Vor 175 Jahren in Nordfriesland

Wie die Schriftsteller Johann Georg Kohl und Theodor Mügge Nordfriesland erlebten

Wie die Schriftsteller Johann Georg Kohl und Theodor Mügge Nordfriesland erlebten

Wie die Schriftsteller Johann Georg Kohl und Theodor Mügge Nordfriesland erlebten

SHZ
Nordfriesland
Zuletzt aktualisiert um:
Die Schriftsteller Johann Georg Kohl und Theodor Mügge entdeckten Nordfriesland vor 175 Jahren und waren insbesondere von den Halligen und der Sprache fasziniert. Foto: Bilder: Wikipedia / Montage: S.Petersen Foto: 90037

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Wie die Schriftsteller Johann Georg Kohl und Theodor Mügge Nordfriesland erlebten und die Region bekannt machten.

Sie gehörten zu den produktivsten Schriftstellern ihrer Zeit. Wohl mindestens 40 oder gar 50 Bücher hat jeder von ihnen veröffentlicht. Sie reisten viel. Ihre Beschreibungen von Land und Leuten sind von genauen Beobachtungen und Recherchen geprägt, farbig, unterhaltsam, bisweilen voller Ironie und Sarkasmus, häufig untermalt von ihrer freiheitlichen Gesinnung. Die Rede ist von Theodor Mügge und Johann Georg Kohl.

Ungewöhnliche Seiten Nordfrieslands

Vor 175 Jahren kamen sie, wohl ohne voneinander zu wissen, nach Nordfriesland. Im Jahr 1846 erschienen ihre Beschreibungen, die man noch heute mit Gewinn und manchmal mit einem Schmunzeln liest. Sie führen uns in eine vergangene Zeit, aber manche ihrer Bemerkungen sind überraschend aktuell geblieben. Als Außenstehende erkennen die beiden Männer so manche ungewöhnliche Seite Nordfrieslands, die den hier Lebenden ganz alltäglich erscheint.

Mitbegründer der Berliner Nationalzeitung

Theodor Mügge, geboren als Kaufmannssohn 1802 in Berlin, zog es bereits als Zehnjährigen in die Ferne, nach Russland. Doch er wurde in sein Elternhaus zurückgebracht und absolvierte eine Kaufmannslehre. Er hörte vom peruanischen Aufstand gegen die Spanier und wollte an der Seite Simon Bolivars kämpfen, aber der hatte bereits gesiegt. Nun holte Theodor das Abitur nach und studierte in Berlin und Jena Geschichte, Philosophie und Naturwissenschaften. Er arbeitete als Journalist, engagierte sich für liberale Reformen und war zum Beispiel 1848 an der Gründung der Berliner Nationalzeitung beteiligt. Er starb mit 58 Jahren in Berlin an einer Gürtelrose am Kopf.

Die Entdeckung der Neuen Welt

Johann Georg Kohl, 1808 in Bremen geboren, Sohn eines Weinhändlers, traf in seinem Elternhaus weitgereiste Verwandte und Kaufleute, sodass schon früh seine Reiselust geweckt wurde. Sein Jura-Studium musste er nach dem Tod seines Vaters abbrechen. Er ging als Hauslehrer ins lettische Kurland, bereiste das Baltikum und Russland, veröffentlichte umfangreiche Bücher darüber – und hatte seine Mission gefunden.

Weiterlesen: Kulturelle und wirtschaftliche Einflüsse der Niederlande auf Nordfriesland

Von 1838 an erkundete er von seinem Wohnort Dresden aus viele europäische Länder. Später hielt er sich vier Jahre in Nordamerika auf. Seine große Sammlung von Karten und Materialien zur Entdeckung der Neuen Welt befindet sich als „Kohl Collection“ noch heute in der „Library of Congress“ in Washington. Ab 1863 wirkte er in Bremen als Stadtbibliothekar und veröffentlichte später Essays zur praktischen Lebensweisheit. Mit 70 Jahren starb er in seiner Heimatstadt.

