Friesische Minderheit

Wie die friesische Sprache auf die Ortstafeln kam und die Bundesrepublik die Friesen „entdeckte“

Wie die friesische Sprache auf die Ortstafeln kam

Wie die friesische Sprache auf die Ortstafeln kam

Thomas Steensen/shz.de
Bredstedt
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Deutsch-friesische Ortstafel in Dagebüll. Foto: Thomas Steensen/shz.de

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Lange führte die friesische Minderheit in Deutschland ein Mauerblümchendasein. Inzwischen sind zumindest friesische Namen als Zusatz auf den Ortstafeln vermerkt. Finanzielle Mittel vom Bund bleiben aber weiter spärlich.

Es war nur eine Äußerlichkeit, hatte aber symbolische Bedeutung: Vor 25 Jahren erlaubte der damalige schleswig-holsteinische Verkehrsminister Peer Steinbrück, später Kanzlerkandidat der SPD, dass auf den Ortstafeln in Nordfriesland die friesischen Namen hinzugefügt werden durften. Kurz danach gab es für die Nordfriesen eine weitere wichtige Wende, diesmal in Bonn: Der Deutsche Bundestag beschloss das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, und dieses galt auch für die Friesen. Um die Bedeutung beider Ereignisse zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte notwendig.

Eindeutschung von Minderheiten als Ziel

Insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren war es in Schleswig-Holstein und Deutschland das politische Ziel gewesen, die Friesen „einzudeutschen“ und jede Entwicklung zu einer eigenen Minderheit zu verhindern. Überdies wurden die friesischen Bestrebungen für die Bewahrung der eigenen Sprache und Kultur lange überschattet vom deutsch-dänischen Gegensatz. Staatliches Handlungsziel war es, das „Deutschtum“ der Friesen zu stärken und etwaige Sympathien für Dänemark zu bekämpfen. Ein Eigenwert wurde dem Friesischen nicht zugewiesen.

Friesen wurden nicht als Faktor wahrgenommen

Das „Minderheiten-Modell“ im deutsch-dänischen Grenzland, das sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete, galt nur für die deutsche Minderheit in Nord- und die dänische Minderheit in Südschleswig. Diese beiden Minderheiten waren auch Faktoren in der zwischenstaatlichen Politik und erhielten erhebliche Geldmittel. Die Friesen hingegen wurden von den deutschen staatlichen Stellen nicht als eigener Faktor wahrgenommen und führten eher ein Mauerblümchendasein.

Regionalismus gewinnt an Bedeutung

Vor allem seit den endenden 1960er Jahren gewann der Regionalismus in Europa an Bedeutung. Kleine Sprachen und Kulturen, kleine Völker und Minderheiten wurden vielfach nicht mehr vorrangig als Bedrohung, sondern als kultureller Reichtum angesehen. Minderheiten-Organisationen hatten solche Gedanken schon lange vertreten, insbesondere die 1949 gegründete Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), zu deren Mitbegründern der Nordfriese Frederik Paulsen gehörte.

Umdenken auch in Schleswig-Holstein

Auch in Schleswig-Holstein setzte ein Umdenken ein. Als hier der deutsch-dänische Gegensatz nachließ, besannen sich die Nordfriesen auf gemeinsame Ziele, stellten Forderungen und fanden Widerhall in der Landespolitik. Als ein Markstein kann der 1990 neu gefasste Artikel 5 in der Verfassung des nördlichsten Bundeslandes gewertet werden. Erstmals wurde darin neben der dänischen Minderheit auch der friesischen Volksgruppe „Anspruch auf Schutz und Förderung“ zugesprochen.

Die Sorben als Vorbild

Das Jahr 1990 brachte auch die Vereinigung Deutschlands – und nun gehörte zur Bundesrepublik mit den Sorben in der Lausitz eine Minderheit, die manche Ähnlichkeit mit den Friesen aufwies. Denn die Sorben stellen genauso wie die Friesen eine Gruppe ohne Staatsvolk dar. In der Verfassung der DDR hatten sie sich auf Minderheitenrechte beziehen können. Im Einigungsvertrag wurde den Sorben eine kontinuierliche Unterstützung durch den Bund zugesichert. In ihrem Bemühen um eine Förderung durch die Bundesrepublik nahmen sich die friesischen Vereinigungen Nordfrieslands nun die Sorben zum Vorbild.

Vertragswerke des Europarats

Zur selben Zeit begann die Diskussion um zwei Vertragswerke des Europarats, die für viele kleine Sprachen und Minderheiten Europas, nicht zuletzt für die Friesen, wichtig werden sollten: die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten.

Friesische Sprache herablassend betrachtet

Mit der Charta sollten kleine Sprachen als Bestandteil des europäischen Kulturerbes geschützt und gefördert werden. Es zeigte sich jedoch, dass das deutsche Auswärtige Amt hierin nur zwei Minderheitensprachen berücksichtigen wollte: Dänisch und Sorbisch. Die friesische Sprache dagegen wurde herablassend als „Deich-Dänisch“ oder „Dünen-Platt“ betrachtet.

