der polnisch-ukrainischen Grenze war viel los, aber sie hatten diese beiden Männer mit dem Transporter getroffen. Zwölf Personen konnten mit. Das passte. „Sie haben uns einfach mitgenommen. Das war ein Wunder“, sagt Tetiana Bolotova.

Wohin die Reise ging, war zweitrangig. Arnis, Kappeln, Schlei? „Ich habe vorher nicht gar viel über Deutschland gewusst. Ich bin nie aus meiner Heimat rausgekommen. In dem Moment war das auch egal. Hauptsache war, dass es am Ende den Kindern gut geht“, sagt sie und lacht erleichtert.

Glücklich und gut versorgt in Arnis

Und denen gehe es richtig gut, berichtet sie weiter: „Sie sind sehr, sehr glücklich.“ Arnis sei sehr schön, inzwischen leben sie in einer Vier-Zimmer-Wohnung, sie hätte nie gedacht, dass sie hier so warmherzig aufgenommen und so gut versorgt werden würden – mit Lebensmitteln, Kleidung und allem, was sie brauchen. „Die Menschen kümmern sich so gut um uns, ich bin sehr dankbar. Ich möchte im Moment gar nicht wieder weg und die Kinder auch nicht“, sagt sie. Wieder hat sie Tränen in den Augen.

Die Kinder gehen zur Schule und sprechen schon recht gut Deutsch, auch weil sie Freunde gefunden haben. Tetiana Bolotova übt ebenfalls die Sprache und kann sich gut vorstellen, in Deutschland zu arbeiten. Sie hat, bevor sie Mutter wurde, als Kranführerin gearbeitet, erklärt die Übersetzerin. Hemmungen vor großen Maschinen und Höhe habe sie keine.

So sehr Tetiana Bolotova sich über das Leben, das sie hier führen darf, freut, so sehr bewegt sie der Gedanke an ihre Heimat. Sie ist froh, Kontakt zu ihrem Sohn zu haben, der mehrfach vergeblich versucht hat, das Land zu verlassen und zu seiner Familie zu kommen. Inzwischen lebt er wieder im Haus, das noch steht. Auch muss er noch nicht kämpfen, sondern kann sein Studium weiterführen.

Aber seiner Mutter fehlen auch die Verwandten und Freunde. Viele haben zurzeit keine Heizung, keinen Strom. „Es gibt viel Ungewissheit.“ Sie denkt an die Temperaturen, die jetzt in der Ostukraine herrschen und holt tief Luft: „Minus 17, 18 Grad sind jetzt normal. Ich habe Angst um die Menschen. Wenn ich an sie denke, tut mir das Herz weh.“ Ihre Zerrissenheit ist zu spüren: Dankbarkeit einerseits, Heimweh andererseits. Und irgendwann möchte sie doch zurück nach Kramatorsk.

Tetiana Bolotova steht in Ellenberg vorm Begegnungszentrum, in dem die Kappelner Tafel ihre Ausgabestelle hat. Sie kommt regelmäßig her und freut sich, dass sie hier gute Lebensmittel bekommt und viele Menschen trifft. Am 23. Dezember, dem letzten Ausgabetag vor Weihnachten, gibt es für die Tafel-Kunden Weihnachtsgeschenke. Die Deutsche Vermögensberatung Kappeln hat gerade 1500 Euro gespendet, Michael Mingers hat die Spende übergeben – dafür gibt es Stollen und Kaffee, auch für das Weihnachtsfest der Familie Bolotova.

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