Faszination Halligbewohner

Theodor Mügge publizierte sein Buch „Streifzüge in Schleswig-Holstein und im Norden der Elbe“ in zwei Bänden 1846 in Frankfurt am Main. Johann Georg Kohl veröffentlichte sein dreibändiges Werk „Die Marschen und Inseln der Herzogthümer Schleswig und Holstein“ im selben Jahr in Dresden und Leipzig. Beide Bücher machten Nordfriesland und die Nordfriesen im deutschen Bildungsbürgertum bekannt.

Weiterlesen: Wie Knut Kiesewetter von Bohmstedtfeld aus eine nordfriesische Musikszene erschuf

Mügge ist fasziniert von der Halligwelt. Zur Hallig Südfall, bewohnt von einer „einsamen Friesenfamilie“, notiert er seine Einsicht, „wie wenig der Mensch zum Glück bedarf“. Selbst der Bewohner der Blumentäler Indiens hänge „nicht mit solcher Liebe an seiner schönen Heimat wie der Halligbewohner an seinem Eiland. Man muss hier geboren sein, um hier leben zu können, um nicht zu verzweifeln und wahnsinnig zu werden.“ Auch Kohl ist beeindruckt von den Halligen und dem „unausgesetzten Ringen“ ihrer Bewohner mit dem Meer. Da sie jährlich kleiner werden, hält er sie für dem „gewissen Untergange geweiht“.

Besonderheit der friesischen Sprache

Beide Schriftsteller sehen eine Besonderheit Nordfrieslands in der friesischen Sprache. Große Teile des friesischen Gebiets habe das Meer bereits „verschlungen“, schreibt Theodor Mügge, zudem habe „die deutsche Sprache die friesische überwältigt“. Diese werde „umso sicherer einst gänzlich untergehen, weil sie niemals zur Schriftsprache geworden ist, nie Bedeutsamkeit im Wissen und Verkehr des Menschenlebens gewonnen hat und keinen Teil erstrebte an der Kulturentwicklung desselben. Absterbend und verkümmernd im Wellengebraus der Westsee wird sie höchstens noch von 40.000 Menschen gesprochen, die früh schon deutsch oder dänisch lernen müssen, wenn sie ihren Nachbarn verständlich werden und ihre engbegrenzte Heimat verlassen wollen.“

Bedrohung und Erhalt der friesischen Sprache

Johann Georg Kohl schildert ebenfalls die Bedrohung der friesischen Sprache, aber auch Bemühungen um ihren Erhalt, und er stellt eine Verbindung zu anderen Regionen Europas her: „Man verfährt in den friesischen Marschen ganz so wie in den kroatischen, illyrischen und slawonischen Grenzgebieten, wie in Wales, wie in den schottischen Hochlanden, wie in dem irischen Westen und anderen Ländern.“ Und weiter: „Ich kenne keine Sprache, die Sprachen der kaukasischen Gebirgsvölker vielleicht ausgenommen, welche so viele ganz verschiedene Dialekte hätte. Es liegt etwas Eigenes, Hochtönendes, Kräftiges und Energisches in dieser friesischen Sprache.“

Weiterlesen: Friesisch – ein Stück Heimat, Identität und absolut abhörsicher

Auf Amrum trifft Kohl den Pastor Lorenz Friedrich Mechlenburg, der den friesischen Wortschatz sammelt. „Er sagte, er entdecke noch täglich im Gespräch mit seinen Amrumern Worte, die ihm nicht bekannt seien, es gehe ihm wie einem Insektenhascher auf den Wiesen. Es gebe Worte, die nur selten erschienen, und passe man da nicht auf, fange man sie nicht gleich ein und fixiere sie durch die Schrift, so flögen sie wie Schmetterlinge davon und kämen so bald nicht wieder.“

Die Glorifizierung der Friesen

Vereinzelt gehe die Begeisterung für das Friesische indes in eine „Friesomanie“ über. Kohl nimmt namentlich den Amrumer Schriftsteller Knut Jungbohn Clement aufs Korn, dessen Werk er „allzu patriotisch“ nennt. Clement glorifiziere die Friesen als die „reinsten“ Germanen und verorte sogar den „Gipfel und die Blüte der Menschheit“ auf seiner Heimatinsel Amrum.