Empörte Stellungnahmen der friesischen Vereinigungen

Vertreter friesischer Vereinigungen und Einrichtungen wandten sich mit empörten Stellungnahmen an die Öffentlichkeit. „Rote Karte für Bonn!“, hieß es in einer Erklärung des Friesenrats. Die ablehnende Haltung der Bundesregierung sei für die Friesen ein „Schlag ins Gesicht“, kommentierte shz-Redakteur Jörg von Berg damals. Die Süddeutsche Zeitung wählte für ihren Bericht die Überschrift „Friesenzorn“.

Grünes Licht für die Aufnahme in die Charta

Schnell gab die Bundesregierung dann doch grünes Licht für die Aufnahme der friesischen Sprache in die Charta, und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten wurde auch auf die Friesen angewendet. Beides war von grundlegender Bedeutung: Durch die Charta wurde Friesisch als zu fördernde Minderheitensprache anerkannt, durch das Rahmenübereinkommen waren die Friesen nun den nationalen Minderheiten gleichgestellt.

Nur äußerst spärliche Bundesmittel

Erst aufgrund zweier Initiativen auf europäischer Ebene „entdeckte“ also die Bundesrepublik die Friesen. Bald darauf wurden erstmals Bundesmittel für friesische Vorhaben zur Verfügung gestellt. Bis heute blieben sie allerdings äußerst spärlich und überdies auf zeitlich befristete Projekte beschränkt.

Schon lange hatten sich Nordfriesen dafür eingesetzt, ihre so lange vernachlässigte Sprache auf den Ortstafeln sichtbar zu machen. Auch diese Forderung erhielt Auftrieb durch die deutsche Vereinigung 1990. Denn die Sorben in der DDR konnten ihre Sprache schon lange auf den Ortsschildern lesen, und dies wurde ihnen nun auch in der Bundesrepublik gestattet.

Friesische Namen als Zusatz auf den Ortstafeln

Trotzdem lehnte das Bundesverkehrsministerium Entsprechendes für die Friesen entschieden ab. Der damalige Staatssekretär Norbert Lammert, später Bundestagspräsident, erklärte, solche Tafeln seien weder rechtlich zulässig noch wünschenswert. In der Zeitschrift „Nordfriesland“ wurde dies als „Schildbürgerstreich“ bezeichnet. Im schleswig-holsteinischen Verkehrsministerium fand man dann aber vor 25 Jahren einen Ausweg: Die friesischen Namen durften nun als Zusatz doch erscheinen, ähnlich wie zum Beispiel Lübeck „Hansestadt“ auf die Ortstafeln schreiben konnte.

Bereits kurz danach machten Gemeinden von der neuen Möglichkeit Gebrauch, zuerst Kampen auf Sylt – Kaamp – und als erste Stadt Bredstedt – Bräist. Heute zeigen viele Ortstafeln auch die friesischen Namen. Husum, immerhin Kreisstadt der Nordfriesen, verweigerte sich diesem Ansinnen allerdings mehrfach.

Landesbehörden müssen auch auf Friesisch beschildern

Die friesische Sprache ist inzwischen an vielen Stellen sichtbar geworden. Das Friesisch-Gesetz von 2004 schrieb vor, dass Landesbehörden auch auf Friesisch zu beschildern sind. Seit einiger Zeit erscheinen die friesischen Ortsnamen auf Wegweisern.

So gab es vor einem Vierteljahrhundert wichtige Wegmarken für die Friesen und ihre Sprache: Zwei europäische Vertragswerke, die in Deutschland als Bundesgesetze gelten, brachten die juristische Gleichstellung. Und die friesische Sprache, manchmal als „bestgehütetes Geheimnis der Bundesrepublik“ bezeichnet, wurde erstmals im öffentlichen Leben erkennbar. Nach langer Durststrecke schien es voranzugehen.

Die in Deutschland am schlechtesten gestellte Minderheit

In jüngster Zeit allerdings wird, so scheint es, eher der Rückwärtsgang eingelegt. In Deutschland sind die Friesen die finanziell weitaus am schlechtesten gestellte Minderheit. Die vom Bund gewährten „Projektmittel“ entstammen eher der Portokasse. Der öffentlich-rechtliche Norddeutsche Rundfunk sendet gerade einmal drei Minuten wöchentlich in friesischer Sprache und hält damit einen Minus-Rekord in Westeuropa. An den Schulen konnte mit großem Einsatz seit den 1980er Jahren ein fast flächendeckender Unterricht aufgebaut werden, aber auch hier ist in jüngster Zeit ein steiler Niedergang festzustellen.

Vorfahrt für Friesisch! Das hoffte so mancher vor 25 Jahren. Inzwischen scheint der Weg eher in eine Sackgasse zu führen. Oder?

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