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Warum der Kiosk in Kiel-Mettenhof die letzte Bastion im Viertel ist

Warum der Kiosk in Kiel-Mettenhof die letzte Bastion im Viertel ist

Kiosk in Kiel-Mettenhof ist die letzte Bastion im Viertel

Marc Nasner/shz.de
Kiel
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Elke Severin ist in Kiel-Mettenhof eine Institution. Foto: Staudt/shz.de

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Rentnerin Elke Severin betreibt einen Kiosk in Kiel-Mettenhof. Die Bude ist Anlaufpunkt für Menschen aus dem ganzen Viertel. Auch, weil es in Mettenhof kaum noch Orte gibt, an denen man sich treffen kann.

Wenn Elke Severin abends die Jalousien an ihrem Kiosk in Kiel-Mettenhof herunterlässt, hat sie viel gesehen und auch gehört. Sie hat Trost nach einem Trauerfall gespendet, mit Rentnern über Supermarkt-Angebote diskutiert und einfach über Alltägliches mit Kunden geplaudert. Severins Kiosk an der Randersstraße ist in Mettenhof eine Institution. Aus dem ganzen Viertel und teils auch aus dem Kieler Zentrum kommen ihre Gäste.

Kiel-Mettenhof ist der bevölkerungsreichste Stadtteil der Landeshauptstadt. Rund 20.000 Menschen leben in der Trabantenstadt, die in den 1960er-Jahren gebaut wurde. Mit seinen vielen Hoch- und Reihenhäusern wirkt der Stadtteil anonym. Es gibt Tankstellen, mehrere Döner-Imbisse, einen Famila und einen großen Kaufland. Bis in die Kieler Innenstadt sind es rund sieben Kilometer. Wer dort hin möchte, braucht ein Auto oder zumindest eine Busfahrkarte. „In Mettenhof selbst gibt es heute fast gar nichts mehr“, sagt Severin. Kein Wunder also, dass das halbe Viertel zu ihrem Kiosk komme.

Dabei begegnet Severin, die meist mit einem Arm auf ihrer Theke lehnt, ihren Gästen mit Wärme und Gelassenheit. Ihr sei es egal, wie sie gerne betont, ob Busfahrer, Männer von der Müllabfuhr, Angestellte im Öffentlichen Dienst oder auch Arbeitslose kommen. „Hier werden alle gleich behandelt. Mensch ist Mensch“, sagt sie. Dabei kommen die Menschen, weil sie wissen, dass ihnen zugehört wird.

Kiosk ist wichtiger Anlaufpunkt

Eine von ihnen ist Steffi Ide. Sie trinkt regelmäßig einen Kaffee vor der Arbeit. Nachdem ihr Mann Anfang des Jahres starb, wurde der Kiosk noch wichtiger für sie. „Wenn ich hierherkomme, weiß ich, dass ich immer jemanden kenne, mit dem ich klönen kann“, sagt sie. Was andere Orte in Mettenhof angeht – die wenigen Imbisse und Cafés – ist Ide deutlich: „Da fühlten wir uns nicht willkommen.“ Menschen, die am Kiosk vorbeilaufen, würden allerdings auch argwöhnisch herübergucken „mit der Nase zum Himmel gestreckt“.

Ein Rentner, der im frühlingshaften Stadtteil mit dem Fahrrad unterwegs ist, kommt morgens um 9 Uhr das erste Mal. Die Bildzeitung wandert in den Fahrradkorb, kurzer Schnack und wieder Abfahrt. Es dauert nur kurz, bis er das nächste Mal vorfährt. „Einmal nach dem Rechten sehen, ob hier Ruhe ist“, sagt er mit einem Grinsen. Im späteren Verlauf des Tages wird er noch einige weitere Male nach dem Rechten sehen, kurze Gespräche führen, um dann weiterzufahren. Da er sich bereits im Ruhestand befindet, seine Frau aber noch berufstätig ist, sei der Kiosk auch für ihn eine wichtige Anlaufstelle. Wie er heißt, möchte er aber nicht sagen. Müsse ja niemand wissen, dass er hierherkommt.

