Infrastruktur

Was an Deutschlands Fernradwegen besser werden sollte

Was an Deutschlands Fernradwegen besser werden sollte

Was an Deutschlands Fernradwegen besser werden sollte

Christian Schwägerl/shz.de
Flensburg
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Reisen für Radler: Vom Sporturlaub bis zur Familientour Foto: Jens Büttner/shz.de

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Überfüllte Flughäfen und Züge, drohende Energieknappheit, Klimakrise – alles spricht für Radurlaub. Doch nach Tausenden Kilometern quer durch Deutschland hat unser Autor eine lange Wunschliste für bessere Fernradwege.

Gestrichene Flüge, überfüllte Züge, Wassermangel am Mittelmeer – Fernreisenden kann auch im Sommer 2022 schnell die Freude am Urlaub vergehen. Zudem droht ein schlechtes Gewissen: Für den Flug nach Mallorca Kohlendioxid in die Luft blasen, während eine Hitzewelle die andere jagt?

Um all dem zu entgehen, setze ich mich seit vielen Jahren im Urlaub aufs Fahrrad. Radurlaube sind sehr populär. 2019 haben laut ADFC-Radreise-Analyse insgesamt 5,4 Millionen Deutsche eine Radreise mit mindestens drei Übernachtungen unternommen.

Schlechte Fahrrad-Infrastruktur sorgt für Frust

Doch dass die umweltfreundlichste Reiseart auch garantiert stressfrei ist, lässt sich nicht bestätigen. Das liegt an der vielerorts noch immer schlechten Fahrrad-Infrastruktur. Im Gegensatz zu den liebevoll gepflegten Autobahnen und Bundesstraßen werden nämlich ausgerechnet die Wege für Menschen, die zum deutschen Klimaziel beitragen, vernachlässigt.

Ich bin in den vergangenen Jahren viele verschiedene Radwege gefahren: Isarradweg, Innradweg, Bodenseeradweg, Havelradweg, Elberadweg, Heideradweg, Weserradweg, Allerradweg, Nordseeradweg.

Auf meinen langen Touren habe ich viele wunderbare Strecken erlebt und dabei oft dankbar an die Menschen gedacht, die solche Radwege planen, gestalten und unterhalten. Etwa an der Havel westlich von Werder, wo ich auf Flüsterasphalt durch die wunderbare Flusslandschaft zischte und an keiner Kreuzung überlegen musste, ob ich nun rechts oder links abbiegen soll, weil alles gut ausgeschildert war.

Unter dem Strich überwiegt aber eine andere Erfahrung: Es gibt noch viel zu tun, wenn Fernradwege einladend, sicher und komfortabel sein sollen. Sehr viel. Deshalb habe ich eine Liste der Missstände gemacht, die mir unterwegs aufgefallen sind, und zugleich Ideen notiert, wie man sie beseitigen könnte.

Problem 1: Selbst die besten Fernradwege enden am Ortsschild

Man gleitet als Radfahrer dahin und freut sich darüber, wie glatt alles auf einem gut ausgebauten Fernradweg läuft – bis man an das nächste Ortsschild kommt. In Hunderten Ortschaften, durch die ich geradelt bin, werden Radfahrer auf enge Wege mit Fußgängern gepfercht, mit Einfahrtswellen, Schlaglöchern und hohen Bordsteinkanten konfrontiert. Ihnen werden Fahrbahnbeläge zugemutet, die deutlich mehr Kraft erfordern als Asphalt.

Im Gegensatz zu Autos haben die meisten Fahrräder keine Stoßdämpfer. Bürgermeister sollten wissen: Ihre Orte brennen sich bei den Durchreisenden mit Schlägen in die Weichteile ins Gedächtnis.

Es herrscht verkehrte Welt in den meisten Ortschaften, durch die Fernradwege verlaufen. Radfahrer bekommen all die Hindernisse zugemutet, die eigentlich auf den dörflichen und städtischen Hauptstraßen nötig wären, um motorisierten Rasern entgegenzuwirken.

Vorschlag 1: Pop-up-Radwege in jeder Ortschaft

Ein Fernradweg ist nur so gut wie der Radweg in den Ortschaften, durch die er führt. In diesem Sommer haben Städte in ganz Europa vorgemacht, wie man effektiv sichere Radwege schafft. Dafür muss nicht die halbe Ortschaft aufgebuddelt und alles mit einem Luxusanstrich versehen werden. Es reicht, einen Teil der Straße für eine mit Plastikelementen geschützte Fahrrad-Fahrbahn abzutrennen – fertig ist der „Pop-up-Radweg“.

Warum nicht auch auf dem Land? Das nützt nicht nur den Radlern. Wer als Kommunalpolitiker verhindern will, dass Kinder aus dem Ort unter die Räder kommen, kann nichts Besseres tun, als die Raser runterzubremsen.

