Gesundheit

Was Sie über Vibrionen wissen müssen und für wen sie gefährlich sind

Was Sie über Vibrionen wissen müssen und für wen sie gefährlich sind

Was man über Vibrionen wissen muss

Katja Trippel/shz.de
Flensburg
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Steigt die Wassertemperatur der Ostsee auf mehr als 20 Grad, fühlen sich Vibrionen richtig wohl. Sie vermehren sich dann stark – und können gefährlich werden.  Foto: dpa

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„Killerkeime“ sind sie nicht. Aber manchen Menschen können sie sehr gefährlich werden. Wir haben Experten zu Fakten, aktuellen Zahlen und Gerüchten befragt.

Um bis zu drei Grad stiegen während der Hitzewellen im Sommer 2022 die Ostsee-Temperaturen in 50 Zentimeter Tiefe im Vergleich zum langjährige Mittel. Auch diesen Sommer werden sich einige Küstengewässer sehr wahrscheinlich auf über 20 Grad aufheizen. Bei Urlaubern kommt da Mittelmeerstimmung auf. Doch nicht nur sie mögen warmes Wasser. Auch Vibrionen.

Was sind Vibrionen?

„Vibrionen gehören zur natürlichen Bakterienflora der Ostsee“, erklärt Ulrich Bathmann, bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2022 Direktor des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde. Sie sind kommaförmig und vertragen nicht viel Salz: maximal um die 2,5 Prozent. Ihr Name leitet sich ab vom lateinischen „vibrare“ für zittern oder zucken – aufgrund ihrer Bewegungen unter dem Mikroskop.

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Von insgesamt rund 130 Arten können etwa ein Dutzend bei Menschen Krankheiten auslösen. Berüchtigt, aber bei uns kaum mehr vorhanden, ist Vibrio cholerae O1/O139, der Auslöser der Cholera. Vier potentiell gesundheitsschädliche nicht-Cholera-Vibrionen kommen in der Ostsee und nahen Brackwasser-Gewässern wie der Schlei oder der Kieler Förde vor.

Wie treffen Vibrionen auf Menschen?

„Die meiste Zeit des Jahres bleiben sie unauffällig“, sagt Ulrich Bathmann. „Steigt die Wassertemperatur allerdings mehrere Tage über 20 Grad, vermehren sie sich rasant und bleiben auch mehrere Wochen aktiv, selbst wenn das Wasser abkühlt.“ Die Strömung treibt die Bakterien durchs Meer. Schwimmen Mensch und Bakterium in den gleichen Wellen, können die mikroskopisch kleinen Bakterien über Wunden in den Körper eindringen.

Für wen sind Vibrionen gefährlich, für wen nicht?

Schon Ekzeme, kleine Hautrisse oder frisch gestochene Tattoos reichen Vibrionen als Eingangstor in den menschlichen Körper. „Das kann beim Schwimmen oder beim Barfuß-Waten passieren, etwa wenn man auf eine Muschel tritt und sich schneidet“, erklärt Axel Kramer, Leiter des Greifswalder Instituts für Hygiene- und Umweltmedizin. Größere Wunden erhöhen das Risiko einer Infektion.

Bei Menschen mit fittem Immunsystem kann sich eine befallene Wunde entzünden, vielleicht sogar eitern oder anschwellen. Bei Kindern lösen die Bakterien manchmal eine Mittelohrentzündung aus. Doch wer gesund ist, steckt die Attacke meist locker weg.

Nicht so Menschen mit weniger fittem Immunsystem oder Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus. Bei ihnen pocht meist wenige Stunden nach der Infektion ein lokaler Entzündungsschmerz auf, der angesichts der sichtbaren Wunde übertrieben stark erscheint.

Vibrionen: Bis hin zur Lebensgefahr bei geschwächtem Immunsystem

Der Körper reagiert mit Fieber oder Schüttelfrost, bei manchen bildet sich ein Hautausschlag. Wird die Infektion nicht schnellstmöglich mit starken Antibiotika behandelt, kann sich die Entzündung innerhalb weniger Stunden im gesamten Körper ausbreiten.

„Deshalb müssen Chirurgen schon im Anfangsstadium der Entzündung ziemlich drastisch hergehen und relativ viel Gewebe um die betroffene Stelle entfernen“, erklärt Axel Kramer. „Andernfalls können sich eitrige Abszesse bilden, auch dramatische Nekrosen. Manchmal hilft nur eine Amputation.“ Im schlimmsten Fall droht eine tödliche Sepsis.