„Kioske haben in manchen Stadtteilen einen sozial enorm hohen Stellenwert“, erklärt Prof. Dr. Ingrid Breckner von der Hafencity Universität in Hamburg. Die Soziologin forscht zum Themenfeld „Soziale Stadt“ und zu Kiosken im urbanen Raum. Dabei gehe es eben nicht nur um Alkohol, Zigaretten oder Süßigkeiten, sondern vielmehr darum, einen sozialen Anlaufpunkt zu haben. „Gerade in Stadtteilen, die als sozialer Brennpunkt gelten, ist das wichtig. Manche Bewohner verbringen hier auch Feiertage wie Ostern oder Weihnachten.“

Verkehrsknotenpunkte sind für Kioske prädestiniert

Viele der Gäste von Elke Severin kommen nach der Arbeit, um am Kiosk ihr Feierabendbier zu trinken. Dabei betonen nahezu alle, dass sie einen festen Job haben. Dass die Besucher mit Stigmatisierung zu kämpfen haben, wird aus den Gesprächen schnell deutlich. „Für viele sind wir hier die Assis und Alkis“, sagt einer. In einer TV-Dokumentation vor ein paar Jahren sind die Besucher äußerst schlecht weggekommen. Daher wolle auch er nicht, dass sein Name in der Zeitung steht.

Dass an Verkehrsknotenpunkten wie der Busendhaltestelle, an der der Kiosk liegt, viel Alkohol getrunken wird, ist laut Ingrid Breckner normal. Häufig habe das banale Gründe wie eine Toilette vor Ort oder dass dort viele Menschen aussteigen. „An solchen Orten herrscht eine hohe Frequenz und eine öffentliche Sichtbarkeit“, sagt die Soziologin. Daher würden viele Pendler die trinkenden Besucher sehen.

Auch Elke Severin ist die soziale Wichtigkeit ihres Kioskes bewusst. Ihre Waren bietet sie daher zu moderaten Preisen an. „Es nützt mir nichts, wenn ein Bier so viel wie an der Tanke kostet“, sagt sie. Dann könnten viele ihrer Kunden nicht mehr kommen. Von dem Betrieb leben müsse sie aber trotzdem irgendwie.

 Auch wenn der Kioskalltag größtenteils gesittet abläuft, erinnern manche Dialoge doch an Kneipengespräche zu späterer Stunde. Ein Gast, der lautstark ein neues Bier fordert, wird von einer Frau zurechtgewiesen. „Kauf dir lieber mal einen Lolli. Sonst gibt‘s wieder was vor den Kopf.“ Was hart klingt, sei aber herzlich gemeint. „Wir passen hier alle aufeinander auf“, sagt Inhaberin Elke Severin. Auch das sei laut Soziologin Breckner typisch für solche Buden. „Betreiber achten auf ihre Kunden und spüren ein gewisses Maß an Verantwortung.“

Viele Jahre gab es an dem Kiosk eine Sitzbank. Wobei, vielmehr sei es einfach ein Holzbrett gewesen, das auf zwei Tonnen geschlagen war, erzählt Elke Severins Mann Peter. Irgendwann habe sich darüber aber jemand beschwert. Der Kiosk sei schließlich kein Gastronomiebetrieb. Die Bank musste weichen. „Seitdem können viele Ältere nicht mehr kommen, weil sie nicht sitzen können. So werden sie ausgeschlossen“, sagt Peter Severin.

Ginge es nach Soziologin Ingrid Breckner, würde Städte und Kommunen viel engeren Kontakt zu den Buden im Viertel halten. „Über die Betreiber könnte die Politik ganz wichtige Einblicke in das Quartier bekommen“, sagt sie. Kontakt mit dem Kulturamt der Stadt habe es schonmal gegeben, berichtet Elke Severin. Der Kiosk sei schließlich ein Ort, der erhalten bleiben muss. „Hier kann man erfahren, was den Menschen wirklich auf dem Herzen brennt“, sagt Ingrid Breckner. Der Kiosk ist sowas wie die letzte Bastion im Viertel.

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