Die friesische Marsch und deren Unterschied zur Geest wird von beiden eindrücklich beschrieben. Kohl lässt seine Kutsche bei Bredstedt halten, und zwar so, dass die Pferde mit den Füßen schon in dem klebrigen Marschboden stecken, während die Hinterräder noch auf dem sandigen, trockenen Geestweg stehen.

Ihm fällt auf: „Der Gegensatz zwischen Marsch und Geest wird hier zu Lande immer besprochen und beschäftigt alle Leute. Einem rechten Marschbewohner zerfällt fast die ganze Welt in Geest und Marsch.“ Die Marschlandschaft sehe aus, „als wenn hier das wahre Geburtsland des englischen Sprüchworts ‚my house is my castle‘ sein müsste, und gewiss steckt viel von dem Geiste, der in diesem Sprüchwort angedeutet ist, in den Friesen.“

Weiterlesen: 1919/20: Vor der Abstimmung entzweit der Streit um die Grenze die Friesen

Ganz ähnlich sieht es Theodor Mügge: „In dem deichverschlossenen Lande, das wie eine feste Burg hinter starken Wällen liegt, konnte sich die Bauernfreiheit lange Zeit der Knechtschaft erwehren.“ Auf dem „fetten, schwarzen Kleiboden“ der Marsch schieße jedes Samenkorn üppig auf und trage reiche Früchte. „Alles, was nicht Marsch heißt, ist Geest, und die Leute in der Marsch, stolz auf die Güte ihres Landes, blicken mit solcher Geringschätzung auf die mindere Fruchtbarkeit der Höhen, dass man wohl die Worte eines alten Bauers begreifen kann, der zu seinem reiselustigen Sohn einst sagte: ‚Mein Sohn, dies ist die Marsch; die ganze übrige Welt ist nur Geest; was willst du Narr also ins wüste Land hinausgehen?‘“ Mügge fährt fort: „Der Marschhofbesitzer ist ein Herr, der es nicht nötig hat, im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten.“ Er gleiche „weit eher einem Löwen der Salons oder einem Pascha als einem Bauernsohne“.

Von Theodor Storm durch die Hattstedtermarsch geführt

Theodor Mügge ließ sich bei seinem Nordfriesland-Besuch übrigens von dem Husumer Rechtsanwalt Theodor Storm, damals als Dichter noch unbekannt, durch die Hattstedtermarsch führen. Seine Eindrücke verarbeitete er nicht nur in den „Streifzügen“, sondern auch in der Novelle „Sam Wiebe – ein Lebensbild aus der Marsch“. Und Storm fand hier den Stoff für sein großes Alterswerk „Der Schimmelreiter“.

Kohl und Mügge schildern die verschiedenen Teile Nordfrieslands, das es als Einheit damals noch nicht gab, beschreiben deren Broterwerb, Bräuche und Traditionen. Vor allem die Föhrer, Amrumer und Sylter neigten dazu, so bemerkt Kohl, sich „als besondere kleine Nationen von dem größeren Stamme ausscheiden zu wollen“. Mügge wird auf den tragischen Lebenslauf des Sylter Friesen Uwe Jens Lornsen aufmerksam und lässt sich zu seinem erfolgreichen Roman „Der Vogt von Silt“ inspirieren. In diesem 1851 erschienenen Buch prägte er ein weiteres Bonmot, dessen Bedeutung sich für Sylt und die ganze nordfriesische Küste bald vollgültig erweisen sollte: „Legt Seebäder an, und eure Möwen und Seeschwalben werden goldene Flügel bekommen!“

Mehr lesen

Kulturkommentar

Claudia Knauer
Claudia Knauer
„Verbindlich – Unverbindlich“