Die Institutionen, die Fernradwege einrichten und betreuen, sollten nicht ruhen, bis die Kommunen mit ihnen an einem Strang ziehen. Vielleicht müssen sie im Notfall drohen: Wenn ihr nichts tut, legen wir die Route anders.

Problem 2: Zu kleine und zu wenige Wegweiser

Im Kalten Krieg gab es Vorbereitungen dafür, die Straßenbeschilderung mit Wegweisern so zu ändern, dass sich die einmarschierenden Russen verfahren würden. Auf weiten Strecken der deutschen Fernradwege kann man den Eindruck gewinnen, auch die Fahrradfahrer sollen derart in die Irre geführt werden. Die Schilder, die Fernradwege anzeigen, sind durchweg zu klein und zu wenig.

Das führt dazu, dass man an eine Kreuzung kommt und erstmal ein paar Minuten rätseln muss, wie es weitergeht. Und es kann unglaublich nervtötend sein, wenn man abends schon müde ist oder einfach nur schnell ans Ziel kommen will und dann erst nach langem Suchen das kleine Schildchen unter Efeu an einem schwer einsehbaren Zaun findet.

Vorschlag 2: Dreimal so viele Schilder

Die Lösung ist ganz einfach: Die Planer von Fernradwegen sollten Schilder nutzen, die so groß sind wie ganz normale Wegweiser – und mindestens zwei- bis dreimal so viele von ihnen entlang ihrer Strecken anbringen als bisher. Beim Planen der Positionen sollten die Mitarbeiter am besten mit dem Fahrrad unterwegs sein, dann verstehen sie ganz von selbst, wo Bedarf besteht.

Problem 3: Wegweiser zeigen meist nur das nächste Dorf

Wenn wir schon bei Wegweisern sind: Die meisten Radfahrer wollen nicht nur bis ins 2,8 Kilometer entfernte Kleinkleckersdorf fahren. Viele von ihnen wollen in die nächste größere Ortschaft, vielleicht sogar in die nächste Stadt. Doch diese sind fast überall, nicht angeschrieben, sondern konsequent nur das nächste Örtchen, was Mal um Mal dieselbe Frage aufwirft. Liegt Kleinkleckersdorf auf meiner Route?

Zum Beispiel wird Bremen auf dem Weserradweg von Süden kommend erst 16 Kilometer vor der Stadt mit Namen und Entfernung genannt, Uelzen aus Richtung Lüchow kommend erst kurz vor den Toren der Stadt. So war das eigentlich fast überall. So etwas wie eine überregionale Zusammenarbeit zwischen Radregionen – oder gar Ansätze für die Ausschilderung eines bundesweiten Fahrradwegenetz – scheint es bisher kaum zu geben.

Vorschlag 3: Radwegeplaner sollten großräumig denken

Es gibt Vorbilder: Auf dem Allerradweg tauchten die ersten Schilder gen Verden – der Stadt an der Mündung des Flusses und damit dem Ziel der meisten Fernradfahrer – schon ab rund 100 Kilometer Entfernung auf, und in die andere Richtung wurde Wolfsburg 70 Kilometer entfernt angezeigt. Genauso sollte es überall sein und gerne noch großräumiger: Berlin 350 Kilometer, München 500 Kilometer. Die Nennung von Fernzielen hilft ungemein – sowohl bei der konkreten Orientierung an einer Kreuzung als auch dabei, die eigene Position im Verhältnis zum Ziel des Tages oder der ganzen Tour einzuschätzen, ohne irgendetwas hervorkramen zu müssen.

Radfahrer wie ich träumen von Schildern, auf denen immer auch ein Fernziel ausgewiesen wird (wie etwa in Dänemark). Vielleicht spornt das ja auch dazu an, endlich ein bundesweites Netz von Radschnellwegen zu schaffen, so dass man sich südlich von Berlin nicht nur als Autofahrer auf die A9 gen München einfädeln kann, sondern auch als Fahrradfahrer auf einen künftigen F9, auf dem man die Strecke komfortabel auf Flüsterasphalt auf zwei leisen Rädern zurücklegen kann.

Problem 4: Streckenweise fehlt es am Grundsätzlichsten

Auf manchen Strecken habe ich mich gefragt, wie jemand auf die Idee kommen kann, hier einen Radweg nicht nur auszuweisen, sondern auch anzupreisen. Besonders krass war das auf dem „Isarradweg“ zwischen dem Sylvensteinsee und Mittenwald der Fall. Auf der Internetseite wird „Radeln pur“ in einer großartigen Voralpenlandschaft angepriesen, in Wahrheit findet man sich ohne eigenen Radweg mit Lastwagen, Wohnmobilen und PS-starken BMWs wieder und unzähligen Motorradfahrern. Das geht auf 32 Kilometern so und ruiniert jeden Genuss der Landschaft gründlich. Da müsste man sich als Radwegregion eingestehen: Hier gibt es keinen Radweg. Oder man investiert in einen.