Kramer hat in der Uniklinik Greifswald die Teams der Notaufnahme und der Chirurgie dafür sensibilisiert, beim geringsten Verdacht an eine Vibrionen-Infektion zu denken. „Das ist wichtig“, betont der Umweltmediziner. „Der Krankheitsverlauf kann so dramatisch schnell vonstattengehen, dass die Patienten innerhalb von 24 Stunden versterben. Mehr Informationen können da Leben retten.“

Wie viele Menschen infizieren sich mit Vibrionen?

Vorneweg: Jährlich planschen unzählige Menschen in der Ostsee, ohne dass irgendetwas passiert. Von „Killer-Keimen“ zu sprechen, wie es einige Medien nach bekannt gewordenen Infektion gerne tun, ist Panikmache. Doch auch zum Verharmlosen von Vibrionen besteht kein Anlass.

Laut Robert Koch-Institut (RKI) traten Mitte der 1990er Jahre in Deutschland sowie anderen Ostsee-Staaten die ersten Fälle auf. Die weitere Datenlage ist schwierig, denn bei Weitem nicht alle Vibrionen-Infektionen werden richtig diagnostiziert.

Außerdem gilt erst seit Anfang 2020 bundesweit eine Meldepflicht gemäß Infektionsschutzgesetz. „Das wird allerhöchste Zeit“, sagte 2021 Susann Dupke, Vibrionen-Expertin am RKI und ergänzt:

Die Infektionszahlen, die bislang durch die Medien kursieren, sind mehr als zweifelhaft. 2021 veröffentlichte Thomas Brehm vom Hamburger Uniklinikum Eppendorf in einer Studie erstmals Daten der Bundesländer mit Ostseestrand. Er kommt allein für die heißen Sommer 2018 und 2019 auf 63 Erkrankte, betont aber: „Sicher wurden deutlich mehr Infektionen diagnostiziert, doch lediglich diese sind uns bekannt.“

Brehm erfuhr außerdem von sechs Todesopfern. Alle litten unter Vorerkrankungen, waren aber fit genug, um schwimmen zu gehen. Es können auch mehr Todesfälle gewesen sein. „Von zahlreichen Patienten bekamen wir leider keinerlei klinischen Daten.“

Für 2020 sind dem Robert Koch-Institut insgesamt 13 Fälle bekannt. Brehm vermutet, dass diese verhältnismäßig niedrige Zahl auf die Corona-Reisebeschränkungen und weniger Meldungen zurückgeht. Für das Jahr 2021 wie für 2022 wurden dem RKI 29 Infektionen aus Deutschland gemeldet, bei mehreren weiteren fehlten Angaben zum Ort der Infektion.

Wird vor Vibrionen gewarnt?

Das hängt ab vom Bundesland. Die EU-Richtlinie 2006/7/EG zur Überwachung der Qualität von Badegewässern sieht keine Vibrionen-Überwachung vor, nur von E.coli Bakterien und Intestinalen Enterokokken. Vibrionen nachzuweisen ist aufwändig, es gibt auch keine Grenzwerte.

„Die machen wenig Sinn“, sagt Gudrun Petzold vom Gesundheitsministerium Schleswig Holstein. „Ob ein Mensch erkrankt, hängt viel mehr von seinem Immunsystem ab als von der Zahl der Vibrionen im Wasser.“ In Schleswig-Holsteins Badeorten findet daher kein systematisches Testen statt. Im Internet bietet die Behörde nur allgemein gehaltene Informationen über Vibrionen an.

Relevantere Ansprechpartner seien lokale Ärzte, damit die ihre Risikopatienten warnen, im Sommer nicht mit Wunden ins Wasser zu gehen, so Petzold. „Warum sollten wir mehr Panik machen?“, fragt sie und fährt fort:

Mecklenburg-Vorpommern fährt eine andere Strategie. „Im Sommer testen wir an sieben ausgewählten Badestellen mindestens alle vierzehn Tage auf Vibrionen, bei Verdacht auch öfter“, versichert Anja Neutzling, Pressesprecherin des Landesamts für Gesundheit und Soziales. „Insofern ist es kein Wunder, dass unsere Küsten häufiger in den Medien auftauchen. Aber wir spielen lieber mit offenen Karten.“

Können wir uns gegen Vibrionen schützen?

Zuerst ganz praktisch: Risikopersonen sollten mit Wunden nicht baden. Beim Kampf gegen Vibrionen ist ansonsten klar: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. „Heiße Sommer mit warmen Ostsee-Temperaturen verbessern die Wachstumsbedingungen für Vibrionen enorm“, prognostiziert Matthias Labrenz. „Wir sollten da besser wachsam sein.“

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