Auf vielen anderen Strecken kommt man sich vor wie auf einer Teststrecke für SUVs, nur ohne die Federung. Schlaglöcher, Bodenwellen, schmieriger Blattbelag – wer mit normalem Tempo auf solchen Wegen fährt, muss immer in Habacht-Stellung sein, denn das kann leicht schiefgehen und in einem Sturz münden. Es ist ungefähr so, als würde man einen Feldweg als Bundesstraße bezeichnen und das als normal verkaufen.

Zu den mangelnden Basics zählt auch die Sicherung von Straßenquerungen. An zu vielen Stellen münden Fernradwege abrupt in vielbefahrene Straßen. Hier braucht es dringend Warnschilder und Übergänge. Wer mit Gepäck unterwegs ist, ist eher eine Schnecke. Gleichzeitig heizen viele Autofahrer auf Landstraßen, als gäbe es kein Morgen. Ungeschützte Straßenquerungen sind da eine echte Stress- und Gefahrenquelle.

Vorschlag 4: Investitionen in Radwege

Hier gibt es keine einfache, unbequeme Antwort: Investieren, investieren, investieren. Oder einfach die Fernradwege so behandeln wie Landstraßen, Bundesstraßen, Autobahnen. Über deren Zustand beschweren sich zwar auch viele Autofahrer – aber die haben in der Regel keinen Vergleich, wie erbärmlich die Fahrrad-Infrastruktur vielerorts ist.

Es ist eine politische Frage in Landkreisen, Bundesländern und auch auf Bundesebene, ob man eine gut gepflegte und sichere Infrastruktur von Fernradwegen will – oder nicht. Nur sollte man dann auch nichts beschönigen, nur um Touristen anzulocken.

Problem 5: Es gibt kaum Rastplätze, zumal schöne

Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, muss sich ab und an ausruhen. Die Wasservorräte auffrischen, den Beinen ein bisschen Erholung gönnen, sich im Schatten vor der Mittagssonne schützen, vielleicht auch auf das Ende eines Regenschauers warten. Doch auf meinen Fahrten habe ich kaum Rastplätze gesehen. Bei den wenigen, die es gab, herrschte das typische dunkelbraune Rustikaldesign vor, das einen sofort via Zeitportal zum Schulwandertag in die 1970er-Jahre zurückbeamt.

Modriges Holz allerorten, und so unbequem verbaut, dass man nirgendwo die Beine hochlegen kann. Brunnen, aus denen Leitungswasser fließt, gab es nur in den Alpen. Ausgerechnet in Norddeutschland, wo ich zum Beispiel zwischen Lüchow und Soest eine Art Niemandsland zu durchqueren hatte, in dem ich auf hundert Kilometer keinem Menschen begegnet bin und auch keiner Gaststätte am Wegesrand, ist das eine wirklich üble Sache. Kaum etwas ist schlimmer, als dass einem unterwegs das Wasser ausgeht.

Es haben so viele Dorfwirtshäuser zugemacht, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, sich unterwegs neu mit Wasser eindecken zu können. Einen netten Ort zum Ausruhen habe ich auf weiten Strecken vergeblich gesucht.

Vorschlag 5: Brunnen alle zehn, Rastplätze alle 20 Kilometer

An jeden Fernradweg gehört alle zehn Kilometer ein Brunnen, zumindest ein Wasserhahn – und am besten alle zwanzig Kilometer eine schöne Raststätte.

Unterwegs habe ich angefangen zu träumen, wie toll man so etwas designen könnte. Mit modernen Freiluftmöbeln, die zum Ausruhen und Beinehochlegen einladen. Mit einem kleinen Set Werkzeug, wie man es schon mancherorts an Fahrradparkplätzen in Städten findet, wären solche Rastplätze auch Anlaufstelle für kleine Reparaturen.

Und dann braucht es natürlich einen überdachten Bereich, der vor Sonne und Regen schützt. Vielleicht sogar mit W-Lan, wie auf dem Alpe-Adria-Radweg in Slowenien, und mit solargespeisten USB-Buchsen zum Aufladen von Handys und Steckdosen für E-Bikes. Alle Fahrradregionen Deutschlands könnten sich zusammentun und gemeinsam ein schickes Design für einen Standard-Rastplatz beauftragen, der dann in Masse gefertigt wird. So könnte man die Kosten niedrig halten.

Radurlauber sind eigentlich der Traum jedes Politikers: Sie verpulvern keine russischen Erdölprodukte, schaufeln Geld in Deutschlands ländliche Regionen und tragen dazu bei, die Klimaziele zu erreichen. Höchste Zeit, Fernradelnde gebührend zu behandeln.

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Kommentar

Hannah Dobiaschowski
Hannah Dobiaschowski Projekte / Marketing
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